Buchtipps / 2023 / November
erstellt von der STUBE und dem Österreichischen Bibliothekswerk
 
    Kathrin Schärer: Kann ich alleine!
/ Kathrin Schärer. - München : Hanser, 2023.
        - 64 ungezählte Seiten : Illustrationen
      ISBN 978-3-446-27723-6      Festeinband : EUR 14,40 (AT) 
Selten im Leben eines Menschen geschehen so  viele Entwicklungsschritte wie im Kindesalter. Jeder Tag, so scheint es, bringt  etwas Neues am Weg des Lernens und Erlebens und bald will ganz alleine  geschafft werden, wofür bisher noch die Unterstützung der »Großen« notwendig  gewesen ist. In Katrin Schärers Bilderbuch sind es Tierkinder, die  anthropomorphisiert und mit großem Identifikationspotential davon erzählen, was  sie schon alleine können. Alleine aufstehen, frühstücken und anziehen? Kein  Problem! Tischdecken, basteln und neue Welten entdecken? Ein Klacks. Und sogar  mit aufgeschlagenem Knie tapfer zu sein, klappt schon so halbwegs. 
        Selbstreferentiell gelingt es der Erzählung  auch, in einer farblich stimmigen Bildsprache die Liebe zum Lesen, Blättern und  Zuhören einzubringen, denn das Igelkind kann sowohl ganz alleine und auf einem  großen Bücherstapel sitzend Bilderbücher anschauen, als auch in der wohligen  Umarmung eines großen Igels einer Geschichte zuhören (…und noch einer). 
        Gerahmt vom Aufstehen, einschlafen… und am  Morgen wieder aufstehen erzählt sich das Bilderbuch so durch einen Tagesablauf,  der viele Etappen kindlicher Lebensrealität vereint. Hase, Otter, Fuchs und  Mäuschen sind ebenso vertreten wie Dachs, Siebenschläfer und Schwein (und auch  ein Nashorn schafft es in das Bilderbuch). Die richtige Nähe aber kommt durch  die Frage auf, die implizit mitschwingt und im (gemeinsamen) Anschauen und  Lesen thematisiert werden kann: Was von den insgesamt 30 Beispielen können die  kindlichen Leser*innen denn selbst schon alleine? Ist man so ungestüm wie die  Maus und kann alleine Roller fahren (und dabei womöglich auch einen Unfall  bauen), geht es schon ohne Hilfe aufs Klo, kann man schon ganz alleine die  Kuchenteigschüssel ausschlecken? 
      Kathrin Schärers Bilderbuch schildert keine  Geschichte im klassischen Sinn, lädt aber durch liebevoll handgezeichnete  Pastellillustrationen dazu ein, eigene Beispiele zu finden, in denen (ganz  alleine!) etwas geschafft wurde, und darauf stolz zu sein.
Iris Gassenbauer | STUBE
 
    Mirjam Oldenhave:
      Jakob und der Berg der vergessenen Dinge
      / Mirjam Oldenhave ; mit Illustrationen von Rick de Haas
        ; aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann.
        - Münster : Coppenrath, 2023. - 207 Seiten : Illustrationen
        ISBN 978-3-649-64408-8      Festeinband : EUR 16,50 (AT) 
Das Haus von Jakob und seinem Vater Ed ist  etwas ganz Besonderes: Es hat Räder. Das ist besonders praktisch, als die  übrigen Anrainer sie vertreiben. Ohne festen Wohnsitz, dafür sehr mobil, wie Ed  betont, ziehen die beiden durchs Land und suchen ein Fleckchen Erde, auf dem  sie sich niederlassen können. Ein illegaler Schrottplatz mitten im Wald scheint  zunächst der perfekte Standort zu sein. Beim Durchstöbern der weggeworfenen  Gegenstände findet Jakob allerhand Bauteile für seine vielen Ideen (er will  einmal Erfinden werden) und eine Statue aus Gold, die sich als gestohlen  herausstellt. Als mutmaßlicher Dieb wird Ed verhaftet. Jakob muss einen Weg  (er)finden, seinen Vater aus dem Gefängnis zu holen – so oder so. Überraschende  Unterstützung bekommt er dabei von Sisi, die wohlbehütet ganz in der Nähe wohnt  und Jakob um sein abenteuerliches Leben beneidet, von Jan, der im Gefängnis  arbeitet und wunderbar kochen kann, vom Welpen Ali und nicht zuletzt von einem  Steinbock, der den Schrottberg für sein Revier hält.
      Mit viel Witz lässt Oldenhave zwei Welten  aufeinanderprallen, ohne sie ins Lächerliche zu ziehen: Eds und Jakobs  nomadisches Leben wird zwar von Sisi romantisiert, für die Leser*innen treten  die Schwierigkeiten aber klar hervor. Ebenso ist Jakob anfangs begeistert vom  Überfluss, in dem seine neue Freundin lebt, bemerkt aber auch ihre Einsamkeit  im goldenen Käfig. Oldenhavens Stärke ist es, seriöse, glaub- und  liebenswürdige Figuren in eine aberwitzige Handlung an überspitzten  Schauplätzen agieren zu lassen. Nach mehreren gescheiterten Plänen, die Jakob  fast an den Rand der Verzweiflung treiben, gelingt es ihm mithilfe seiner  Freunde endlich, seinen Vater zu entlasten. Dass »Ende gut« in diesem Fall  nicht »alles gut« bedeutet und einige Probleme bestehen bleiben, tut der Freude  keinen Abbruch, sondern sorgt im Gegenteil für eine angenehme Ernsthaftigkeit.  Jedes Leben bringt schließlich Herausforderungen mit sich, denen man sich am  besten nicht ganz allein stellt. 
Simone Weiss | STUBE
 
    Satoshi Yagisawa: Die Tage in der Buchhandlung Morisaki
: Roman / Satoshi Yagisawa ; aus dem Japanischen von Ute Enders.
        - Berlin : Insel Verag, 2023. - 188 Seiten
        ISBN 978-3-458-64369-2      Festeinband : EUR 18,50 (AT) 
Das Antiquariat ihres Onkels hilft Takako, nach einer schweren Enttäuschung wieder Fuß zu fassen. (DR)
Das Antiquariat Morisaki im  Buchhandlungsviertel von Tokio ist die Zuflucht für Takako, nachdem sie Freund  und Job verloren hat. Der Besitzer, gleichzeitig Takakos Onkel, nimmt sie  freundlich und vorurteilsfrei auf und lässt ihr Zeit, wieder zu sich zu finden.  Siehe da - die Bücherstapel in ihrem Zimmer, das sich direkt über dem Laden  befindet, sowie zahlreiche Gespräche und gelegentliche Kaffeehausbesuche geben  ihr neuen Lebensmut.
        Das Buch strahlt sogar in der deutschen  Übersetzung sehr viel japanisches Lebensgefühl aus. Über Emotionen wird  sachlich gesprochen, sie auszuleben ist ein Tabu. Zuneigung wird mehr durch  Taten vermittelt (z. B. indem man das gleiche Buch liest) als durch Worte.
        Das Buch besticht nicht nur durch einen  schön gestalteten Einband, sondern vor allem durch den schnörkellosen Stil, die  behutsam erzählte Geschichte und die adäquate Übersetzung. 
        Ein Hauch Japan im deutschsprachigen Alltag  – sehr zu empfehlen!
Doris Göldner | biblio
 
 
    Nell Zink: Avalon
: Roman / Nell Zink ; aus dem Englischen von Thomas Überhoff.
        - Hamburg : Rowohlt, 2023. - 269 Seiten
        ISBN 978-3-498-00311-1      Festeinband : EUR 24,70 (AT) 
Aschenbrödel in Kalifornien: Eine junge Frau schafft den Aufstieg trotz misslicher Startbedingungen. (DR)
Brandy, genannt Bran, startet nicht gerade  glücklich ins Leben: Ihr Vater verzieht sich nach Australien, die Mutter findet  ihr Heil in einem buddhistischen Kloster. Die Großeltern sind überfordert und  heilfroh, dass Bran bei einer Stieffamilie aufwächst, wo sie als kostenlose  Arbeitskraft in deren Baumschule ausgebeutet wird. Sie ist klug, schafft die  Highschool, aber an ein Studium ist nicht zu denken. Mit ihren reicheren  Freund*innen aus der Schule hält sie noch lose Kontakt und so lernt sie den  Intellektuellen Peter kennen, in den sie sich verliebt. Dieser ist zwar ein  kompromissloser Kapitalismuskritiker, was er ständig wortreich und  theoriekompetent betont, allerdings auch mit einer schwerreichen arabischen  Prinzessin verlobt. Bran schafft es kurzzeitig, sich ihrem Milieu zu entziehen,  kehrt aber wieder dorthin zurück, als der Großvater des Baumschul- und  Bikerclans mit undurchschaubaren Geschäften zum Pflegefall wird. Schlussendlich  gelingt es ihr doch, sich zu emanzipieren. Mehr sei nicht verraten vom Inhalt  dieses unglaublich poetischen und klug erzählten Romans.
      Anspielungsreich, pointiert und kritisch  persifliert die Autorin die Reichen und Schönen. Der Text ist kunstvoll  dramaturgisch aufgebaut und bietet etliche überraschende inhaltliche Wendungen.  Ein Leckerbissen für literarische Leser*innen. 
Fritz Popp | biblio
 
    Doris Knecht:
      Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe
		
      : Roman / Doris Knecht. - München : Hanser Berlin, 2023. - 236 Seiten
        ISBN 978-3-446-27803-5      Festeinband : EUR 24,70 (AT) 
Humorvoll-paradoxer Blick in die Seele einer Frau, die nach dem Auszug ihrer Kinder ihr Leben neu ordnet. (DR)
Ein Zitat aus Virginia Woolfs »Ein Zimmer  für sich allein« ist dieser intimen Selbstbefragung einer namenlosen  Ich-Erzählerin vorangestellt. Wie Woolf spielt auch die österreichische Kolumnistin  und Schriftstellerin Doris Knecht in ihrem neuen Buch stark mit einem lyrischen  Ich, auf das man sich nicht immer verlassen kann. In einem Podcast-Interview  mit Petra Hartlieb bejaht Knecht, dass es zwischen ihr und der Ich-Erzählerin  viele biografische Gemeinsamkeiten gibt, aber dennoch vieles erdacht ist. Bei  einer guten Geschichte sei es letztlich egal, was wahr oder erfunden ist.  Hauptsache, es ist eine gute Geschichte, die für das Lesepublikum funktioniert.  Und das tut sie.
      Mit dem bemerkenswerten ersten Satz »Der Hund  hat schon wieder ins Auto gekotzt« tauchen wir bei Bluesmusik an einem trüben  Herbsttag in die Gedanken und Erinnerungen einer Frau ein, die sich an der  Schwelle zu einem neuen Lebensabschnitt befindet. Wenig Romanartiges haftet  dieser doppelbödigen Mischung aus Fiktion und Realität an. In kolumnenhaften,  kurzen Kapiteln, deren Titel in Summe »eine vollständige Liste aller Dinge, die  ich vergessen habe« ergeben, werden viele wichtige Themen angesprochen. Der  Existenzkampf von Alleinerzieher*innen, die Beziehung zwischen Kindern und  Eltern, die Versöhnung mit dem Älterwerden und die Vorzüge eines unbeschwerten  Lebens allein kommen hier genauso zur Sprache wie unterschiedliche Lebensstile  und Weltanschauungen. Ein analytischer Blick wird auf Frauen und ihr Muttersein  geworfen. Als wichtiges Bindeglied innerhalb der Familie taucht der Hund immer  wieder auf. Nach dem Auszug ihrer Kinder verkleinert die Ich-Erzählerin ihren  Wohnraum. Wie befreiend und beglückend dieser schwierige Reduktionsprozess sein  kann, wird ehrlich und ungeschönt beschrieben. Interessante Fragen und kluge  Sätze laden zum Nachdenken und Diskutieren ein. Leser*innen, die an ähnlichen  Angelpunkten ihres Lebens stehen, finden bestimmt Gefallen an dieser ernsthaft-heiteren  Orientierungssuche. 
Elisabeth Zehetmayer | biblio
 
    Florian Aigner: Warum wir nicht durch Wände gehen
: unsere Teilchen aber schon : ein Reiseführer durch die Welt der Quanten
        / Florian Aigner. - Wien : Brandstätter, 2023.
        - 262 Seiten : Illustrationen
        ISBN 978-3-7106-0689-2      Festeinband : EUR 25,00 (AT) 
Was die Welt zusammenhält. (NP)
Gleich vorweg: Der Autor, studierter Physiker und renommierter Wissenschaftspublizist, kann die Frage im Titel tatsächlich verständlich erläutern. Wir wissen: Wand, Tisch, Mensch, das gesamte Universum besteht aus den gleichen Teilchen, aber größtenteils aus nichts. Welche Kräfte erzeugen die dingliche Welt, die uns vertraut ist? Die Welt der Quanten funktioniert nach gänzlich anderen als den bekannten Naturgesetzen. Schritt für Schritt macht uns der Autor mit der faszinierenden Welt des Mikrokosmos vertraut, ein relativ junges Wissensgebiet. Die Gesetze der Quantenphysik widersprechen in vielen Fällen dem Wahrnehmungsvermögen des Menschen und lösen Verzweiflung oder im besten Fall Staunen aus. Wie kann sich ein Teilchen gleichzeitig an verschiedenen Orten aufhalten? Der Autor verzichtet weitgehend auf Formeln und Berechnungen und beschreibt die komplizierte Quantenwelt mit großem pädagogischen Geschick einfach, aber absolut genau. Anhand heiterer Anekdoten aus dem Leben bedeutender Physiker zeichnet er die Geschichte der Quantenphysik nach und gibt Einblicke in die aktuelle Entwicklung der Forschung. Es gäbe keine Computer oder Solarzellen ohne Quantenphysik. Diese Welt ein wenig besser zu verstehen, beraubt sie keineswegs ihrer Faszination, ganz im Gegenteil. Uneingeschränkte Empfehlung für alle!
Aloisia Altmanninger | biblio
 
    Charles Foster: Der Ruf des Sommers
: das erstaunliche Leben der Mauersegler
        / Charles Foster ; mit Illustrationen von Jonathan Pomroy
        ; aus dem Englischen von Gerlinde Schermer-Rauwolf und Roland A. Weiß.
        - München : Malik, 2023. - 217 Seiten : Illustrationen
        ISBN 978-3-89029-576-3      Festeinband : EUR 22,70 (AT) 
Poetische Schilderung des Jahreszyklus im Leben der Mauersegler. (NI)
Der Autor Charles Foster ist, wie er selbst  sagt, besessen von der Vogelart der Mauersegler. Er beobachtet sie bei der  Brut, betrauert ihren Abflug, feiert ihre Ankunft und reist ihnen in verschiedene  Länder nach, wenn sie über Monate nicht in Oxford in ihren Nestern sind.
        Foster schildert einerseits die  wissenschaftlichen Aspekte des Mauerseglers: Wie ist er gebaut, wann zieht er  in den Süden, wie funktioniert seine Brutpflege und wie gelingt es ihm, sich  bei seinen Tausende Kilometer weiten Zügen nicht zu verfliegen? Parallel dazu  reflektiert der Autor über sich selbst, seine ungewöhnliche Liebe und  Faszination für die Mauersegler. In diesen reflektorischen Passagen nimmt er  nebenbei zu einigen gesellschaftlichen Problemen Stellung, indem er deren  geringere Bedeutung vor dem großen Ganzen der Natur betont. Zugvögel etwa  kennen keine Grenzen und obwohl man ihnen unterstellt, nicht denken zu können,  orientieren sie sich problemlos in der Luft und finden sowohl ihre  Sommerquartiere als auch ihre vor dem Abflug bereits angelegten und  »reservierten« Brutstätten.
        Anfangs schien es mir wenig realistisch,  dass ein Buch über Mauersegler spannend oder unterhaltsam sein könnte. Aber  genau das ist der Fall. Die humorvolle Sprache des Autors, seine  liebevoll-kritische Einstellung zu sich selbst, seine Gedankenexperimente und  pseudowissenschaftlichen Vergleiche zwischen zum Beispiel Vogelbabys und  Menschenbabys sind faszinierend. Ein inhaltlich wertvolles und besonders schön  illustriertes Buch zu einem Thema, von dem wir vorher noch gar nicht wussten,  dass wir es toll finden.
Ursula Pirker | biblio
 
 
    Matthias Kleiböhmer: Sonntagmorgen single
: wie es ist, der einzige Christ in der Familie zu sein  / Matthias Kleiböhmer.
        - Gütersloh : Gütersloher Verlagshaus, 2023. - 191 Seiten
        ISBN 978-3-579-06224-2      Broschur : EUR 18,50 (AT) 
Ein Ratgeber für Christ*innen, deren Familienmitglieder nicht unbedingt ihre eigene Weltanschauung teilen. (PR)
Ausgehend von seiner eigenen Erfahrung gibt  der evangelische Theologe Matthias Kleiböhmer Ratschläge für ein christliches  Leben als Partner einer nicht religiösen Frau. Nach einer Einführung werden  verschiedene Bereiche behandelt: kirchliche Hochzeit, Religionsunterricht und  Taufe der Kinder, Bestattung, Weihnachten und Ostern.
        Der Autor geht stets von realen Situationen  in Gemeinden und seinem persönlichen Alltag aus. Er bezieht sich auf die  kirchliche Lehre (evangelisch und katholisch), spricht Probleme an und gibt  praxiserprobte Lösungsmöglichkeiten. Bei einzelnen Kapiteln fließen auch,  explizit benannt, freikirchliche Perspektiven mit ein.
        Ein deutliches Bekenntnis gibt der Autor  für die religiöse Erziehung der Kinder und gemeinsames Beten mit den Kindern  ab. Im letzten Abschnitt spricht Kleinböhmer deutlich an, dass ein dauerhaftes  Zusammenleben von gläubigen und nichtgläubigen Partnern Konfliktpotenzial hat  und gibt Vorschläge, wie mit den Familienmitgliedern über den Glauben  gesprochen werden kann. Und vor allem macht er Mut zum Miteinander und Arbeiten  an der Beziehung. Den Leser*innen wird hier keine fertige Schritt-für  Schritt-Anleitung präsentiert, vielmehr regt »Sonntagmorgen single« zum  Nachdenken über das eigene Familienleben an.
Philipp Lehar | biblio
 
	 
	 
	
 
 
     
		 
		 
		 
		 
		 
		 
 
     
		 
		 
		