Buchtipps / 2024 / September
erstellt von der STUBE und dem Österreichischen Bibliothekswerk
Joke van Leeuwen: Ich bin hier!
/ Joke van Leeuwen ; aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers.
- Hildesheim : Gerstenberg, 2024. - 118 Seiten : Illustrationen
ISBN 978-3-8369-6256-8Â Â Â Â Â Festeinband : EUR 15,50 (AT)
Das Wasser wird kommen, da ist Jonas Vater sicher (ob als biblische Plage oder Folge des Klimawandels, bleibt ungeklärt). Er sieht viel von seinem Büro im Wolkenkratzer, wo Jona ihn täglich besucht. Dass es so schnell geht, hat aber auch er nicht erwartet – nach einer Erkundungstour aufs Dach steht das Mädchen plötzlich allein da. Das Dorf ist untergegangen, die Menschen verschwunden. Nach anfänglichem Schreck beginnt Jona, sich am Dach häuslich einzurichten und mit verschiedenen Gegenständen Worte zu legen, die von einem Flugzeug aus gelesen werden können. Schließlich wird sicher bald jemand kommen und sie retten. Oder?
Aus der kindlichen Perspektive heraus wird die Katastrophe zum Abenteuer, das man bestehen kann: einen Tag nach dem anderen. Jona verliert nie ihre Einbildungskraft und nur selten den Mut. Trotz Isolation und Lebensraumzerstörung bleibt Jonas Konzept der menschlichen Zivilisation intakt: Sie vertraut fast unerschütterlich darauf, von ihrem Vater gesucht und gerettet zu werden. Wie es dann weitergehen soll, liegt außerhalb ihres Vorstellungs- und Erwartungshorizonts, es gilt, das Hier und Jetzt zu bewältigen. Zu diesem Zweck wird Jona kreativ, bastelt eine Puppe aus Handschuhen, eine Signalanlage aus einem Mantel, erfindet Geheimschriften und überlegt, wie Häuser in Zukunft aussehen müssten, um den Fluten gewachsen zu sein. Ein Ende des Wassers ist nicht in Sicht, symbolträchtig kommt jedoch nach einigen Tagen eine Taube zu Besuch. Von welcher Arche sie aufgebrochen war – kurze Zeit später wird Jona gerettet und zu ihrem Vater auf trockenen Boden gebracht. Wie es weitergeht, ist ungewiss, sicher ist nur: Es geht weiter. Es gibt ein Leben nach Zerstörung und Flucht.
Simone Weiss | STUBE
Anna Maria Praßler: Ice Guardians
: die Macht der Gletscher / Anna Maria Praßler ; mit Vignetten von Kim Ekdahl.
- Hamburg : Oetinger, 2024. - 238 Seiten : Illustrationen
ISBN 978-3-7512-0480-4Â Â Â Â Â Festeinband : EUR 14,40 (AT)
Vor Mums Tod hat Hazel das Meer geliebt. Seitdem jagt es ihr, wie fast alles andere, nur noch Angst ein. Der Alltag scheint voller Gefahren, vor denen sie Mama und ihre kleine Schwester Peach beschützen muss. Seit zwei Jahren zieht die dezimierte Familie durchs Land und landet schließlich in einem Cottage am Strand – wo nicht nur das Wasser viel zu nahe ist, sondern Mama eine alte Freundin wiedertrifft, die ihr wieder Lebensmut einflößt. Ihre Tochter Lemon beschließt, sich mit Hazel anzufreunden, nicht zuletzt, weil diese dem historischen Vorbild der Meerjungfrau, deren Kult den kleinen Ort am Leben hält, zum Verwechseln ähnlich sieht. Doch Hazel hat mit Beziehungen aller Art abgeschlossen, zu schwer wiegen Trauer und das Schuldgefühl der Überlebenden. Sie weiß, dass sie ihr altes Leben nicht mehr zurückbekommt – aber ein neues, glückliches Leben ohne Mum scheint genauso unmöglich. Während die Mutter ihren Töchtern einen Neuanfang wünscht, klammert Hazel sich am Status quo fest. Erst als Lemon ihr von ihren eigenen Schuldgefühlen erzählt – ihre Zwillingsschwester starb vor einigen Jahren an einem Hirnaneurysma –, beginnt Hazel sich zu öffnen. Doch als sie erfährt, dass eine Rückkehr in ihr Elternhaus unmöglich und die Vergangenheit damit endgültig verloren ist, verliert sie jeden Halt. Erneut ruft das Meer nach ihr…
Um alle Figuren liegt ein Schleier der Trauer, der ihr Handeln bestimmt oder – wie bei Hazel – einbremst. An der Schwelle von Kindheit zu Jugend wiegt der Verlust noch schwerer, der nächste Entwicklungsschritt muss ohne die geliebten Toten gegangen werden. Gleichzeitig locken Freundschaft und die Faszination des Meerjungfrauenmythos genauso wie das erste Verliebtsein. Ashley Herring Blake lässt die Stimmung ihrer Charaktere berührend ungeschliffen zwischen Trauer, Angst, Wut und Freude changieren. Das Ende verspricht Zuversicht, doch eine Frage bleibt offen: Gibt es Meerjungfrauen wirklich?
Frieda Weixlbaumer | STUBE
Nick Fuller Googins: Der Plan zur Rettung der Welt
: Roman / Nick Fuller Googins ; aus dem Amerikanischen von Thomas Salter.
- München : Wilhelm Heyne Verlag, 2024. - 447 Seiten
ISBN 978-3-453-27447-1Â Â Â Â Â Festeinband : EUR 22,70 (AT)
Wie weit würdest du gehen, um die Welt zu retten? (DR)
Emi gehört zur ersten Generation einer klimaneutralen und friedlichen Welt. Während ihre Eltern vor Hitze und Waldbränden geflohen sind und gegen die Ausbeutung von Mensch und Umwelt gekämpft haben, lebt Emi ein bequemes Leben, das nur von den Erwartungen und ständigen Streitereien ihrer Eltern überschattet wird. Doch dann kommt es zu Anschlägen auf verschiedene Politiker – und die Welt, wie Emi und ihr Vater sie kannte, bricht damit zusammen. Denn in den darauffolgenden Ermittlungen ist Emis Mutter die Hauptverdächtige.
Dieses Buch erzählt eindringlich und aus mehreren Perspektiven von einer Welt vor dem Abgrund. Während Emi von einer scheinbar perfekten Welt berichtet, spricht ihr Vater Larch von seinem Kampf ums Überleben in Flüchtlingslagern, über Waldbrände, unerträgliche Hitze und harte Arbeit. Der Generationenkonflikt ist unausweichlich und wird unglaublich gut und glaubwürdig beschrieben.
Die nahe Zukunft, wie sie hier dargestellt wird, würde sich wohl niemand wünschen – aber sie entspricht durchaus dem, was auch wir durch den Klimawandel erwarten können. Die Folgen der Klimakrise werden klar gezeigt – und damit auch die Opfer, die nötig sind, um der Menschheit eine zweite Chance zu verschaffen. Climate Fiction vom Feinsten und damit eine große Empfehlung für alle Bestände!
Laura Pellizzari | biblio
Peter Grandl: Höllenfeuer
: Thriller / Peter Grandl. - Originalausgabe
- München : Piper, 2024. - 475 Seiten
ISBN 978-3-492-06450-7 Â Â Â Â Â Broschur : EUR 18,50 (AT)
Ein perfekt recherchierter Politthriller, der so einige Überraschungen parat hält. (DR)
Am 12. September 2022 blickt die Welt nach München. Nicht weil gerade das Oktoberfest stattfindet, sondern weil ein Islamist in der Linie 6 der Münchner U-Bahn einen Anschlag verübt. 300 Menschen verlieren ihr Leben und das ganze Land ist in Schockstarre. Während in Deutschland der Ausnahmezustand herrscht, arbeiten Behörden und Polizei eng zusammen, um noch Schlimmeres zu verhindern. So machen sich die beiden Kriminalkommissare Torge Prager und Markus Erdmann sofort daran, den Attentäter zu befragen. Doch dieser wird ermordet, bevor er verraten kann, ob noch weitere Anschläge geplant sind. Dennoch sind sich die beiden Ermittler sicher: Dieses Attentat war nicht das letzte.
Peter Grandl erzeugt mit »Höllenfeuer« regelrecht Kopfkino. Flüssig, fesselnd und einnehmend beschreibt der Autor etwas, das uns leider viel zu vertraut ist: einen terroristischen Anschlag. Erschreckend detailliert und beängstigend realistisch führt Grandl die Leser*innen in eine Situation, vor der sich viele Menschen fürchten. Er spickt seinen Handlungsstrang mit derart realistischen Wendungen, dass es einem von Kapitel zu Kapitel immer kälter den Rücken herunterläuft. Absolute Leseempfehlung!
Edith Ratzberger | biblio
Dorothee Riese: Wir sind hier für die Stille
: Roman / Dorothee Riese. - Berlin : Berlin Verlag, 2024. - 234 Seiten
ISBN 978-3-8270-1493-1Â Â Â Â Â Festeinband : EUR 22,70 (AT)
Aufwachsen in einem abgelegenen Dorf in Siebenbürgen. (DR)
Wohl als Rebellion gegen die gutbürgerlichen, einst mit den Nazis sympathisierenden Vorfahren trägt Kurt Schiller einen Rauschebart, geht immer barfuß und lebt in einem Bauwagen in Bad Rosau. Von dort zieht er mit seiner Frau Anna und der kleinen Tochter Judith in das entlegene, rückständige rumänische Dorf Sarmizegetusa – womit er sich noch entschiedener gegen die Konvention stellt. Er hat vor, dort Entwicklungshilfe zu leisten, verwaltet und verteilt Hilfslieferungen aus Deutschland und organisiert eine Strickmützenaktion. Die Frauen des Dorfes fabrizieren bunte Hauben, die Kurt auf deutschen Weihnachtsmärkten verkauft. Judith wird dort eingeschult, erlernt die rumänische Sprache sehr rasch, weil sie eine »Streberin« ist, während ihrer gesamten Schullaufbahn (auch später im Internat in der Kreisstadt) hat sie hervorragende Zensuren. Aber Judith lernt auch von der Vielfalt der Begegnungen im Dorf, das von Siebenbürger Sachsen, Magyaren, Roma und Rumänen besiedelt ist, und vom Leben mit den Tieren (ein Hahn als Geschenk der alten Lizitanti, Ziegen, Schafe, Pferde …). Ihre beste Freundin wird das Ziegenmädchen Irina, »die Rotzige«, die selten zur Schule geht, weil sie auf ihre kleinen Geschwister aufpassen muss. Die Sitten sind rau, grobe Schimpfwörter gang und gäbe, Gewalt ist alltäglich (auch Judith stößt im Streit ihre Freundin über die Treppe oder schlägt ihr die Nase blutig).
Diese ungewohnte Prägung wird ganz aus dem Blickwinkel des heranwachsenden Mädchens und auch in dem entsprechenden kindlichen Tonfall geschildert. Die einzigartige Sprache eignet sich hervorragend, die Vertrautheit der Protagonistin Judith mit einer uns befremdlichen Lebenswelt gut nachvollziehbar zu vermitteln.
– Lesenswert!
Maria Schmuckermair | biblio
Nicola Schmidt: Artgerecht
: das andere Schulkinder-Buch / Nicola Schmidt ; illustriert von Claudia Meitert.
- München : Kösel, 2024. - 318 Seiten : Illustrationen
ISBN 978-3-466-31173-6Â Â Â Â Â Festeinband : EUR 22,70 (AT)
Erziehungsratgeber für die turbulente Zeit zwischen Kleinkindalter und Pubertät. (PN)
Wissenschaftsjournalistin und Bestseller-Autorin Nicola Schmidt erweitert ihre »Artgerecht«-Reihe um den vorliegenden Band, der die 6- bis 12-Jährigen in den Blick nimmt. Gerade in dieser Altersspanne erfolge eine essenzielle Weichenstellung für die Entwicklung zu einem kompetenten Erdenbürger. Egal ob Lernen, Freundeskreis, Selbstständigkeit, Medien, Familienleben, Versorgung mit Nahrung und Schlaf und schließlich die Sexualität – Schmidt findet einen erfrischenden Ton, diese heiklen Bereiche mit einer eleganten Leichtigkeit wissenschaftsbasiert, humorvoll und inspirierend aufzugreifen. Dieser Leitfaden zeigt uns einen Weg, wie diese Lebensphase bindungsorientiert gestaltet werden kann. Die einzelnen Kapitel folgen einem wiederkehrenden Muster: Ausgehend von falschen Erwartungen nimmt die Autorin uns mit, beschreibt, was einerseits die Wissenschaft zum jeweiligen Thema herausgefunden hat, um dies dann wiederum in Form pädagogischer Kniffe in den Alltag zu übertragen. Am Ende des Kapitels gibt es unter anderem Expertinnen-Interviews und die FAQ.
Als Wegweiser und bester Freund in schwierigen Situationen enthält das Buch schnellzugängliches Hintergrundwissen, Antworten und Impulse für die fordernden Lebensjahre unserer Sprösslinge. Ein nachgestelltes Register ermöglicht es, anhand einfacher Stichworte das jeweilige Kapitel rasch parat zu haben. Nicola Schmidt öffnet uns die Tür zu ihrer eigenen Erziehungsvita und bestärkt durch ihre Offenheit, den bindungsorientierten Weg mit ihr zu gehen. Eine unbedingte Empfehlung.
Anna Goiginger | biblio
Elisabeth Grindmayer: Ein Jahr in Schweden
: Rezepte und Geschichten / Elisabeth Grindmayer.
- Münster : Hölker Verlag, 2024. - 175 Seiten : Illustrationen
ISBN 978-3-7567-1020-1Â Â Â Â Â Festeinband : EUR 30,90 (AT)
Eine kulinarische Schwedenreise und zugleich schwedisch geprägtes Lebensgefühl. (VL)
Im Rhythmus der vier Jahreszeiten erfolgt eine Einführung in die schwedischen Traditionen, die nordische Lebensweise und deren kulinarische Besonderheiten. Vorrangiges Lebensgefühl der Schwed*innen ist die »Fika«, ein Moment der Ruhe, eine kleine Kaffeepause oder Zwischenmahlzeit, die sowohl privat als auch bei der Arbeit zelebriert wird. Dazu gibt es zwölf Rezepte für z. B. Zimtschnecken, Haferkekse und Mandeltorte.
Der zweite Abschnitt »Friluftsliv« erzählt vom »Jedermannsrecht«, dem freien Zugang zur Natur, der etwa beim Wandern, Waldbaden, Radfahren oder Bootfahren in Anspruch genommen wird. Passend dazu gibt es Rezepte mit »wilder Natur« (Beeren, Pilze, Grünzeug). Die Autorin liefert darüber hinaus Vorschläge für selbstzubereitete Lunchpakete.
Die allerschönste Jahreszeit ist für Grindmayer der Mittsommer mit seinen vielen Festen und dazugehörigen kulinarischen Highlights. Den Abschied von den hellen Sommertagen zelebriert man etwa mit dem »Krebsfest«. Die dunkle Winterzeit wird mit dem Luciafest und Jul, dem traditionellen Weihnachtsfest, vor allem aber mit wärmenden Speisen und Glühwein in geselliger Runde genossen.
Ergänzend finden sich zu jedem Zeitabschnitt persönliche Alltagsgeschichten oder »sagenumwobene« Erzählungen. Vielfältig anschauliches Bildmaterial macht dieses erzählende Sachbuch zu einem Lesevergnügen mit kulinarischem Mehrwert.
Jutta Kleedorfer | biblio
Wolfgang Palaver: Für den Frieden kämpfen
: in Zeiten des Krieges von Gandhi und Mandela lernen / Wolfgang Palaver.
- Innsbruck ; Wien : Tyrolia , 2024. - 119 Seiten
ISBN 978-3-7022-4179-7Â Â Â Â Â Broschur : EUR 18,00 (AT)
Gedanken der beiden Friedenskämpfer Gandhi und Mandela. (PR)
Mahatma Gandhi und Nelson Mandela sind Ikonen der Friedensbewegung. Auf sie beruft man sich gerne, wenn es um gewaltfreien Widerstand gegen Ungerechtigkeiten und unheilvolle Zustände aller Art geht – allerdings oft, ohne sich mit ihren Positionen wirklich auseinanderzusetzen. Wolfgang Palaver, Sozialethiker an der Universität Innsbruck und Präsident von Pax Christi Österreich, analysiert ihre Ansätze und Ideen und arbeitet heraus, dass es ihnen keineswegs um Frieden um jeden Preis ging. Stattdessen soll das Unrecht beim Namen genannt und dagegen vorgegangen werden – so gewaltfrei wie möglich. Dies schließt überlegten aktiven Widerstand ein und ist immer mit persönlicher Einsatzbereitschaft bis zum Letzten verbunden. Hier treffen sich das Gedankengut Gandhis und Mandelas mit dem des Neuen Testaments, aber auch mit dem anderer Religionen oder Weltanschauungen.
Papst Johannes XXIII. hat es aufgegriffen, indem er 1963 seine Friedensenzyklika »Pacem in terris« an »alle Menschen guten Willens« richtete und jeden Einzelnen aufrief, das ihm Mögliche zu tun, der Gewalt ihren Nährboden möglichst gewaltfrei zu entziehen. Ähnlich äußerten sich auch die nachfolgenden Päpste, wobei Papst Franziskus ausdrücklich auch Verteilungsprobleme, Umweltzerstörung, mangelndes Vertrauen, fehlende Vergebungsbereitschaft u. a. als Konfliktherde hervorhebt. Für Gandhi, Mandela, Jesus und andere Friedenskämpfer, auf die Palaver eingeht, gilt, dass sie – und das ist eine weitere Gemeinsamkeit aller Religionen – nie die Hoffnung verloren haben.
Niemand kann sagen, wie sich aktuelle Krisenherde entwickeln. Auch wird es keine großen Lösungen geben, was zählt, ist die Macht der vielen kleinen Schritte. Dazu Gandhi: »Kein Mensch kann der Gewalt ein Ende setzen. Das kann nur Gott. Die Menschen sind Werkzeuge in seiner Hand... Deshalb müssen wir Versuche machen, soweit es in unserer Macht steht.« (S. 94)
Hanns Sauter | biblio