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biblio : aktuelle buchtipps

Buchtipps / 2017 / Februar

erstellt von der STUBE und dem Österreichischen Bibliothekswerk

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Terry und Eric Fan: Der Nachtgärtner

/ Terry und Eric Fan. - Berlin : Jacoby und Stuart, 2016. - [22] Bl. : überw. Ill.
ISBN 978-3-946593-03-4    fest geb. : ca. € 15,40

Etwas Magisches passiert des Nachts in dem tagsüber gräulich-tristen Grimlochweg. Baumkronen verwandeln sich durch unbekannte Hand in phantastisch-verspielte Blätterwesen, werden Eule, Katze und Drache. Als Betrachter_innen begeben wir uns in der Perspektive des Waisenjungen William auf die Spuren des Nachtgärtners – ein alter Herr, dessen geheimnisvoller Weg bereits auf dem eindrucksvoll gestalteten Vorsatzpapier beginnt. Durch seine nächtlichen Kunstwerke bringt er Leben in den grauen Alltag der Bewohner_innen des nicht zufällig so bezeichneten Grim(m)lochwegs und Farbakzente in die feinen Schwarz-Weiß-Zeichnungen. Immer mehr Menschen (und Tiere) unterschiedlichsten Alters sowie verschiedenster Ethnien und Religionen sammeln sich, um gemeinsam die ungewöhnlichen Baumskulpturen zu bestaunen. Vor allem die Kinder sind es, die sich den zuvor starren Raum mit jeder Seite und jedem neuen Tagesanbruch mehr und mehr aneignen, die Blätterkunstwerke des Nachtgärtners bespielen und das zunächst noch statische Tagesgeschehen im Grimlochweg dynamisieren.
Das kanadische Brüderpaar Terry und Eric Fan erzählt in diesem Debütbilderbuch von einer mysteriösen Kraft, die leuchtende Spuren in den Menschen, die ihr begegnen, hinterlässt. Die kunstvoll gestalteten Doppelseiten erzeugen eine außergewöhnlich harmonische Atmosphäre und zeugen trotz ihrer Bildkraft von einer Leichtigkeit, die auch William erfasst, als er eines Nachts eine überraschende Entdeckung macht.
Und auch wenn die Jahreszeiten vergehen und die einst so eindrucksvollen Skulpturen des plötzlich verschwundenen Nachtgärtners ihre grün-leuchtende Blätterpracht verlieren, so bleibt doch etwas von der Magie der kleinen Freuden und der wundersamen Kunst des Nachtgärtners zurück. Keine große Wortgewalt, sondern lediglich eine Schere und etwas Kreativität ist es, was es für die Geschichte, und um den Grimlochweg erneut in Magie zu tauchen, braucht. Ab 4 Jahren.

Claudia Sackl | STUBE 

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Esther Ehrlich: Nest

 / Esther Ehrlich. Aus dem Engl. von André Mumot. - Hamburg : Aladin, 2016. - 311 S.
ISBN 978-3-8489-2077-8      fest geb. : ca. € 15,40

Naomi „Chirp“ Orenstein liebt Vögel, sie kennt sie alle, vom Rotschulterstärling bis zur Silbermöwe, kennt ihre Gewohnheiten, ihre Vorlieben. Sie leben auf Cape Cod in den Salzmarschen und dort kommt auch Chirp zur Ruhe, kann aufatmen, fliehen vor dem Haus, in dem es plötzlich so anders ist, jetzt, da ihre Mutter nicht mehr aufstehen kann.
Chirps Mutter leidet an Multipler Sklerose, was die ehemalige Profitänzerin in eine schwere Depression stürzen lässt. Als sie beschließt, ihre Familie für immer zu verlassen, verkriecht sich Chirp in einem Nest aus Decken, Polstern und Erinnerungen. Erinnerungen, die schmerzen und sie zum Schweigen bringen.
Berührend und gar nicht kitschig erzählt die US-amerikanische Autorin aus der Ich-Perspektive der elfjährigen Erzählerin, wie diese mit ihren Gefühlen und ihrer Trauer auf ihre ganz persönliche Weise umgeht, von der belastenden psychiatrischen Therapie ihrer Mutter und von Chirps zögerlicher Freundschaft mit dem Nachbarsjungen Joey, mit dem sie aus ihrer Erstarrung und der gewohnten Umgebung ausbricht. Überzeugend zeichnet Esther Ehrlich in ihrem gefühlvoll ausgestalteten Debütroman Naomis Charakter, die aufgrund ihrer beinahe obsessiven Faszination für Vögel „Chirp“ (Englisch für „zwitschern“) genannt wird: „‚Als du zur Welt kamst, habe ich mir geschworen, dass du es im Leben einfacher haben solltest als ich. […] Und jetzt…‘ Mom schnappt nach Luft. ‚Und jetzt…‘ Sie stößt langsam ihre Worte aus, als steckten sie in ihrem Mund fest. ‚Jetzt – hast – du – eine – kranke – Mutter.‘ Sie schließt mich wieder in die Arme. Meine Wange an ihrem Bauch. Sie stöhnt jetzt, ein süßer, leiser Laut, wie von einer Taube. Ich umklammere Mom fester. Ich mache meinen eigenen leisen Vogellaut. Gurrrrrr. Was könnte ich sonst auch tun für Mom?“
Ehrlichs bildhafte Sprache vermag dabei oft auszudrücken, was nicht immer gleich ausgesprochen werden kann. Genau an den richtigen Stellen weiß sie die Erzählung zu verlangsamen, innezuhalten, der Schwere Raum zu geben, und diese durch unscheinbare erleichternde und erheiternde Elemente wieder zu entlasten. Ab 12 Jahren.

Claudia Sackl | STUBE

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Yrsa Sigurdardóttir: DNA

: Thriller / Yrsa Sigurdardóttir. Aus dem Isländ. von Anika Wolff. - München : btb, 2016. - 478 S.
ISBN 978-3-442-75656-8      fest geb. : ca. € 20,60

Mit "DNA" startet die isländische Autorin eine neue Thriller-Reihe, deren Auftakt mehr als begeistert. (DR)

Eine junge Mutter kommt auf brutale Weise ums Leben - der Täter hinterlässt keine DNA, sondern nur die siebenjährige Tochter der Toten. Es gibt keine weiteren Spuren und keine Ansätze, um ihn zu finden. Um das Mädchen zu beschützen und ihm Details zum Mord an der Mutter zu entlocken, arbeitet die Psychologin Freyja vom Kinderhaus mit der Polizei zusammen. Da die attraktive Psychologin jedoch einen One-Night-Stand mit dem ermittelnden Kommissar Huldar hatte, gestaltet sich die Zusammenarbeit der beiden schwierig. Als ein weiterer Mord mit derselben brutalen Handschrift geschieht, ist klar, dass es sich nicht um ein Zufallsverbrechen gehandelt hat und Freyja mit Huldar wohl oder übel länger gemeinsam ermitteln muss.
Yrsa Sigurdardóttir beweist mit "DNA" einmal mehr, dass sie sich zur Riege der weltweit besten Thriller-Autoren zählen kann, denn sie fesselt ihre LeserInnen bereits ab der ersten Seite und lässt sie bis zum Schluss nicht mehr los. Durch Sigurdardóttirs Schreibweise und den gelungenen Aufbau des Romans taucht man tief in das Geschehen ein, fühlt und fiebert mit und vergisst die Welt rund um sich. Stück für Stück führt die Autorin die einzelnen Handlungsstränge so geschickt zusammen, dass sich Böses zwar erahnen, aber nicht voraussagen lässt.

Edith Ratzberger | biblio

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Dirk Stermann: Der Junge bekommt das Gute zuletzt

: Roman / Dirk Stermann. - Reinbek : Rowohlt, 2016. - 221 S. - (Hundert Augen)
ISBN 978-3-498-06438-9      fest geb. : ca. € 20,60

Eingebettet in ein furioses Geschichtenlabyrinth, erzählt der Junge Claude, wie es so ist, von der eigenen Familie sitzengelassen zu werden. (DR)

Claude ist gerade einmal dreizehn, als der Schlamassel so richtig beginnt. Der Vater, ein Posaunist, glänzt durch zynische Sprüche, seine Mutter, eine Ethnologin, bastelt an ihrer Selbstverwirklichung an der Seite eines peruanischen Straßenmusikers. Beide Elternteile zeichnen sich durch gelebte Exzentrik, Ich-Bezogenheit und Gefühlskälte aus. Die Wiener Wohnung wird nach der Trennung der Eltern geteilt, auf der einen Seite wohnen Vater und Sohn, auf der anderen Claudes geliebte Mama, der kleine Bruder und der Liebhaber. Claude verkörpert in diesem Roman den gesunden Menschenverstand, so wie er runzeln auch die LeserInnen die Stirn, wenn die Erwachsenen im Buch seltsame Entschlüsse fassen. Gottseidank gibt es Dirko, einen serbischen Taxler und begnadeten Geschichtenerzähler, der sich des Jungen annimmt und als eine Art Schutzengel über ihn wacht. Dieser findet Ablenkung in den skurrilen Episoden aus Dirkos Leben und eine Vertrauensperson, die ihm ein bisschen Nestwärme schenkt, als er plötzlich ganz alleine leben muss.
Dirk Stermann, bekannt als Moderator der Talkshow "Willkommen Österreich", archiviert mit einem Übermaß an Zuneigung die Geschichte eines liebesbedürftigen Jungen, für den das Schicksal anscheinend nur Trauriges bereithält, obwohl er, stark wie ein Bambusrohr im Wind, den ersten Stürmen noch trotzig die Stirn bietet. Als "Zuagroaster" in Österreich zeichnet der Autor gewohnt pointiert ein Bild der österreichischen Zustände und baut viele, viele Geschichtenabzweigungen ein. Zuviel Ablenkung vom eigentlichen Plot? Weit gefehlt, die Haupthandlung kann vor dem bunten Hintergrundmix bestehen, zu gut hat der Autor sie gezimmert. Die trostlose, stellenweise bitter-komische Geschichte des geplagten Jungen geht dermaßen ans Herz, dass man das Buch nach der letzten Seite nur tief betrübt schließen kann. Lesefreude pur mit Schmerzgarantie - ein geradezu unglaublich gutes Buch. Danke, Stermann.

Barbara Rieder | biblio

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Lida Winiewicz: Der verlorene Ton

: Roman / Lida Winiewicz. - Wien : Braumüller, 2016. - 239 S.
ISBN 978-3-99200-164-4      fest geb. : ca. € 22,00

Ein autobiografischer Roman, in dem eine der letzten ZeitzeugInnen beeindruckend ein Stück österreichischer Zeit- und Familiengeschichte erzählt. (DR)

Im ersten Teil taucht man lesend ein in das Leben einer gutbürgerlichen Wiener Familie zur Zwischenkriegszeit bis zum Einmarsch Hitlers 1938. Der leichtlebige Vater, beruflich Beamter bei der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft, erzählt seinen beiden Töchtern gerne märchenhafte Fortsetzungsgeschichten und schreibt seiner jüngeren Tochter einen fatalen Spruch ins Stammbuch, der sich bitter bewahrheiten wird. Nach dem frühen Tod der Mutter erleben die Mädchen eine unbeschwerte Kindheit dank einer fröhlichen Haushälterin. Im zweiten Teil bildet die Einheirat des Vaters in eine vornehme Großfamilie eine Zäsur, auch die nationalsozialistische Machtübernahme verändert das Leben der Kinder dramatisch: Sie gelten als "Mischlinge 2. Grades", werden von den flüchtenden Eltern unter der Obhut einer ungeliebten Stieftante zurückgelassen und kämpfen unter widrigsten Umständen, doch mit ungeheurer Willensstärke ums Überleben. Der Traum des jüngeren Mädchens, Sängerin zu werden, endet damit, dass durch die traumatischen Ereignisse ihre Singstimme die Höhe über das dritte G verliert. Der dritte Teil führt weit in die österreichische Nachkriegs- bzw. Besatzungszeit hinein und erzählt, wie die beiden jungen Frauen sich engagiert eine neue Existenz aufbauen, die mit dem ambivalenten Schlusssatz charakterisiert wird: "Angeblich gibt es ein Leben, auch wenn man nicht singen kann."
Eine genau beobachtende, ergreifende wie unglaublich lebendig und herzlich erzählte Lebens- und Familiengeschichte, die nicht nur ein Stück österreichischer Vergangenheit und Lebensart authentisch wiedergibt, sondern auch beschreibt, wie durch Willensstärke, Resilienzkraft und Bildung ein menschenwürdiges Überleben möglich ist. Sehr zu empfehlen.

Jutta Kleedorfer | biblio

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Yael Adler: Haut nah

: alles über unser größtes Organ / Dr. med. Yael Adler. Mit Ill. von Katja Spitzer. - München : Droemer, 2016. - 336 S. : Ill.
ISBN 978-3-426-27699-0      kart. : ca. € 17,50

Alles Wissenswerte über die Beschaffenheit, Entwicklung, Pflege und Probleme des Organs Haut. (NK)

Im ersten Kapitel erklärt die Dermatologin Yael Adler anschaulich und spannend, wie die Schichten der Haut aufgebaut sind, was es mit Schuppen, Falten und Pigmentierungen auf sich hat, warum es zu Leberflecken, Blasen und Dehnungsstreifen kommt, wie die Haut mit dem Gehirn in Verbindung steht und Schmerzen meldet. Was Gerüche der Haut über den Zustand des Menschen aussagen und in welcher Form der Stoffwechsel mit Cellulite zusammenhängt. Was die Haut im Laufe eines Lebens mitmacht und vor allem wie das Licht und die Sonne auf unsere Haut wirken, wird im zweiten Kapitel ausführlich beschrieben. Der Hauttypencheck und der Hautkrebs-Schnelltest sind lehrreich und einfach handzuhaben. Interessant ist auch der Abschnitt über die Pflege der Haut und darüber, dass beim Waschen auch oft übertrieben wird.
Als Hautärztin berät die Autorin über Auswüchse des Schönheitswahns, sieht Botox in der richtigen Dosis als unproblematisch an und spricht über mögliche Auswirkungen von Tattoos. Im dritten Kapitel "Ein Ausflug Genitalien" beschäftigt sich Adler mit der Erregung, mit Erregern und Geschlechtskrankheiten. In den letzten beiden Kapiteln "Die Haut ist, was du isst" und "Spiegel der Seele" gibt es noch sehr nützliche Anregungen für einen Lebensstil, der der Haut einfach guttut, sodass sich die Lesenden in ihrer Haut wohlfühlen. Wieder ein sehr gelungenes Nachschlagewerk aus dem Bereich populärwissenschaftliche Literatur.

Birgit Leitner | biblio

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Stephan Lessenich: Neben uns die Sintflut

: die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis / Stephan Lessenich. - Berlin : Hanser Berlin, 2016. - 223 S.
ISBN 978-3-446-25295-0      fest geb. : ca. € 20,60

Eine aufrüttelnde Bestandsaufnahme des globalisierten Kapitalismus und die Mechanismen von Ausbeutung und Ressourcenvernichtung. (GS)

Laut einer Studie von Oxfam für das Jahr 2016 besitzt das reichste Prozent der Weltbevölkerung so viel wie die restlichen 99 Prozent. Das ist keine neue Erkenntnis. Schon Eduardo Galeano hat in seinem Klassiker von 1973 "Die offenen Adern Lateinamerikas" bitter konstatiert: "Die internationale Arbeitsteilung besteht darin, dass einige Länder sich im Gewinnen und andere im Verlieren spezialisieren." Umso mehr ist es ein Skandal, dass dieser Zustand trotz des Wissens darum noch immer anhält. Stephan Lessenich legt den Finger in diese Wunde und widerlegt die Argumente jener, die die Verantwortung für die katastrophalen Lebensbedingungen in den Ländern des Südens deren Bewohnern zuschreiben. Wer willens ist, sich mit den Mechanismen, mit denen die Armut fortgeschrieben wird, zu befassen, erkennt, dass wir etwas tun müssen. Der Raubtierkapitalismus funktioniert nach der Devise des ungebremsten Wachstums und ging schon immer einher mit Kolonialisierung und Sklavenarbeit. Lessenich führt viele Beispiele an, z.B. die Dammbrüche in der brasilianischen Mine Mariana 2015, welche die umliegenden Bergdörfer und einen Teil ihrer Bewohner unter sich begruben und die Lebensader der Region, den Fluss, verseuchten. Oder die Kinder in Thailand, die 16 Stunden am Tag in eisigem Wasser Shrimps schälen müssen, um den Hunger der westlichen Welt nach Meeresfrüchten zu befriedigen. Kinder in Afrika wühlen mit bloßen Händen im Elektronikschrott aus Europa, um sich ein kümmerliches Taschengeld zu verdienen.
Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Und es ist wohl wahr, dass skrupellose Konzernbetreiber, die sich nicht um Mindestlöhne oder Umweltauflagen kümmern, die Verursacher sind. Nicht weniger wahr ist es aber, dass die KonsumentInnen in den reichen Ländern dafür sorgen, dass die Nachfrage nach Smartphones, "preiswerten" Textilien usw. nicht abreißt. Allerdings wird uns, nicht zuletzt angesichts der Flüchtlingskrise, mulmig und wir ahnen, dass es nicht ewig so weitergehen wird, allen Mauern und Zäunen zum Trotz.
Obwohl das Erstarken des Rechtspopulismus nichts Gutes verheißt, Europa hätte die große Chance, ein menschliches Gesicht zu zeigen: Verlieren wir nicht den Mut, verweigern wir uns einem Konsum, der auf Ausbeutung beruht, und machen wir uns klar, was unser Verhalten für uns alle und den Planeten für Folgen hat. Stephan Lessenichs Buch ist eine bedrückende und beschämende Lektüre, die man gerade deshalb dringend empfehlen muss.

Ingrid Kainzner | biblio

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Gunnar Decker: Franz von Assisi

: der Traum vom einfachen Leben / Gunnar Decker. - München : Siedler, 2016. - 429 S. : Ill.
ISBN 978-3-8275-0061-8      fest geb. : ca. € 27,80

Franziskus - aufgerieben von der Spannung zwischen dem eigenen Charisma und der Vereinnahmung durch damalige Machthaber. (PR)

Franz von Assisis Bestreben, arm dem armen Christus zu folgen, hat eine Strahlkraft über viele Grenzen und Jahrhunderte hinaus - unbeschadet dessen, wohin das Ideal des Franziskus im Laufe der Kirchengeschichte hin gedacht wurde. Anliegen dieses lesenswerten Buches ist, dem originalen Franziskus zu begegnen. Der Autor ist hervorragend mit den Quellen bewandert und versteht es, seine Gestalt aus allen hagiografischen Überformungen herauszuschälen. Breiten Raum nimmt die Darstellung des historischen Kontextes ein. Dadurch tritt das Eigene des Franziskus sowohl der damaligen Amtskirche als auch den gleichzeitig auftretenden anderen religiösen Armutsbewegungen gegenüber deutlich hervor. Wurden diese von der Amtskirche oft brutal unterdrückt, musste sich Franziskus gravierende Eingriffe in seine Vorstellungen von einer Gemeinschaft in der Nachfolge Christi gefallen lassen. Letztlich scheiterte er an den etablierten Kräften von Bürgertum, Kirche und Adel, die ihn zwar zu Lebzeiten schon als Heiligen betrachteten, von seinem herausfordernden Leben aber nur das akzeptieren wollten, was in ihre Vorstellungen passte. Die Kirche sollte zwar reformiert, aber der eigene Einfluss nicht eingebüßt werden.
Dieser Spannung war von Anfang an auch die Bruderschaft ausgesetzt, die sich um Franziskus bildete. Der Autor zeichnet an einigen markanten Beispielen ihren Weg nach, der einmal mehr, einmal weniger der Intention ihres Gründers entspricht und bis heute eine Herausforderung für die Kirche ist. Die Lektüre macht betroffen und nachdenklich, motiviert dazu, den eigenen Lebensstil zu überdenken und sich für eine authentische und glaubhafte Kirche zu engagieren.

Hanns Sauter | biblio

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