Buchtipps / 2025 / Mai
erstellt von der STUBE und dem Österreichischen Bibliothekswerk

Gabriel Evans: Hör mal, Hippo!
/ Gabriel Evans ; aus dem Englischen von Cordula Setsman.
- München : Mixtvision, 2025. - 36 ungezählte Seiten : Illustrationen
ISBN 978-3-9585424-5-7 Festeinband : EUR 17,50 (AT)
Billy ist sehr traurig und will seinem Freund Hippo erzählen, weshalb. Doch jedes Mal, wenn Billy mit den Worten »Hör mal, Hippo ...« ansetzt, wird er von Hippos Aufheiterungsversuchen unterbrochen: Hippo animiert Billy zum Verkleiden, Herumtanzen zwischen Kirschblüten, Zauberwettfliegen, Partyfeiern und vielem mehr – allesamt Aktivitäten, die Hippo immer aufheitern, aber Billys Gefühlslage keineswegs verbessern. Am Ende geht es Billy erst besser, nachdem Hippo ihm zugehört hat und er seinem Freund alles anvertrauen konnte, was ihn belastet.
Obwohl die Botschaft des Buches simpel ist, ist die Umsetzung überaus gelungen. Die von gelben Linien geprägten Buntstiftillustrationen sind äußerst witzig und pointiert. Auf jenen Seiten, auf denen Billy und Hippo zwischen Kirschblüten tanzen oder mit einem fliegenden Teppich über die Stadt fliegen, schafft es der Illustrator gekonnt, sowohl Hippos Begeisterung für seine Aktivitäten als auch Billys andauernde Traurigkeit auszudrücken. Dabei stehen Hippos großes Lächeln und die farbenfrohe Umgebung in deutlichem Widerspruch zu Billys getrübter Miene. Ein weiteres illustratorisches Highlight ist Hippos Partykostüm, das mit einer viel zu kleinen, schrillen Brille, einer Perücke und Pantoffeln Leser*innen zum Schmunzeln bringen wird.
Auch mithilfe des Layouts wird auf die Rolle des Zuhörens eingegangen. Beispielsweise werden Hippos verschiedene Aufmunterungstechniken am Ende eng in herabsteigender Form aufgezählt, während das finale Zuhören überproportional groß in der einzigen Illustration, die sich über die gesamte Doppelseite erstreckt, dargestellt wird – und somit dessen Bedeutung betont. Außerdem ist die Sprache in diesem Bilderbuch sehr poetisch und beschreibt Billys emotionalen Zustand anschaulich: »Traurigkeit, die einfach nicht von ihm abfallen wollte, wie Herbstlaub, das noch im Winter an den Bäumen hängt.«
Ein herzerwärmendes Buch über die Bedeutung des Zuhörens!
Claudia Gschwendt | STUBE

Tobias Wagner: Death in Brachstedt
: Roman / Tobias Wagner. - Weinheim : Beltz & Gelberg, 2025. - 206 Seiten
ISBN 978-3-407-75995-5 Broschur : EUR 14,40 (AT)
Seit dem Tod seiner Mutter lebt Leo mit seinem Vater zusammen. Kurz vor Ostern verschwindet dieser jedoch auf einmal. Zwar macht sich der 15-Jährige Sorgen – sein Vater ist in letzter Zeit immer schusseliger und seltsamer geworden –, eine Erkenntnis aber ist vorrangig: Kein Vater im Haus bedeutet eine Woche Ferien mit sturmfreier Bude. Das muss ausgenutzt werden, meint zumindest Henri, Leos bester Freund, begeisterter Cineast und größter Verehrer von Quentin Tarantino. Also wird nicht nur eine ypsilonische Party geplant, sondern auch ein No-Budget-Kurzfilm mit Leo in der Hauptrolle gedreht. Der ist wiederum anfangs nicht sonderlich begeistert, denn mit Filmen hat er wenig am Hut – abgesehen von Tatort-Kommissarin Nora Tschirner, die der Junge nicht nur sehr attraktiv findet, sondern mit der er in Notfällen auch in Gedanken telefoniert. Trotzdem lässt er sich überreden, denn es ist schließlich eine willkommene Abwechslung und zugleich eine Ablenkung vom Verschwinden des an Demenz erkrankten Vaters. Außerdem wird bei der Party Maja dabei sein, die Leo sogar noch hübscher findet als Nora Tschirner ...
Der Titel des Debüts von Tobias Wagner führt in etwa so weit in die Irre wie seine verschiedenen, zum Teil etwas absurden Erzählstränge – auch wenn es sich bei »Death in Brachstedt« um den Namen des Kurzfilms handelt, den Leo und Henri gemeinsam drehen (und in dem tatsächlich jemand umkommt). Trotz der mit 208 Seiten überschaubaren Länge schafft es Tobias Wagner, einfühlsam so unterschiedliche und große emotionale Themen wie Liebe, Familie oder Tod (die laut Henri in Filmen, Musik und eben auch Büchern einfach immer funktionieren) auf unkonventionelle Art in die Handlung einzubauen, ohne dass der Lesefluss gestört wird. Das mit dem Peter-Härtling-Preis 2025 ausgezeichnete Manuskript überzeugt damit nicht nur durch die beiden ungleichen Protagonisten, sondern auch durch die gelungene Mischung aus unterhaltsamen intermedialen Referenzen und durchgeknallter Handlung.
Eleni Steinborn | STUBE

Michael Köhlmeier: Die Verdorbenen
: Roman / Michael Köhlmeier. - München : Hanser, 2025. - 157 Seiten
ISBN 978-3-446-28250-6 Festeinband : EUR 23,70 (AT)
Ein raffiniert konstruierter Erzähltext über das Böse. (DR)
In diesem kurzen Roman erkundet Köhlmeier einmal mehr die Erscheinungsformen des Bösen. Der Ich-Erzähler Johann schildert aus der Distanz von vier Jahrzehnten, wie er Anfang der 1970er-Jahre zum Studieren nach Marburg kam. Dort lernt er Tommi und Christiane kennen. Ohne dass ihre Beweggründe klar werden, beschließt Christiane, von nun an mit Johann zusammenzuleben. Dieser lässt sich darauf ein und es entsteht eine fatale Dreiecksliaison, die der Erzähler mit all ihren Peinlichkeiten und Erniedrigungen gnadenlos ausleuchtet. Es eröffnet sich dabei ein sehr ernüchterndes Bild von der damals jungen Generation, die angetreten war, die Einschränkungen von Kleinfamilie und Zweierbeziehungen zu überwinden.
Während er das Experiment der Dreiecksbeziehung durchlebt, erinnert sich Johann an eine lange zurückliegende Unterredung mit dem Vater. Der hatte ihn einst gefragt, was er unbedingt in seinem Leben einmal machen möchte. Die nicht laut ausgesprochene Antwort hatte gelautet: Einmal möchte ich einen Mann töten. Dieser Satz ist im Gedächtnis des Erzählers haften geblieben und lenkt sein Handeln später in eine verhängnisvolle Richtung. Am Ende gibt es mehr als einen Toten.
Köhlmeiers Roman ist eine erzählerische Reflexion über das Böse ohne Sinn. Dieses ist nicht kausal begründbar, aber in seinen Erscheinungsformen sehr wohl fassbar - in Gewissen- und Empfindungslosigkeit, in innerer Leere und Ziellosigkeit etwa. Der Text bearbeitet die Thematik raffiniert, überrascht immer wieder mit ironischen Anspielungen und stellt Gewissheiten auf den Kopf. Ein tolles Werk, das ein neues Licht auf die Generation der heute Siebzigjährigen wirft. Absolut lesenswert!
Karl Vogd | biblio

Genevieve Novak: No Hard Feelings
: Roman / Genevieve Novak. - Köln : Pola, 2025. - 365 Seiten
ISBN 978-3-7596-0023-3 Broschur : EUR 18,50 (AT)
Endlich aufhören zu warten… (DR)
Penny kann es nicht fassen: Plötzlich sind ihre beiden besten Freundinnen Bec und Annie so richtig erwachsen. Bec hat sich verlobt und Annie wird demnächst Partnerin in einer Anwaltskanzlei sein. Unglaublich! Natürlich ist sie stolz auf ihre Freundinnen. Und Penny selbst? Die hat eine On-Off-Beziehung mit dem Doktoratsstudenten Max und hasst ihren Job. Und zur Therapie muss sie jetzt auch noch, weil ihre Freundinnen eine ihrer Panikattacken miterlebt haben. Dabei hat sie gar kein Problem. Sie hat es nur so satt, die ganze Zeit zu warten: Darauf, dass sich Max endlich für sie entscheidet. Darauf, dass ihr Job endlich spannend wird, ihre Chefin ihr Potential erkennt und sie befördert. Darauf, dass ihre Freundinnen endlich auch mal wieder Zeit für sie haben.
Auch wenn es sich nicht so anhört: Dieses Buch war eine Wohlfühllektüre, die mich an »Bridget Jones« erinnerte. Leser*innen finden hier eine chaotische, aber trotzdem irgendwie liebenswürdige End-Zwanzigerin, die sich einfach nur geliebt fühlen will, spannende Therapiesitzungen, schlechte Dates und ganz viel trockenen Humor. Es machte mir Spaß, Penny ein Stück weit auf ihrem Weg begleiten zu dürfen, und es war schön zu sehen, wie sehr sie im Laufe der Handlung wächst. Allen Bibliotheken wärmstens empfohlen!
Laura Pellizzari | biblio

Helge Timmerberg: Einer kriegt sie alle
: von London bis Nizza: ein Wiener Zielfahnder auf Verbrecherjagd
/ Helge Timmerberg. - Salzburg : Ecowin, 2024. - 179 Seiten
ISBN 978-3-7110-0357-7 Festeinband : EUR 24,00 (AT)
Kurze Erzählungen über die weltweite Arbeit eines Zielfahnders. (DR)
Bei einem Buch von Helge Timmerberg weiß man von der ersten Seite an, dass da einer »schreiben kann«. Der deutsche Journalist und Schriftsteller sucht sich für seine Reportagen oft Themen, über die die Durchschnittsleser*innen noch nicht allzu viel wissen. Dies ist auch beim vorliegenden Buch der Fall, in dem Timmerberg ein paar reale Fälle eines Zielfahnders namens Tommy in seinem typischen Stil niederschreibt.
Ein Zielfahnder tritt erst dann in Erscheinung, wenn der Täter schon feststeht. Tommy, der seit mehr als 20 Jahren weltweit für das Bundeskriminalamt tätig ist, muss jene Täter aufspüren, die sich im Ausland in Sicherheit wiegen. Und so führen die vorliegenden Ermittlungen in die Altstadt von Genua, wo für einen berüchtigten Betrüger aus Wien die Handschellen klicken, in die Dominikanische Republik, nach London und nach Nizza. Ein vielfach gesuchter marokkanischer Gigolo hat nie daran gedacht, dass er einmal von einem Wiener Kriminalbeamten an der Côte d’Azur aufgegriffen werden würde. Dass es in dem von Gewalttaten und Brutalität dominierten Berufsalltag auch etwas zu lachen geben kann, zeigt die Geschichte eines Einbruchs in eine Wiener Altbauwohnung, bei dem sich drei ansonsten unerschrockene Profi-Einbrecher von der markerschütternden Stimme eines um Hilfe rufenden Opernsängers in die Flucht schlagen lassen. Alles in allem ein sehr spannendes, gut zu lesendes Buch. Sehr zu empfehlen!
Johannes Preßl | biblio

Susanne Mierau: Emotional Load
: wie Mütter frei von emotionaler Überlastung werden / Susanne Mierau.
- Weinheim : Beltz, 2025. - 251 Seiten
ISBN 978-3-407-86833-6 Broschur : EUR 22,70 (AT)
Leitfaden, wie Mütter sich von emotionaler Last befreien können. (PI)
In den letzten Jahren war der Mental Load in aller Munde – vor allem (junge) Eltern jonglieren mit den neuen Herausforderungen, die eine Elternschaft mit sich bringt. Susanne Mierau, Expertin für bedürfnisorientiertes Familienleben, geht in ihrem neuesten Buch einen Schritt weiter und richtet den Fokus nun auf Mütter, die heute emotional extrem gefordert sind. In unserer krisengebeutelten Zeit begleiten und regulieren Mütter ihre Kinder emotional, obschon viele von ihnen dies in der eigenen Kindheit nie erfahren haben. Als Mittler zwischen alter und nachfolgender Generation moderieren sie Großelternkonflikte, mitunter auch Uneinigkeit mit dem Partner über das Thema Elternschaft/Erziehung. Daneben sorgen sie für Harmonie in der Partnerschaft und selbstverständlich auch in der Arbeit. Das Gefühl, für die Gefühlswelt aller Mitmenschen verantwortlich zu sein, genau das sei Emotional Load – zumeist kommt er unsichtbar daher, läuft unbemerkt im Hintergrund und ist dennoch höchst energieraubend.
Ziel des Buches ist es, dass die Leserin ihren persönlichen Emotional Load identifiziert und reflektiert, um letztlich negative Muster aufzubrechen und an ihnen zu arbeiten, um darin Entlastung zu finden. Dafür offeriert das Buch diverse Praxis-Beispiele, Reflexionsanregungen und Übungen. Entlang übergeordneter Kapitel ergründet das Buch zuallererst unsere ersten individuellen emotionalen Prägungen, betrachtet sodann das patriarchalgeprägte System und bespricht schließlich, welche Möglichkeiten es gibt, die emotionale Last abzulegen. Viele Frauen und Mütter dürften sich vollends in diesen Buch gesehen und gehört fühlen. In einer sanften Tonalität weist Mierau auf Wege aus emotionalen Sackgassen hin. Eine absolute Empfehlung!
Anna Goiginger | biblio

Kurt Kotrschal:
Warum Hunde uns zu besseren Menschen machen
/ Kurt Kotrschal. - Wien : Brandstätter, 2024. - 183 Seiten : Illustrationen
ISBN 978-3-7106-0823-0 Festeinband : EUR 25,00 (AT)
Aufschlussreiche und gut zu lesende Ausführungen über das Verhältnis von Mensch und Hund. (NI)
Der Biologe, renommierte Verhaltensforscher und Hundefreund Kurt Kotrschal erforscht seit Jahrzehnten das Wesen von Hunden und Wölfen und deren Beziehung zum Menschen. Dabei kam er zum Schluss, dass zum Menschen kein anderes Tier besser passe als der Hund. Der Grund liegt darin, dass es keine längere Mensch-Tier-Beziehung als zu Hunden bzw. Wölfen gibt, und dass sich Menschen und Hunde eine lange evolutionsbiologische Vorgeschichte teilen und daher ein fast identisches soziales Gehirn haben, wobei Hunde das soziale und kooperative Wesen der Wolfsahnen von den Artgenossen auf Menschen umpolten, von diesen aber geführt werden wollen. Was Hundehaltende schon längst wussten, ist heute durch zahlreiche Studien belegt: Der Umgang mit Hunden befriedigt das menschliche Grundbedürfnis nach Nähe, befördert die Entwicklung von Kindern und unterstützt das selbstständige Leben älterer Menschen. Nicht unerwähnt lässt Kotrschal aber auch die problematischen Seiten dieser Beziehung, etwa das Risiko von Gewalt und Missbrauch oder die Frage nach dem ökologischen Fußabdruck.
Mit dem ansprechenden, wissensbasierten und trotzdem verständlich geschriebenen Band, der zudem mit zahlreichen Farbaufnahmen von Mensch-Hunde-Beziehungen angereichert ist, werden Hundehaltende und alle, die sich über das erstaunliche und im Zeitalter der Digitalisierung und Verstädterung immer wichtiger werdende Verhältnis von Mensch und Hund gründlich informieren wollen, ihre Freude haben.
Karl Krendl | biblio

Simone und Claudia Paganini: Der unbekannte Messias
: die Ecken und Kanten des Jesus von Nazareth / Simone und Claudia Paganini.
- Gütersloh : Gütersloher Verlagshaus, 2024. - 173 Seiten
ISBN 978-3-579-06238-9 Broschur : EUR 18,50 (AT)
Spannende Annäherungen an einen sehr menschlichen Jesus. (PR)
Von Jesus von Nazareth ist in den Evangelien ein eher geschöntes Bild überliefert, er begegnet einem (fast ausschließlich) als frommer, ausgeglichener und empathischer Mensch. Diese Sicht ist das Ergebnis einer Entwicklung, welche die göttliche Natur Jesu zuungunsten der menschlichen immer mehr in den Vordergrund rückte. Wer und wie aber war der »historische« Jesus? Diese Frage stellen sich Simone (Neutestamentler) und Claudia (Medienethikerin) Paganini im vorliegenden Band, den sie in drei Abschnitten anlegen: Der erste Abschnitt erörtert prägnant grundlegende – und für die Lektüre hilfreiche – Fragen und Methoden der modernen Bibelauslegung. Der zweite Abschnitt beleuchtet die Familie und die Anfänge des Wirkens Jesu und zeigt überforderte Eltern, einen problematischen Schüler, entnervte Geschwister sowie einen jungen Mann, der durch schroffes Auftreten gegenüber seiner Mutter auffällt. Im dritten Abschnitt schließlich begegnet Jesus als ein unruhiger, frustrierter, polarisierender und abweisender messianischer Wanderprediger aus Galiläa.
Diese mitunter irritierenden Aussagen über den Nazarener finden sich primär in apokryphen – also nicht in den Kanon des NT aufgenommenen – Texten, die in den Anfängen des Christentums zirkulierten, oder in gerne übergangenen Passagen in den Evangelien. Autorin und Autor wollen damit Jesus nicht desavouieren, vielmehr sind sie überzeugt, dass er dadurch menschlicher und nahbarer wird.
Karl Krendl | biblio