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biblio : aktuelle buchtipps

Buchtipps / 2021 / Jänner

erstellt von der STUBE und dem Österreichischen Bibliothekswerk

Adolfo Serra: Eine andere Geschichte

/ Adolfo Serra. Ins Deutsche übertr. von Nina Bitzer. - 1. Auflage - Hamburg : Jumbo, 2020. - [24] S. : zahlr. Ill. ; 29 cm
ISBN 978-3-8337-4187-6      fest geb. : ca. € 14,40

Nashorn und Nashornkäfer betrachten die Welt aus unterschiedlichen Blickwinkeln, was zu jeweils ganz unterschiedlichen Wahrnehmungen von sich selbst und ihrer Umgebung führt. Wir kennen das: Aus der Froschperspektive sieht die Welt endlos und oft auch etwas einschüchternd aus. Ein erhöhter Blick über die Hindernisse (des Alltags?) hinweg ermöglicht hingegen Weitsicht und eine gewisse Gelassenheit. Aber das vorliegende Bilderbuch des spanischen Künstlers geht über diese oft schon etwas abgeklatschten Gemeinplätze ebenso wie über das klassische Bild zweier einzigartiger und doch gleicher Freunde hinaus. Neben das graphische Spiel mit den anatomischen Ähnlichkeiten zwischen Säugetier und Insekt, die sich trotz der kategorischen Trennung ihrer Spezies in mehr als nur in ihrem Namen gleichen, stellt Adolfo Serra in seinen gezeichneten, gedruckten und collagierten Illustrationen die behutsame Geschichte einer Begegnung zwischen zwei völlig verschiedenartigen Wesen, die an eine befreiende Erkenntnis gebunden ist. Im Zusammenspiel zwischen kurzen, fast versartigen Sätzen und in zartes Rot, Grün, Gelb und Braun getauchten Bildern, die das tonnenschwere, riesige Nashorn und den leichtfüßigen, kleinen Nashornkäfer trotz ihrer Gegensätzlichkeit nuanciert in Szene setzen, betont die Erzählung, dass sich Individualität bzw. Differenz und Gleichwertigkeit keinesfalls ausschließen, sondern vielmehr gegenseitig bedingen. Diese vermeintlich einfache, in heutigen Tagen aber vielleicht umso bedeutendere Botschaft verwebt Adolfo Serra gekonnt mit einer (sowohl sprachlich als auch visuell) poetischen Narration, die kindliche und erwachsene Leser_innen gleichermaßen zu berühren vermag.

Claudia Sackl | STUBE

 

Elisabeth Steinkellner: Papierklavier

/ Elisabeth Steinkellner. Ill. von Anna Gusella. - Weinheim : Beltz und Gelberg, 2020. - [140] S. : Ill.
ISBN 978-3-407-75579-7      fest geb. : ca. € 15,40

Ermutigung, sich selbst und das Leben schön zu finden. (ab 15) (DR)

Erneut verleiht die österreichischen Autorin Elisabeth Steinkellner, die sich mit zahlreichen empfehlenswerten Publikationen am Kinder- und Jugendbuchmarkt einen Namen gemacht hat, einer jugendlichen Protagonistin eine authentische Erzählstimme: Maia, 16, schreibt Tagebuch. Oma Sieglinde, eine liebevolle Nachbarin, hat es ihr geschenkt. Nun ist sie tot. Maia und ihre beiden jüngeren Schwestern versuchen mit dem Verlust umzugehen. Am härtesten trifft es die kleine Heidi, die nicht nur eine fürsorgliche Ersatzoma, sondern auch ihre Klavierlehrerin verloren hat. Einstweilen wird auf dem "Papierklavier" geübt, bis die neben der Schule Doppelschichten schuftende Maia das Geld für Klavierstunden beisammen hat.
In Maias kurzen Tagebucheinträgen steckt so viel Atmosphäre, so viel Alltag, so viel Leben, wie es nur eine Elisabeth Steinkellner in wenigen Worten treffsicher einzufangen vermag. Schon nach wenigen Seiten hat man sich festgelesen, findet viel Zitierenswertes in diesen Zeilen, die voller Poesie und Melancholie sind. Maias Gefühlshaushalt kann man in den ausdrucksstarken Skizzen von Anna Gusella nachspüren, die perfekt mit dem Text harmonieren und seine Stimmung weitertragen.
Leicht hat es Maia nicht, ihre Mutter ist alleinerziehend, manchmal gibt der Kühlschrank nichts als "Licht und Senf" her. Trotzdem lässt sich die Teenagerin - sie trägt Kleidergröße 42 und muss sich oft gemeine Kommentare anhören - nicht unterkriegen vom manchmal tristen Alltag. Vielmehr macht sie sich auf die Suche nach den kleinen Glücksmomenten und beschließt, das Leben mit seinen Höhen und Tiefen schön zu finden. Denn: "Irgendwo muss ja mal irgendwer damit anfangen, sich wohlzufühlen, in der eigenen Haut, im eigenen Leben, auch, wenn es nicht der Norm entspricht."
Eine Stütze sind ihr dabei ihre Freundinnen: die schöne, abgedrehte (im guten Sinn) Alex und Carla, die an der Uni Engelbert ist.
Das ist das echte Leben abseits von Posertum und Likes auf Selbstdarstellungsplattformen. Ein besonderes Buch mit einer starken Botschaft, ein Plädoyer für mehr Diversität. Mutig, ermutigend und tröstend wie die Umarmung der besten Freundin. Allen Büchereien ans Herz gelegt!

Cornelia Gstöttinger | biblio

 

Lydia Mischkulnig: Die Richterin

: Roman / Lydia Mischkulnig. - Innsbruck  : Haymon, 2020. - 289 S.
ISBN 978-3-7099-8110-8      fest geb.  : ca. € 22,90

Fesselnd, vielschichtig und tieftraurig. (DR)

Gabrielle ist sechzig Jahre alt, seit den Waldheim-Demonstrationen mit Joe, einem frühpensionierten, kunstsinnigen Lehrer verheiratet und als anerkannte Richterin in Wien vorwiegend mit Asylrecht befasst. Während sie beruflich Souveränität auszeichnet, ist sie im privaten Bereich leicht verunsicherbar. Die Selbstdiagnose ihrer Augenkrankheit belastet sie für Monate, ebenso leidet sie unter dem Verhältnis zu ihrem drogensüchtigen Bruder Karl, der für jahre untergetaucht war und sich nun als Mitarbeiter des Roten Kreuzes in Kabul wieder bei ihr meldet. Als sie ihren Mann, der sie bedingungslos liebt, in ihren Kleidern putzen sieht, findet sie vorerst keinen Weg, damit umzugehen. Außerdem erhält sie wegen eines Falls Personenschutz und fühlt sich zusehends verfolgt.
Neben dem Psychogramm dieser Frau, deren Leben von ihrer Kinderlosigkeit und Karriere geprägt ist, wird auf einer weiteren Ebene ihre Familiengeschichte behandelt, vor allem der mysteriöse Tod des in Waffenhandel involvierten Vaters. Brandaktuell werden diese Ebenen in ein zeithistorisches Setting eingebettet, das die Pandemie, das Asylrecht unter besonderer Berücksichtigung der Situation von Afghanen in Österreich sowie in Afghanistan und das Geschlechterverhältnis hierzulande thematisiert.
Aktuell, inhaltlich und sprachliche anspruchsvoll und spannend, zeichnet sich der Roman durch Intertextualität und Referenzen zu Borges bis Brueghel aus, ohne sperrig oder aufgesetzt zu wirken. Eine literarische Bereicherung für jede Bibliothek!

Sandra Brugger | biblio

Beatrix Kramlovsky: Fanny oder das weiße Land

: Roman / Beatrix Kramlovsky. - München : hanserblau, 2020. - 300 S.
ISBN 978-3-446-26797-8      fest geb. : ca. € 23,70

Hochriskante und mühevolle Flucht einer kleinen Gruppe von Kriegsgefangenen aus einem Lager im äußersten Osten Sibiriens. (DR)

Drei qualvolle Jahre dauert die Flucht von sechs österreichischen Offizieren der besiegten k.u.k. Armee nach dem Ersten Weltkrieg, ausgehend von der Stadt Chabarowsk am Amur quer über den russischen Kontinent. Im März 1918 wagen sie nach gründlicher Planung gemeinsam den Ausbruch aus dem Lager: der Berufsoffizier Karl und sein Bruder Viktor, der Musiker Ludwig, der weichherzige Ungar Imre, der ausgezeichnet Russisch sprechende Josef und der pragmatisch handelnde Eduard. Etwa 10000 km Luftlinie trennen sie von ihrer Heimat. Die gefahrvolle Reise - illegaler Status als Geflohene, Hunger, Kälte, russischer Bürgerkrieg zwischen "Weißen" und "Roten" - führt sie über mehrere Stationen (Irkutsk, Krasnojarsk, ein mennonitisches Bauerndorf) endlich nach Petrograd, von wo aus sie (nun nur mehr zu viert) nach zwei weiteren qualvollen Jahren endlich in die Heimat entlassen werden.
Zwei Umstände helfen der zentralen Figur Karl in all dem Leid: die unzerstörbare Liebe zu seiner Frau Fanny (ihre Briefe hat er alle als Trostbuch auswendig gelernt) und zum kleinen Sohn Max sowie seine künstlerische Begabung. Mehrmals kann er für sich und seine Gefährten Vorteile, wie Brennholz, Essen, Kleidung, herausschlagen, weil er Holzschnitzereien fabriziert sowie Kulissen für das Theater und Porträts für russische Funktionäre malen kann.
Angelehnt an eine wahre Geschichte und unterfüttert mit genauen historischen Recherchen, hat die Autorin einen zu Herzen gehenden Liebesroman und ein letztlich ermutigendes Beispiel für menschliche Durchhaltekraft geschaffen.

Maria Schmuckermair | biblio

Diane Setterfield: Was der Fluss erzählt

/ Diane Setterfield. Aus dem Engl. von Anke und Eberhard Kreutzer. - München : Blessing, 2020. - 572 S.
ISBN 978-3-89667-329-9      fest geb. : ca. € 24,70

Eine unglaubliche Geschichte, traurig und gleichzeitig voller Hoffnung und Magie. (DR)

England im 19. Jahrhundert: Entlang der Themse fließt das alltägliche Leben von einem Tag in den nächsten. Nach getaner Arbeit versammeln sich die Menschen in den Gasthäusern der nächstgelegenen Dörfer - und besonders das "Swan" ist für seine tollen Geschichtenerzähler bekannt. Dieser Abend wird aber wie kein anderer werden: Ein schwerverletzter Mann trägt ein lebloses und völlig durchnässtes Mädchen in die Stube. Die herbeigerufene Hebamme kann nur noch den Tod feststellen. Aber dann, wie durch ein Wunder, erwacht sie zum Leben und damit auch die fantastischsten Theorien über ihre Herkunft.
Denn nicht nur den wohlhabenden Vaughans wurde vor Jahren ein Mädchen entführt, auch Armstrong ist auf der Suche nach seiner Enkeltochter. Und was für eine Rolle spielt sein umtriebiger Sohn Robin in dieser Geschichte? Und da wäre noch Lily in ihrem feuchten Cottage direkt am Flussufer, die nächtlich vom Geist ihrer kleinen Schwester heimgesucht wird. Bald schon herrscht Aufregung. Gerüchte verbreiten sich mit dem Lauf der Themse und eine schlechte Ernte sorgt für so manchen Aberglauben. Einzig die Hebamme Rita und der hilfsbereite Fotograf Daunt versuchen, alles mit nüchternem Blick zu betrachten.
Schließlich tritt die pure menschliche Niedertracht in den Vordergrund. Die eigentümliche Anziehungskraft des aus dem Fluss geretteten Mädchens bleibt. Selbst lange danach, als sie so plötzlich verschwindet, wie sie gekommen ist, werden im "Swan" wundersame Geschichten über sie erzählt sowie von Menschen, die sie irgendwo gesehen haben wollen…
Die britische Autorin Diane Setterfield erzählt eine spannende Geschichte, die den LeserInnen nicht nur ein anschauliches Bild aus dem ländlich geprägten England des späten 19. Jahrhunderts eröffnet, sondern auch sprachlich überzeugt. Absolut lesenswert!

Veronika Eder | biblio

Adam Przeworski: Krisen der Demokratie

/ Adam Przeworski. Aus dem Engl. von Stephan Gebauer. - Berlin : Suhrkamp , 2020. - 253 S.
ISBN 978-3-518-12751-3      kart. : ca. € 18,50

Profundes Werk über die Funktionsweise von Demokratien. (GP)

Seit dem Aufstieg populistischer, rechtsextremer Parteien und insbesondere seit dem Wahlsieg Donald Trumps im Jahr 2016 ist eine Vielzahl von Artikeln und Büchern über die Gefahr eines Niedergangs der Demokratie erschienen. In diese Rubrik gehört auch dieses Werk.
Der Verfasser, ein amerikanischer Politikwissenschaftler, meint, dass wir uns in gefährlichen Zeiten erst einmal darüber klar werden müssten, was wir alles nicht wissen, bevor wir entscheiden. Er sieht Demokratie als Chance für die Bevölkerung, ihre Regierung durch Wahlen zu bestimmen auch wieder zu entledigen. Przeworski analysiert das Scheitern der Demokratie anhand von zwei bekannten historischen Beispielen: dem Zusammenbruch der Weimarer Republik und dem Militärputsch in Chile im Jahr 1973. Er beschreibt anschließend Situationen, in denen die Krise in einer Demokratie erfolgreich bewältigt wurde, wie etwa bei der Watergate-Affäre in den USA, die durch den Rücktritt von Präsident Nixon entschärft wurde.
Aktuell sieht er die größten Gefahr nicht in einer plötzlichen Beseitigung der Demokratie, sondern in ihrer schleichenden Rückenwicklung, wie sie in Ungarn, Polen und der Türkei beispielshaft zu beobachten ist. Für die Zukunft ist er "moderat pessimistisch". In den meisten Ländern stehe zwar nicht das Überleben der Demokratie auf dem Spiel, es gebe aber auch keine Anzeichen dafür, dass sich die Situation in naher Zukunft verbessern wird.
Der Autor liefert keine Rezepte, sondern formuliert Fragen und lädt zum gemeinsamen Nachdenken ein. Eine sehr kluge, lehrreiche Zusammenfassung eines erfahrenen Wissenschaftlers. Prägnant formuliert, gut lesbar und nie ausufernd. Eine absolute Pflichtlektüre für jeden politisch Interessierten und derzeit besonders aktuell!

Karl Vogd | biblio

Florian Aigner: Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl

: eine Liebeserklärung an die Wissenschaft / Florian Aigner. - Wien : Brandstätter, 2020. - 255 S. : Abb.
ISBN 978-3-7106-0467-6      fest geb. : ca. € 24,00

Wir wollen die Rätsel des Universums lösen und brauchen dazu - die Wissenschaft. (NA)

An Aktualität ist das Buch des jungen Physikers und Wissenschaftspublizisten wohl kaum zu überbieten, so intensiv wie derzeit selbst in Wissenschaftskreisen über die Wahrheit gestritten wird. Auf welcher Basis können Menschen überhaupt diskutieren? Gibt es die eine Wahrheit? Um solche existentiellen Fragen erschöpfend beantworten zu können, geht der junge Physiker mit peniblem Eifer zur Sache. Was Wissenschaft ausmacht und wie sie vom Bauchgefühl unterschieden werden kann, ist eine perfekte Fragestellung für den Einstieg. Die Fächer Logik und Mathematik bilden ein solides Fundament. Beobachtungen und Sinneswahrnehmungen gehören zum wissenschaftlichen Arbeiten sowie Schlussfolgerungen, die falsch sein dürfen und widerlegt werden können. Der Mut zum Risiko und die Lust am Entdecken sind allen Forschenden gemein. Amüsante Anekdoten aus dem Leben berühmter Forscherpersönlichkeiten lockern das klug aufgebaute Buch auf, beinahe beiläufig erklärt der Autor mit professioneller Leichtigkeit verschiedene Themen mit steigendem Schwierigkeitsgrad. Wissenschaft ist ein fortgesetzter Prozess und macht riesigen Spaß, versichert der sympathische Autor glaubhaft. Viele Menschen haben ihr Wissen mittlerweile zu einem weltumspannenden Gedankenaustausch zusammengetragen. Fachübergreifende Sachverhalte so einfach und unterhaltsam erklären zu können ist eine reife Leistung. Allen Bibliotheken empfohlen.

Aloisia Altmanninger | biblio

Johann Hinrich Claussen:
Die seltsamsten Orte der Religionen

: von versteckten Kirchen, magischen Bäumen und verbotenen Schreinen / Johann Hinrich Claussen. Mit Ill. von Lukas Wossagk. - München : C. H. Beck, 2020. - 237 S. : Ill.
ISBN 978-3-406-75598-9      fest geb. : ca. € 20,60

Ein kurzweiliges Sachbuch über seltsame religiöse Orte. (PR)

Johann Hinrich Claussen ist evangelischer Theologe, langjähriger Pastor und Honorarprofessor. Im vorliegenden Sachbuch macht er sich auf die Suche nach seltsamen religiösen Orten innerhalb des deutschen Sprachraums sowie weltweit.
Jedes Kapitel wird unter ein Motto gestellt, wie z. B."Orte für Lastwagen und Motorräder", "Geteilte Gotteshäuser", "Heilende Bäume", "Traumatisierte Städte", "Spielplätze nicht nur für Kinder", "Paradiesische Gärten", "Virtuelle Räume" etc. Claussen setzt dabei in der Regel einen Ort im deutschsprachigen Raum mit einer internationalen Stätte in Beziehung. Religiösität wird hier sehr weit definiert: Neben den Weltreligionen spielen auch vereinzelt verschiedenste weltanschauliche Gruppierungen eine Rolle.
Ein vielfältiger Einblick in die Entstehung heutiger Rituale und ritueller Orte, nicht nur, aber auch jenseits der bekannten Glaubensgemeinschaften. Spannend zu lesen und meines Erachtens zur Horizonterweiterung sehr zu empfehlen.

Monika Roth | biblio

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