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biblio : aktuelle buchtipps

Buchtipps / 2021 / November

erstellt von der STUBE und dem Österreichischen Bibliothekswerk

Malin Widén: Auf der Insel

Malin Widén. - Mannheim : Kunstanstifter, 2021. - [52] S. : überw. Ill. (farb.)
ISBN 978-3-948743-02-4      fest geb. : ca. € 22,60

"Meine Oma lebt auf einer Insel, weit, weit draußen im Meer." - so beginnt das kleine Mädchen mit dem frechen schwarzen Haarschopf ihre Geschichte. Omas Insel ist tagsüber wunderschön, und mit ihr wird es nie langweilig. Spazierengehen, schwimmen, kochen oder zeichnen - es gibt immer etwas zu tun. Doch abends, wenn es dunkel wird, verspürt das Mädchen eine seltsame Unbehaglichkeit. Woher kommen all die unheimlichen Geräusche, die den Schlaf fernhalten? Ob Oma das weiß? Zusammen gehen sie hinaus - und den Nachtgeräuschen nach. Sie lauschen dem Knacken im Garten, dem Summen am Bach, dem Flattern in den Bäumen und der Stille unter Wasser. Das Unheimliche wird so zuorden- und benennbar, und damit löst sich zugleich auch die Angst auf - der Müdigkeit kann Raum gegeben werden. Ein kurzer Moment des Innehaltens noch, dann schläft auch das Mädchen ein. Farbkräftige Illustrationen, die sich zu unkonventionellen Bildkompositionen verbinden, eröffnen einerseits heimelige Innenräume, gespickt mit kleinen Details, die nicht nur ein sympathisches Wohlfühl-Interieur zeigen, sondern auch die besondere Atmosphäre darin spürbar machen; andererseits vermitteln bunte Tageslandschaften voll flirrender Leichtigkeit eine noch intakte Natur - mit einer bewusst gesetzten Horizontlinie und pointierten Farbtupfern, die die Weite und Unberührtheit von Strand und Meer erahnen lassen. Diesen gegenüber stehen die zunächst bedrohlich wirkenden Nachtszenerien in Schwarz-Blau-Grün-Tönen, die das Mädchen an Omas Hand beherzt durchschreitet und dabei entdeckt, welche Geräusche woher kommen. Im Wind hin- und herschwingende Baumgruppen, in kindlicher Formensprache vergrößerte Insekten und anderes Nachtgetier repräsentieren das Dunkle, dem durch spielerische Akzentuierungen Schrecken und Schwere genommen wird. Der schlichte Text - viele Doppelseiten bleiben ohne Worte - reicht völlig aus für die wunderbar leichtfüßigen visuellen Arrangements, die von einer beruhigend-wärmenden Entdeckungsreise erzählen.

Ela Wildberger | STUBE

 

Lily S. Morgan: City of Burning Wings

: die Aschekriegerin / Lily S. Morgan. - Hamburg : Carlsen , 2021. - 400 S.
ISBN 978-3-551-58453-3      kart. : ca. € 15,50

„Mit kräftigen Flügelschlägen jagte May über die Dächer des Palastes“, mit diesen Worten beginnt Lily S. Morgans Romantasy-Debüt "City of Burning Wings", in dem sie die zerbrechliche Welt der fliegenden Stadt Elydor entwirft. Genauso federleicht wie May über die am Cover wunderschön illustrierten goldenen Giebel fliegt, trägt auch die Sprache des Buches seine Leser*innen durch die facettenreiche Geschichte. Es geht um eine magische Stadt, deren Geheimnis gelüftet werden muss, um ein großes Unheil abzuwenden. Und um die zaghafte Liebesgeschichte zweier Hauptfiguren, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ihr Leben lang hat sich die junge Himmelsstürmerin May darauf vorbereitet, den Aschethron zu besteigen. Doch als der König stirbt, taucht die Herrscherrune unverhofft bei dem flügellosen Luan auf. Der aber scheint seine neue Verantwortung überhaupt nicht ernst zu nehmen und ausgerechnet May soll ihm helfen, mit seiner Magie zurechtzukommen. Zwischen Intrigen, rätselhaften Vorkommnissen und hitzigen Wortgefechten erkennen May und Luan jedoch, dass das Schicksal ganz Elydors vom Erfolg ihrer Aufgabe abhängt. Und diese führt sie in die tief verborgenen Labyrinthe der Stadt, deren Zukunft von einer längst vergessenen Vergangenheit abhängt. Auf 400 Seiten entfaltet sich eine zauberhafte Welt, in der man sich beim Lesen gerne verliert. Vor allem das detailreiche Worldbuilding und die authentisch erzählte Annäherung der sich zunächst feindlich gesinnten Hauptfiguren lassen das Buch am unüberschaubaren Fantasymarkt hervorstechen.

Hannah Oppoltzer | STUBE

 

Friedrich Ani: Letzte Ehre

: Roman / Friedrich Ani. - Berlin : Suhrkamp , 2021. - 270 S.
ISBN 978-3-518-42990-7      fest geb. : ca. € 22,70

Erschütternd brutale Kriminalfälle in literarisch absoluter Topqualität und in unnachahmlicher sprachlicher Präzision. (DR)

Ein 17-jähriges Mädchen verschwindet während einer Party im Haus ihres Stiefvaters spurlos. Die Ermittlerin Fariza Nasri ist überzeugt, dass der Stiefvater Stephan Barig lügt, doch trotz endloser nervenzermürbender Verhöre kann die Polizistin dem unsympathischen Macho nichts nachweisen. Doch dann kommt es zu einer Schlägerei in einer Kneipe. Eine Frau attackiert Barig, nachdem sich dieser unsittlich an sie herangemacht hat. Die Angreiferin hat in Barig ihren langjährigen Peiniger wiedererkannt. Was folgt, ist eine bestürzende Schilderung langer Jahre des sexuellen Missbrauchs, seelischer und körperlicher Gewalt, die aber zur Aufklärung eines schon lang zurückliegenden, bislang nicht aufgeklärten Mordfalls führen.
Doch den LeserInnen bleibt keine Zeit, sich von der Grausamkeit des einen Falles zu erholen, denn parallel dazu wird Catrin Hagen, die beste Freundin von Fariza Nasri, bei sich zuhause brutal niedergeschlagen und Opfer grausamsten sexuellen Missbrauchs. Fariza darf im Fall ihrer Freundin wegen Befangenheit offiziell nicht ermitteln. Nichtsdestotrotz stellt sie ihre eigenen persönlichen Nachforschungen an, doch Catrin stirbt, ohne das Bewusstsein wieder erlangt zu haben.
Bis zum schockierenden Ende entspinnt Friedrich Ani ein faszinierendes und gleichzeitig in seiner subtilen Brutalität abstoßendes erzählerisches Spinnennetz aus Gewalt an Frauen, düsterer Weltuntergangsstimmung und gesellschaftskritischer Brisanz. Einmal mehr beweist der Autor seine große, unnachahmliche Gabe, Kriminalgeschichten zu schreiben, die in ihrer literarischen Qualität und ihrer sprachlichen Präzision begeistern und nachdrücklich erschüttern. Keine leichte Unterhaltung, sondern ein aufrüttelndes Buch über die allgegenwärtige Verrohung der Gesellschaft. Gerade deshalb aber eine absolut lesenswerte Neuerscheinung auf dem deutschen Buchmarkt.

Barbara Tumfart | biblio

Eva Menasse: Dunkelblum

: Roman / Eva Menasse. - Köln : Kiepenheuer & Witsch, 2021. - 523 S.
ISBN 978-3-462-04790-5      fest geb. : ca. € 25,70

Roman über die verweigerte Auseinandersetzung mit den dunklen Flecken Österreichs. (DR)

Die Handlung ist im Epocheneinschnitt von 1989 angesiedelt. Als im August dieses Jahres viele Fluchtwillige aus der DDR über Ungarn und die österreichisch-ungarische Grenze in den Westen zu gelangen versuchten, begann der Zusammenbruch des Osblocks. Auch gegenüber von der an der Grenze gelegenen fiktiven burgenländischen Kleinstadt Dunkelblum wird es unruhig. Hinter der Grenze warten hunderte DDR-Flüchtlinge. Zeitgleich wird durch das Auftauchen eines geheimnisvollen Fremden in der Stadt eine folgenreiche Handlung in Ganz gesetzt. Es geht um die Aufklärung eines Massakers, das in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs in der Stadt stattgefunden hat. Mehrere hundert jüdische Zwangsarbeiter, die beim Bau des sogenannten Südostwalls eingesetzt waren, wurden im März 1945 erschossen.
Dieses Ereignis ist tatsächlich passiert - in der Stadt Rechnitz. Dunkelblum ist Rechnitz nachempfunden, aber das Anliegen der Autorin ist keine Geschichtsdarstellung. Sie verfasst eher ein Sittenstück, das allgemeine Gültigkeit beansprucht für die Art des Umgehens mit den dunklen Bereichen der österreichischen Geschichte. Dabei vermeidet Eva Menasse aber einfache Aburteilungen. Stattdessen präsentiert sie uns die vielstimmigen Gedanken und Gefühle von rund einem Dutzend Hauptpersonen. Sie überlässt es den LeserInnen, sich selbst eine Meinung zu bilden von den Ausreden, den wirtschaftlichen Interessen, der Angst, der fehlenden Zivilcourage und den Vorurteilen der Dunkelblumer. Sie baut dazu eine kunstvolle, weit verzweigte Handlung auf. Sehr attraktiv ist auch die exzellente sprachliche Gestaltung. Menasse schafft eine Kunstsprache, die immer wieder geschickt Wendungen aus der Umgangssprache einbaut und so der dargestellten Welt Dichte verleiht.
Das Buch eröffnet einen interessanten Zugang zu einer bereits oft behandelten Thematik. Es ist spannend zu lesen, sehr gut aufgebaut und nie langweilig. Ein absolutes Muss nicht nur für an der Zeitgeschichte Österreichs Interessierte.

Karl Vogd | biblio

Leïla Slimani: Das Land der Anderen

: Roman / Leïla Slimani. Aus dem Franz. von Amelie Thoma. - München : Luchterhand, 2021. - 379 S.
ISBN 978-3-630-87646-7      fest geb. : ca. € 22,70

Fesselnde franko-maghrebinische Familiensaga
der Nachkriegszeit. (DR)

Marokkaner Amine hat während des Zweiten Weltkrieges auf Seiten der Franzosen gekämpft und sollte so seine spätere Ehefrau, die Elsässerin Mathilde, kennen und lieben lernen. Die Enge der Heimat und das durchaus privilegierte Leben in Marokko führen Mathilde und ihren Mann in dessen Geburtsort, weit entlegen im Hinterland, zurück. Den Kopf voller Ideen und der Freiheit entgegensehnend, wird Mathilde bald in die ernüchternde Realität zurückgeholt: Der vermachte Hof wirft nur schwerlich Ertrag ab, sodass an allen Ecken und Enden gespart werden muss, Amine entpuppt sich als Patriarch und politisch brodelt es im Land zwischen Autochthonen und den Kolonialherren. Kämpferin Mathilde versucht bei all diesem Wirrwarr ihre beiden Kinder weltoffen und liebevoll großzuziehen.
Ein fulminantes Ende mit unerwartetem Ausgang ist nicht zu erwarten, vielmehr eröffnet diese für die Zeit sehr unkonventionelle Vereinigung auf den unterschiedlichsten Schauplätzen (moralische) Konflikte und Dilemmata, die Spannung erzeugen, weil Entscheidungen so schwerfallen und darum jede noch so kleine Nebenfigur nachvollziehbar handelt. Historische Fakten und Einwanderungsgeschichten lässt Autorin Slimani ganz subtil in die Erzählung einfließen, was höchst zuträglich für das Gesamtbild ist.
Dass die Autorin selbst eine migrantische Familiengeschichte besitzt, spürt man beim Lesen durch und durch, denn die Auswahl an Erzählsträngen und die ProtagonistInnen tragen durch den Roman und zeigen einer breiten Leserschaft, welche Opfer auf beiden Seiten für diese ungewöhnliche Liebe gebracht werden. Großen Themen wie Rassismus, Anerkennung, Feminismus, Tradition und die Familie als Institution wird ungeschönt eine Bühne bereitet und Slimani schafft es, dass wir einen sehr objektiven Blick behalten, von dem aus ein jeder/eine jede sich eine eigene Meinung bilden soll und muss. Gelungener Auftakt einer geplanten Trilogie der Prix Goncourt-Gewinnerin.

Anna Goiginger | biblio


Tobias Esch: Mehr nichts!

: warum wir weniger vom Mehr brauchen / Tobias Esch. - München : Goldmann, 2021. - 431 S.
ISBN 978-3-442-31610-6       fest geb. : ca. € 22,70

Ein wertvolles Buch, das darauf aufmerksam macht, wie notwendig es ist, das Leben wieder auf das Wesentliche zu reduzieren. (NK)

Tobias Esch ist Neurowissenschaftler, Gesundheitsforscher und Allgemeinmediziner. Seit vielen Jahren untersucht der Universitätsprofessor u. a. an der Harvard Medical School und an der Berliner Charité, wie Selbstheilung funktioniert und wie ihre Potenziale innerhalb und außerhalb der etablierten Medizin nachweisbar für die Gesundheit genutzt werden können. In seinem neuen Buch stellt er unserer Gesellschaft ein alarmierendes Zeugnis aus, das zu einer möglichst schnellen Änderung unserer Denkweise und unseres Lebensstils aufruft. Laut Tobias Esch stecken wir alle in einer Krise, die durch ein wachsendes Überangebot materieller und unwichtiger Güter und der permanenten Beschleunigung unseres Lebensstiles geprägt ist. Spätestens nach Corona sei es an der Zeit, das sinnentleerte Streben nach Mehr in Frage zu stellen.
Der Autor fordert uns dazu auf, von der unablässig steigenden Dichte, von haltlosem Konsum und damit einhergehender (Selbst-)Ausbeutung wegzukommen, um zu der Reduktion auf das Minimale und einer so wohltuenden wie befreienden "Leere" zurückzufinden. Dieses Buch sollte in jeder Bibliothek seinen Platz haben!

Johannes Preßl | biblio

Nicole Seifert: Frauenliteratur

: abgewertet, vergessen, wiederentdeckt / Nicole Seifert. - Köln : Kiepenheuer & Witsch, 2021. - 217 S.
ISBN 978-3-462-00236-2      fest geb. : ca. € 18,50

Eine Odyssee durch die Literaturgeschichte von Frauen - mitreißend und lebhaft recherchiert. (PL)

Beginnend mit der persönlichen Lesehistorie der Autorin, führt diese die Lesenden an das strukturelle Problem, dass die Literatur von Männern weiter verbreitet und besser kanonisiert sei als jene von Frauen. Mit lapidaren Fragestellungen als Kapitelüberschriften, z. B. "Wo ist das Problem?" oder "Weibliches Schreiben - gibt es das überhaupt?, ergänzt Seifert die allgemein bekannte literarische Geschichtsschreibung um die vergessenen, mutwillig überhörten weiblichen Stimmen. Die Lesenden werden informiert über die Nicht-Kanonisierung von "Frauenromanen" durch die patriarchal dominierten Gesellschaften bis ins 21. Jahrhundert, die persönlichen Diffamierungen von Autorinnen durch Rezensenten und die Absprechung jeglicher Relevanz der, literarisch von Frauen, in den Vordergrund gerückten Themen.
Das leicht verständliche und hochaktuelle Sachbuch nennt neben einigen anderen literarischen Sammelwerken mehrerer feministischer Autorinnen (die für Studierende literaturspezifischer Studien oder Gender-Studies empfehlenswert sind) auch viele fast vergessene Werke bedeutender Autorinnen vom 19. Jahrhundert bis heute, die sie in einer kompakten Leseliste, teils mit kurzen Abstechern in Handlung, Setting und zeitgeschichtliche Rezeption, am Ende des Buchs zusammenfasst. Eine unbedingt empfehlenswerte Lektüre!

Hannah Stolze | biblio

Hubert Philipp Weber: Leben nach dem Tod

: die christliche Hoffnung verstehen / Hubert Philipp Weber. - Ostfildern : Matthias Grünewald, 2021. - 175 S.
ISBN 978-3-7867-3231-0       fest geb. : ca. € 19,60

Eine schlüssige und verständliche Darstellung der christlichen Lehre von Tod, Auferstehung und Leben nach dem Tod. (PR)

Ausgehend von der Beobachtung, dass einerseits der Gedanke an den Tod verdrängt wird, er aber andererseits - angefangen bei den Medien bis hin zur Welt der Kinderspiele - dauernd präsent ist, möchte der Verfasser eine erste Orientierung zu einem Thema geben, das in der christlichen Verkündigung einmal omnipräsent war, um das es derzeit aber eher still geworden ist. In acht überschaubaren Kapiteln stellt er die christliche Botschaft als Hoffnungsbotschaft dar, die besagt, dass das Leben nicht im Nichts endet, sondern auf ein Ziel zugeht. Dieses Ziel liegt jedoch in einer Welt, die für uns nicht bis in alle Einzelheiten erschließbar ist. Auf den ersten Seiten betrachtet er daher Zeit und Ewigkeit und die Rolle des Todes. Im Weiteren geht es um das Gelingen oder Scheitern des Lebens und um die Vereinbarkeit des Glaubens an einen guten Gott angesichts der Rede von Gericht, Fegefeuer und Hölle. Diese aber ist eingebettet in die Lehre von einem Gott, der - wie es im Schöpfungsbericht heißt - "alles gut gemacht" hat. D. h. auch, dass er dem Menschen in seinem Schöpfungsplan eine eigene Rolle überlassen hat, die im Kontext des Ganzen zu sehen ist, das auf Vollendung ausgerichtet ist.
Wie bereits in seinem vor etwa zwei Jahren erschienenen Buch über die Schöpfungslehre ist es dem Autor auch hier gelungen, ein komplexes, traditionsbelastetes Kapitel kirchlicher Verkündigung inhaltlich nachvollziehbar und gut zu lesen darzustellen. Und es als die Hoffnungsbotschaft, die es sein sollte, herauszuarbeiten. Für alle Bibliotheken.

Hanns Sauter | biblio

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