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biblio : aktuelle buchtipps

Buchtipps / 2024 / Juli

erstellt von der STUBE und dem Österreichischen Bibliothekswerk

Jule Wellerdiek: Fundbüro Wurm

/ Jule Wellerdiek. - Zürich : NordSüd, 2024.
- 24 ungezählte Seiten : Illustrationen
ISBN 978-3-314-10672-9      Festeinband : EUR 17,50 (AT)

Diese tierische Freundschaft gab es wohl noch nie im Bilderbuch: Zwischen einem Regenwurm und einer Robbe! Was durchaus absurd klingt, wird hier höchst glaubwürdig und warmherzig dargestellt. Was für ein Duo! Eigentlich ist es Wurm, der immer hilft. Er hat ein Fundbüro, das der Ordnungsliebhaber sehr penibel und effektiv betreibt. Robbe ist seine beste Kundin, denn sie verliert immer irgendetwas. Doch eines Morgens ist alles umgekehrt: Wurms Mütze ist spurlos verschwunden und er muss seine Freundin zu Hilfe holen. Ihr Plan? Sich genau umschauen, dann andersrum umschauen und im Schritt drei einfach abwarten und was Schönes machen. Zum Beispiel Palatschinken backen. Wie nun des Wurmes Wut angesichts dieses empörenden Vorschlags dargestellt wird, ist große Illustrationskunst: Hochrot und mit spitz gezacktem Körper schreit er seine Freundin an: »ICH. BRAUCHE. DIESE. MÜTZE!« Robbe beginnt davon völlig unbeeindruckt den Teig zu rühren. Langsam fügt sich Wurm dem Vorschlag von Robbe, entspannt sich, nimmt den Verlust an. Und wie das so ist, wenn man nicht mehr in der Verzweiflung und Aufregung verhaftet ist und den Stress aus der Situation nimmt, sehen die Leser*innen nur ein paar Seiten später die Freude des Wiederfindens ausdrucksstark im Gesicht des Wurms. Die Darstellung der ganzen Bandbreite von Emotionen ist eine der großen Stärken dieses vergnüglichen Bilderbuches, ein Miterleben und Mitfiebern wird so leicht gemacht. Die Geschichte wird über Panels in verschiedenen Formaten, die immer wieder von ganzseitigen Illustrationen unterbrochen werden, dynamisch erzählt. Der Erzähltext kann so reduziert bleiben und gibt meist die amüsanten Dialoge oder Gedanken der beiden Freunde wieder. Und in den wenigen Sprechblasen lauert Ohrwurm-Gefahr: »Feuerwerk, Feuerwerk, oh-oh …«
Übrigens: Dafür, dass die meisten Dinge irgendwann wieder auftauchen, wenn man eben NICHT danach sucht, gibt es sogar ein Fachwort: Serendipität. Beispiele? Die Entdeckung Amerikas oder der Radioaktivität oder eben einer verlorenen Mütze.

Tina Reiter | STUBE

Ashley Herring Blake: Ein wunderschönes blaues Chaos

/ Ashley Herring Blake
; aus dem amerikanischen Englisch von Michelle Landau.
- München : dtv, 2024. - 352 Seiten
ISBN 978-3-423-76503-9      Festeinband : EUR 16,50 (AT)

Vor Mums Tod hat Hazel das Meer geliebt. Seitdem jagt es ihr, wie fast alles andere, nur noch Angst ein. Der Alltag scheint voller Gefahren, vor denen sie Mama und ihre kleine Schwester Peach beschützen muss. Seit zwei Jahren zieht die dezimierte Familie durchs Land und landet schließlich in einem Cottage am Strand – wo nicht nur das Wasser viel zu nahe ist, sondern Mama eine alte Freundin wiedertrifft, die ihr wieder Lebensmut einflößt. Ihre Tochter Lemon beschließt, sich mit Hazel anzufreunden, nicht zuletzt, weil diese dem historischen Vorbild der Meerjungfrau, deren Kult den kleinen Ort am Leben hält, zum Verwechseln ähnlich sieht. Doch Hazel hat mit Beziehungen aller Art abgeschlossen, zu schwer wiegen Trauer und das Schuldgefühl der Überlebenden. Sie weiß, dass sie ihr altes Leben nicht mehr zurückbekommt – aber ein neues, glückliches Leben ohne Mum scheint genauso unmöglich. Während die Mutter ihren Töchtern einen Neuanfang wünscht, klammert Hazel sich am Status quo fest. Erst als Lemon ihr von ihren eigenen Schuldgefühlen erzählt – ihre Zwillingsschwester starb vor einigen Jahren an einem Hirnaneurysma –, beginnt Hazel sich zu öffnen. Doch als sie erfährt, dass eine Rückkehr in ihr Elternhaus unmöglich und die Vergangenheit damit endgültig verloren ist, verliert sie jeden Halt. Erneut ruft das Meer nach ihr…
Um alle Figuren liegt ein Schleier der Trauer, der ihr Handeln bestimmt oder – wie bei Hazel – einbremst. An der Schwelle von Kindheit zu Jugend wiegt der Verlust noch schwerer, der nächste Entwicklungsschritt muss ohne die geliebten Toten gegangen werden. Gleichzeitig locken Freundschaft und die Faszination des Meerjungfrauenmythos genauso wie das erste Verliebtsein. Ashley Herring Blake lässt die Stimmung ihrer Charaktere berührend ungeschliffen zwischen Trauer, Angst, Wut und Freude changieren. Das Ende verspricht Zuversicht, doch eine Frage bleibt offen: Gibt es Meerjungfrauen wirklich?

Simone Weiss | STUBE

Rebecca F. Kuang: Yellowface

: Roman / Rebecca F. Kuang
; übersetzt aus dem Englischen von Jasmin Humbug.
- Köln : Eichborn, 2024. - 382 Seiten
ISBN 978-3-8479-0162-4      Festeinband : EUR 24,70 (AT)

Böse, hochbrisant und aktueller denn je – der amerikanische Literaturbetrieb unter dem Vergrößerungsglas. (DR)

June und Athena verbindet eine Hass-Freundschaft. Beide sind angehende Schriftstellerinnen. Eine davon hat Erfolg, die andere nicht. Als die beiden jungen Frauen sich wieder einmal treffen und der Abend länger wird, scheint es fast, als wäre nach vielen Jahren doch eine echte Vertrautheit zwischen den beiden möglich. Doch dann erstickt Athena an einem Pancake und June kann sie nicht retten. In ihrem Schock steckt sie das fertig geschriebene Manuskript ihrer verstorbenen Freundin ein, überarbeitet es und publiziert es schließlich als ihr eigenes Werk. Bald darauf hagelt es Anfeindungen. Konflikte entspinnen sich darüber, ob June als Weiße das Recht hat, ein Buch über chinesische Geschichte zu schreiben, und es wird spekuliert, wie viel von ihrer verstorbenen asiatisch-amerikanischen Freundin wirklich im Roman steckt.
Kuang spart nicht an ungeschönter Kritik am amerikanischen Literaturbetrieb, der die Vereinsamung von Autor*innen aufgrund des immensen Konkurrenzdrucks befördert. Sie setzt sich mit dem Diversitätskampf auseinander, der auf allen Ebenen der amerikanischen Gesellschaft ausgetragen wird. Es zeigt sich ein Sittenbild der Szene, in der Schriftsteller*innen aus unterrepräsentierten Minderheiten zwecks Einnahmen für Verlage missbraucht werden und in der soziale Medien eine führende Rolle in der Rezeption von Autor*innen spielen. Das führt nicht nur zu psychischen Problemen bei den Betroffenen, sondern auch zur weiteren Spaltung der Bevölkerung.

Hannah Stolze | biblio

Daniel Mason: Oben in den Wäldern

: Roman / Daniel Mason ; aus dem Englischen von Cornelius Hartz.
- München : C. H. Beck, 2024. - 429 Seiten
ISBN 978-3-406-81381-8      Festeinband : EUR 26,80 (AT)

Die Geschichte eines Hauses und seiner Bewohner als Exempel für die Macht des Wandels. (DR)

Dieser großartige Roman erzählt die Geschichte eines Hauses im Hinterland von Massachusetts. Am Schicksal der wechselnden Hausbewohner veranschaulicht der Autor drei Jahrhunderte amerikanischer Geschichte. Am Beginn steht die Flucht eines Liebespaares, das sich aus dem Joch einer puritanischen Siedlungskolonie befreit und in den Wäldern ein neues Arkadien finden möchte. Über den Steinfundamenten ihrer Hütte errichtet Jahrzehnte später ein englischer Soldat, der den Schlachtfeldern Lebewohl gesagt hat, ein Landhaus und legt eine prächtige Apfelplantage an. Das weitere Schicksal seines Obstgartens und das tragisch endende Leben seiner beiden Zwillingstöchter ist das Herzstück dieses wunderbar erzählten Buches. Das Haus kommt im 19. Jahrhundert in den Besitz eines Landschaftsmalers und wird später zum Schauplatz des Überfalls eines Kopfgeldjägers auf eine junge schwarze Mutter, die mit ihrem Kleinkind der Sklaverei entflohen ist. Wieder einige Jahrzehnte später erwirbt ein reicher Fabrikant das Haus und möchte daraus eine Urlauberherberge machen. Schließlich erbt das Haus seine Enkelin. Diese hat ihre Not mit einem an Schizophrenie leidenden Sohn und korrespondiert mit Gefängnisinsassen.
Alle diese Schicksale werden vom Autor überzeugend miteinander verbunden. Mason variiert auch gekonnt zwischen einer Vielzahl von Erzählformen, unter anderem Brief, Bericht, Vortragsmanuskript, psychiatrische Studie. In einem Kapitel kommt sogar der Revolverblattstil – parodistisch – zu Ehren. Dieses Buch garantiert – auch wegen seiner sprachlichen Meisterschaft, insbesondere der bildstarken Naturbeschreibungen – ein Lektüreerlebnis der Sonderklasse.

Karl Vogd | biblio

Maggie O’Farrell: Hier muss es sein

: Roman / Maggie O’Farrell ; aus dem Englischen von Kathrin Razum.
- München : Piper, 2024. - 543 Seiten
ISBN 978-3-492-05870-4      Festeinband : EUR 26,80 (AT)

Roman über die Liebe zweier Menschen, deren Idyll zerbricht, als sie sich Schicksalsfragen stellen müssen. (DR)

Als Daniel den kleinen Ari und seine Mutter Claudette kennenlernt, ahnt er instinktiv, dass die beiden ein Geheimnis umgibt. Daniel und Claudette verlieben sich, gründen eine Familie und führen ein zurückgezogenes Leben in der irischen Provinz. Als Daniel an das Sterbebett seines Vaters gerufen wird, muss er sich den Schatten seiner Vergangenheit stellen. Diese führen zu einem Bruch mit der exzentrischen Claudette, die einst als Schauspielerin reüssierte, ehe sie sich für die Flucht aus dem Filmgeschäft und ein Leben jenseits gesellschaftlicher Konventionen entschied.
Maggie O`Farrell schildert auf meisterhafte Weise die Beziehung zweier Menschen und die Kluft, die auftritt, als allzu lange Verborgenes offenbar wird. Es sind die großen Emotionen Liebe, Hass, Schuldgefühle und der Wunsch nach Vergebung, welche den Rahmen für die Handlung des Buches bilden. »Hier muss es sein« ist ein Roman, der die Entwicklungen herausragender Charaktere schildert, die trotz der Tragödien, die sie erleben, das Vertrauen in sich und ihre Kräfte nicht verlieren.

Petra Fosen-Schlichtinger | biblio

Beate Giacovelli: Endlich Zeit für Venetien

: langsam reisen zwischen Dolomiten und Venedig / Beate Giacovelli.
- Wien : Styria Verlag, 2024. - 192 Seiten : Illustrationen
ISBN 978-3-222-13723-5      Broschur : EUR 30,00 (AT)

Sich mit Ruhe und Bedacht dem Augen- und Gaumenschmaus in Venedig und seinem Umland hingeben. (EL)

Nicht nur La Serenissima, die »Durchlauchtigste«, ist eine ausführliche Erkundung wert, sondern auch ihr Umland, die Region Veneto. Sechs Provinzen (Verona, Vicenza, Padua, Rovigo, Treviso, Belluno) und die Metropolitanstadt Venedig gehören zu Venetien. Die Autorin dieses sehr ansprechend gestalteten Reiseführers ist gebürtige Österreicherin. Sie lebt seit über 20 Jahren in der Lombardei und verrät von hier aus ihren Landsleuten ihre Geheimtipps für die Nachbarregion: die schönsten Dörfer und Villen, stilvolle Gartenlabyrinthe, kulinarische Tipps inklusive einem kleinen Speiselexikon im Anhang, zauberhafte Unterkünfte, kleine Museen (z.B. Reinhold Messners »Museum der Wolken« in den Dolomiten). Die Anregungen umfassen verschiedene Arten der Fortbewegung: Wandern am Fuße der Dolomiten zum Geburtshaus des Malers Tizian, Spazieren auf dem Mauerring rund um das Städtchen Cittadelle, mit dem E-Bike oder in einem Boot durch das Po-Delta. Prominente Künstlernamen locken ebenfalls: Der Architekt Andrea Palladio schuf den Ponte Vecchio in Bassano del Grappa, sein Schüler Francesco Zamberlan die achteckige Wallfahrtskirche in der Antonius-Stadt Padua. In Antonio Vanovas Geburtstadt Possagno kann man die blendend weißen Gipsmodelle seiner Kunstwerke betrachten. Petrarca verbrachte seinen Lebensabend im Städtchen Arquá Petrarca. Und ganz wichtig für Italien sind natürlich die kulinarischen Hinweise auf Gelato, Prosecco, Grappa, Valpolicella, Tiramisu, Radicchio … Eine großartige Fundgrube für gemächlich und genussvoll Reisende!

Maria Schmuckermair | biblio

Salz, Macht, Kultur

: auf den Spuren des "weißen Goldes" zwischen Bad Ischl und Bad Reichenhall
/ Wilma Pfeiffer ; Walter Stelzle.
- Salzburg : Verlag Anton Pustet, 2024. - 208 Seiten : Illustrationen
ISBN 978-3-7025-1115-9      Broschur : EUR 25,00 (AT)

Was wir unserem weißen Gold alles verdanken. (EH)

Salz ist nicht nur ein Gewürz, es diente vor allem der Haltbarmachung von Lebensmitteln. Aber auch in der Medizin war und ist es von enormer Bedeutung. Ein Mangel an Salz kann lebensbedrohlich werden, außerdem besitzt es auch noch Heilkräfte gegen diverse Krankheiten. Die wichtigsten Vorkommen in den Ostalpen sind weithin bekannt: das Ausseerland, Hallein, Berchtesgaden, Reichenhall oder Hallstatt, wo es schon vor 3000 Jahren ein Bergwerk gab. Entlang der Salzach, des Inns und der Donau kämpften das Herzogtum Bayern, das Erzbistum Salzburg und die Habsburger um die Vorherrschaft im Handel. Es kam sogar zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Erst als die Eisenbahn der Schifffahrt den Rang ablief und Meersalz zum leistbaren Konkurrenz-Produkt wurde, war es mit dem großen Reichtum vorbei. Die Spuren allerdings sind bis heute sichtbar. Die einstigen Handelsmetropolen wurden zu touristischen Magneten und trugen so maßgeblich zur Entstehung unserer alpenländischen Kultur bei.
Historie, Kulturgeschichte, sprachhistorische Hintergründe samt Märchen und Fabeln, Illustrationen, Ausflugstipps und noch vieles mehr sind hier versammelt. Hochinteressant, wissenschaftlich fundiert und auch gekonnt formuliert. Zur Lektüre wärmstens empfohlen!

Christoph Stitz | biblio

Theresa Brückner: Loslassen, durchatmen, ausprobieren

: die Zukunft der Kirche beginnt nicht nur im Kopf
/ Theresa Brückner. - Freiburg : Verlag Herder, 2024. - 144 Seiten
ISBN 978-3-451-39538-3      Broschur : EUR 16,50 (AT)

Ein Mutmach-Buch für eine lebendig-bunte Kirche. (PR)

Einladend, sich ihrem Anliegen anzuschließen, schaut die Autorin den Interessent*innen, die zu ihrem Buch greifen, vom Cover in die Augen. Ihr geht es um eine Kirche, die auch in Zukunft ein Ort des Glaubens, der Hoffnung und des Halts für Menschen ist, die durch die Situation der Welt überfordert und orientierungslos geworden sind. Doch dazu muss sie sich der Zeit stellen und einiges ändern. Brückner ist davon überzeugt, dass der Kirche Veränderung gelingt, denn sie hat sich in der Vergangenheit schon mehrmals den Bedürfnissen der Zeit stellen und wandeln müssen. In sieben Kapiteln spricht sie über Bereiche, in der die Kirche dringend frische Luft braucht: alle Menschen ernst nehmen, Mut haben, etwas zu verabschieden, mehr Vielfalt zuzulassen, die Frauen in der Kirche ernst zu nehmen, geschehene Übergriffe und Grenzverletzungen aufzuarbeiten und in Zukunft zu verhindern sowie mit der »Welt von heute« die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. In diesen Bereichen gibt es viel zu tun. Das geht nicht, ohne zu suchen und auszuprobieren. Besser ist, sich einzugestehen, dass ein Versuch gescheitert ist, als die Hände in die Hosentasche zu stecken und am Verbrauchten festzuhalten. Brückner weiß, was sie sagt und steuert als Pfarrerin auch in ihrem Bereich ihren Beitrag bei. Was sie im Blick auf »ihre« - die evangelische Kirche - schreibt, kann mit ganz geringen Abstrichen auch auf die katholische angewendet werden. Der Auftrag Jesu: »Geht in alle Welt und sprecht vom Evangelium« ist zeitlos gültig, die Menschen aber ändern sich, und damit müssen sich auch die Wege zu ihnen ändern. Das erfrischende Buch gibt hier Anregungen in Fülle.

Hanns Sauter | biblio

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