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biblio : aktuelle buchtipps

Buchtipps / 2021 / September

erstellt von der STUBE und dem Österreichischen Bibliothekswerk

Jordan Scott / Sydney Smith: Ich bin wie der Fluss

 / Jordan Scott ; Sydney Smith. Aus dem Engl. von Bernadette Ott. - Hamburg : Aladin, 2021. - [44] S. : überw. Ill. (farb.)
ISBN 978-3-8489-0197-5      fest geb. : ca. € 18,50

Kann man wortlos und zugleich voller Worte sein? Und wie kann die Wortlosigkeit zu Papier gebracht werden? Eben dieses Kunststück gelingt Jordan Scott und Sydney Smith in „Ich bin wie der Fluss“: In diesem Bilderbuch geht es um den Sprachfluss, der bei dem kindlichen Protagonisten stockt, denn er kann nur stotternd sprechen. Hier zeigt sich, dass Sprechen und Erzählen nicht identisch sind; dass Sprache und Worte auch auf anderen Ebenen erfahrbar sind. Und so beginnt das Bilderbuch über die Wortlosigkeit mit dem Klang der Worte, der über die Aquarelle von Sydney Smith auf beeindruckende Weise eingefangen wird. In Close-Ups wird auf die einzelnen Szenen des Kinderzimmers hingezoomt, der kindliche Blick betrachtet ganz genau und verknüpft die visuellen Impressionen mit Buchstaben und Worten, die der Protagonist fühlen und denken, aber nicht aussprechen kann: "B für den Baum draußen vor meinem Fenster. K für die Krähe in den Zweigen." Fokussiert wird in den Illustrationen einerseits das Moment des Sehens, das in Close-Ups auf die Augen des Protagonisten gezeigt wird, und andererseits die Gegenstände und Szenen, auf die der Blick fällt: Die Mitschüler*innen, die den kindlichen Protagonisten in der Schule anstarren; sein Vater, der ihn abholt; und schließlich: der Fluss. Denn "mein Vater sagt, ich bin wie der Fluss." Auch der Fluss "sprudelt, gischtet" und "wirbelt", so wie die Worte im Kopf des kindlichen Erzählers, so wie die wunderschönen Illustrationen von Sydney Smith. Was bleibt da noch zu sagen? Ein beeindruckendes Bilderbuch über den (stockenden) Wortfluss und das Erzählen aus der Wortlosigkeit.

Julia Lückl | STUBE

 

Gideon Samson: Ein Zebra in der Schule

/ Gideon Samson. Ill. von Joren Joshua. Aus dem Niederländ. von Rolf Erdorf. - Hildesheim: Gerstenberg, 2021. - 96 S. : Ill.
ISBN 978-3-8369-5695-6    fest geb. : ca. € 13,40

"Wir haben eine Neue in der Klasse. Ein Zebra. Sie heißt Ariane und ist seit einer Woche bei uns." So eröffnet Schülerin Imara einen changierenden Erzähl-Reigen voller absurder Geschichten rund um Freundschaft, Familie und diverse Alltagsallianzen, die – allesamt entspannt und unkonventionell – auch gesellschaftliche Umstände diagnostizieren, überraschende Zusammenhänge herstellen und einen erfrischend unorthodoxen Blick auf die Welt werfen. Ebenso selbstverständlich wie Ariane mit ihren Streifen, ihrer schwarzen Haartolle und den langen, flauschigen Ohren in die Klassengemeinschaft aufgenommen wird, bemüht sich Eskil, einen Witz – aus einem sehr breiten und für seine Verhältnisse zu teurem Angebot – zu erwerben, während Noomi von dem Tag berichtet, an dem das Weinen abgeschafft wurde, wogegen wöchentlich lautstark – und letztendlich mit Erfolg – demonstriert wird. Dass zwei plus zwei mitnichten vier, sondern fünf ist, wird Max erst nach eingehendem Nachsinnen inklusive mentaler Schubser seiner Mitschüler*innen und der Lehrerin klar, und auch Ziva und ihre Familie kämpfen lange, bis sie IHN, der ganz plötzlich aufgetaucht ist und die gesamte Familienstruktur dominiert, wieder loswerden … Wie bunte Perlen werden – unaufgeregt und wertfrei – ungewöhnliche Geschichten aneinandergeknüpft, blitzen da und dort Vertrautes und kleine Überschneidungen auf, werden skurrile Verstrickungen wie nebenbei gelöst – bis schließlich Zebra Ariane den Kreis mit ihrem Bericht über ein ganz besonderes Ereignis an einem ganz besonderen Tag, zu dem die ganze Klasse eingeladen ist, schließt. Die dramaturgische Gestaltung besticht durch den jeweils unmittelbaren Einstieg in die Geschichten, durch das In-Schwebe-Halten des Plots, überraschende Pointen, die samt ihrer Überraschungsmomente offen bleiben dürfen und damit den (vielleicht erwarteten) Impetus nach rationaler Auf- bzw. Erklärung aufbrechen bzw. ignorieren; nicht zuletzt aber überzeugt der entspannt-gelassene Ton und die verblüffende Selbstverständlichkeit, mit der sehr seltsame Dinge und Begebenheiten erzählt werden. Die stilisiert-reduzierte optische Gestaltung in Orange Schwarz und Weiß floated – einzelne Motive aufgreifend bzw. nur andeutend – durch die Textseiten, während ganzseitige Illustrationen jeweils die nächste Geschichte ein- oder die vorhergehende ausleiten und die narrativen Absurditäten – motivisch überhöht – auf die visuelle Ebene transferieren. Eine in Text und Bild ebenso illustre wie harmonische Präsentation einer Klassengemeinschaft, die nicht nur miteinander, sondern auch mit kleinen Konflikten und Alltagsproblemen auf ganz besondere Weise umgeht. Ab 8.

Ela Wildberger | STUBE

 

Kelly Moran: Kissing in the Rain

: Roman / Kelly Moran. Aus dem Engl. von Vanessa Lamatsch. - Hamburg : Kyss, 2021. - 477 S.
ISBN 978-3-499-00606-7      kart. : ca. € 13,40

Um auf der Hochzeit ihrer Schwester unerwünschten Fragen zu entgehen, spielt Cam ihrer Familie vor, in einer Beziehung mit dem gutaussehenden Troy zu sein. (DR)

Kurz vor der Hochzeit ihrer kleinen Schwester Heather wird Camryn von ihrem Freund verlassen. Da ihre Familie sehr temperamentvoll ist, bittet Heather sie darum, eine neue Begleitung für die Feier zu finden. So kann ein Drama um die Trennung vermieden werden. Die Wahl fällt auf Troy, einen Freund der Familie. Auch wenn die beiden auf den ersten Blick überhaupt nicht zusammenpassen, Troy ist gutaussehend und ein Frauenschwarm, Camryn ehrgeizig und pedantisch, spielen sie trotzdem das verliebte Pärchen. Und je mehr Zeit sie miteinander verbringen, desto näher kommen sie sich.
Dieser Roman ist ein richtiger Pageturner. Camryn und Troy sind liebenswürdige und authentische Hauptfiguren. Die Geschichte wird aus Sicht von beiden erzählt. Dabei gelingt es der Autorin, innerhalb der Absätze zwischen den Hauptcharakteren hin und her zu wechseln, ohne die LeserInnen zu verwirren. Obwohl es sich um einen klassischen und etwas vorhersehbaren Liebesroman handelt, lässt die Handlung unerwartete Momente und Wendungen zu. Dieser Roman ist eine angenehme Abwechslung und eine empfehlenswerte Ergänzung für alle Bibliotheken!

Caroline Bauer | biblio

Trent Dalton: Der Junge, der das Universum verschlang

: Roman / Trent Dalton. Aus dem austral. Engl. von Alexander Weber. - Hamburg : HarperCollins, 2021. - 559 S.
ISBN 978-3-7499-0141-8      fest geb. : ca. € 24,70

Zwei Brüder wachsen unter schwierigsten Bedingungen auf und schaffen es, ihre Leben entgegen aller Wahrscheinlichkeiten positiv zu gestalten. (DR)

Eli und Gus sind Brüder. Sie leben in Australien, in schwierigen familiären Verhältnissen. Misshandlungen und kriminelle Machenschaften prägen ihren Alltag. Wie sie damit umgehen, ist aber ganz unterschiedlich. Während Eli extrovertiert den Herausforderungen des täglichen Lebens entgegentritt, zieht sich Gus in eine Welt des Schweigens zurück. Was sie verbindet, ist die tiefe Zuneigung zueinander und die Erfahrung, dass man auch in der schwierigsten Situation glückliche Momente erleben kann.
Von der ersten Seite an wünscht man sich als LeserIn, dass sich das Schicksal von Eli und Gus zum Besseren wendet. Dem Autor gelingt es, die Handlung in eine positive Richtung zu entwickeln, ohne dabei ins Kitschige abzudriften. Trent Dalton hat mit "Der Junge, der das Universum verschlang" ein wunderbares Buch geschrieben, mit dem er seine LeserInnen zu fesseln vermag. Sprachlich dicht schafft er faszinierende Charakter- und Milieustudien. Es gelingt Dalton, an den richtigen Stellen inhaltlich abzubiegen und verblüffende Wendungen einzuführen. So hält er die Spannung bis zur letzten Seite aufrecht.

Petra Fosen-Schlichtinger | biblio

Nam-Joo Cho: Kim Jioung, geboren 1982

: Roman / Nam-Joo Cho. Aus dem Korean. von Ki-Hyang Lee. - Köln : Kiepenheuer & Witsch, 2021. - 206 S.
ISBN 978-3-462-05328-9      fest geb. : ca. € 18,50

Nachdenklich stimmender Roman über die Rolle der Frau in Südkorea. (DR)

Kim Jiyoung ist 33 Jahre alt. Sie ist verheiratet und hat ein einjähriges Kind. Vor der Geburt hatte sie eine gute Position in einem Marketingunternehmen, sie hat sich die Aufgaben des Haushaltes mit ihrem Mann geteilt und war eine selbständige junge Frau. Mit der Entscheidung für ein Kind hat sich diese Situation schlagartig geändert. Der Druck der Schwiegermutter und anderer Verwandten wurde noch größer. "Natürlich" wurde von ihr erwartet, dass sie einen Jungen auf die Welt bringt. Da sie als Frau drastisch weniger verdient als ihr Mann, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihren Beruf aufzugeben, um beim Kind zu bleiben. Nach und nach beginnt die junge Mutter sich zu verändern. Sie nimmt abwechselnd die Rollen ihrer Mutter, ihrer Großmutter oder Schwiegermutter ein. Was ihr Mann anfangs noch für einen schrägen Spaß hält, wird zusehends zu einem Problem, da diese Rollendarstellungen besonders bei den Besuchen bei Verwandten auftreten. Aus dem Erleben dieser verschiedenen Perspektiven erfahren die LeserInnen Bedrückendes über die Rolle der Frau in den verschiedenen Generationen in Südkorea. Kim hat es im Gegensatz zu ihren weiblichen Vorfahren nahezu schon "gut", immerhin konnte sie zur Schule gehen und studieren. Dennoch gehört es auch für sie zur Tagesordnung, von Männern belästigt zu werden, herabgewürdigt zu werden und permanent unter der Beobachtung der Verwandten zu stehen. Es ist sehr bedrückend zu lesen, in welchen Situationen Kim als Frau regelrecht als Mensch degradiert wird. Leider findet man dazu auch viele Parallelen in unserer heutigen europäischen Gesellschaft.
Ein sehr eindrucksvoller und zum Nachdenken anregender Roman. Besonders gefallen hat mir, dass der eigentlich fiktive Plot durch Fußnoten mit Hinweisen auf reale Artikel über die Rolle der Frau in Südkorea gestützt wird. Der Roman stellt auch für Schulen und/oder Universitäten eine gute Diskussionsgrundlage dar.

Ursula Pirker | biblio

Michael Horowitz: H.C. Artmann

: Bohemien und Bürgerschreck / Michael Horowitz. - Wien : Ueberreuter, 2021. - 206 S.
ISBN 978-3-8000-7766-3      fest geb. : ca. € 22,00

Ein atmosphärisch-dichtes Porträt eines der schillerndsten Dichter des deutschen Sprachraumes. (PL)

Als der Dichter H.C. Artmann im Jahr 2000 verstarb, verlor Österreich einen seiner bekanntesten und schillerndsten Sprachartisten. Sein langjähriger Freund Michael Horowitz führte im Dezember 2020 ein Gespräch mit der Witwe Rosa Artmann, in dem der Dichter und Mensch Hans Carl Artmann in all seinen Facetten in Erinnerung gerufen wird. Dabei werden auch die wilden Zeiten, die sein Leben prägten, nicht ausgespart. In Berlin, Graz und Salzburg, aber vor allem in Wien - mit seinen Freunden Friedrich Achleitner, Konrad Bayer, Gerhard Rühm und Oswald Wiener sowie mit Heimito von Doderer und Helmut Qualtinger, Wolfgang Bauer, Peter Rosei und Peter Turrini.
Gespickt mit Artmann-Zitaten und Anekdoten, nimmt Michael Horowitz die LeserInnen mit auf eine Zeitreise, die von Artmanns rebellischen Anfängen in den Nachkriegsjahren über seine ersten großen Erfolge und die anschließende Flucht in ausgedehnte Reisen bis hin zum Lebensabend in der Wiener Josefstadt führt. Dieses Buch ist von der ersten Seite an prall gefüllt mit interessanten Fakten, aber auch mit Stimmungsbildern, die an eine Zeit erinnern, als Literaten noch antibürgerliche Revolutionäre waren und regelmäßig für öffentliche Skandale sorgten. H.C. Artmann hätte mit diesem Buch sicherlich seine Freude gehabt!

Johannes Preßl | biblio

Christoph Reuter: Alle sind musikalisch - außer manche

: alles über die wunderbare Welt der Musik - und der Beweis, dass wir viel musikalischer sind, als wir denken / Christoph Reuter. Mit Ill. von Inka Hagen. - München : Heyne, 2021. - 368 S. : Ill.
ISBN 978-3-453-21803-1      kart. : ca. € 20,60

Vom singenden Zaunkönig bis zu "Thriller" von Michael Jackson - das Universum der Musik unterhaltsam erklärt. (KM)

Der Pianist und Musikkabarettist Christoph Reuter hat dieses Buch für alle, die Musik lieben oder sie für sich entdecken wollen, verfasst. Er arbeitet dabei mit der Methode des interaktiven Lesens, indem er dazu auffordert, einfache Experimente durchzuführen, durch die man die eigene Musikalität entdecken kann. Das Buch bietet Stimmübungen, Anleitungen zum Tanzen und selbst die elementaren Grundlagen der Musiktheorie werden darin erklärt. Wer will, kann sich damit sogar das Notenlesen selbst beibringen.
Der Autor ist der Überzeugung, dass die Zahl der Menschen, die wirklich unmusikalisch sind, verschwindend gering ist. Deshalb ruft er die LeserInnen auf, sich musikalisch zu betätigen und sich nicht von einem falschen Streben nach Perfektion davon abhalten zu lassen. Die Menschen sollen singen und musizieren. Egal wie - Hauptsache sie tun es! Denn Musik macht seiner Meinung nach nicht nur Freude, "wer Musik macht, hat mehr vom Gehirn fürs gleiche Geld. Musik ist eine Art Gehirndoping. Sie hat die Macht, unser Gehirn zu verändern."
Dieses Buch verspricht einen sehr hohen Lesegenuss, weil es informativ und gleichermaßen humorvoll und unterhaltsam ist. Absolut empfehlenswert!

Johannes Preßl | biblio

Michael Rosenberger: Was der Seele Leben schenkt

: Spiritualität aus Erde / Michael Rosenberger. - Würzburg : Echter, 2021. - 216 S.
ISBN 978-3-429-05590-5      kart. : ca. € 15,40

Über eine Spiritualität von unten. (PR)

Unter "Spiritualität aus Erde" oder "Spiritualität von unten" versteht der Autor eine Spiritualität, die von elementaren menschlichen Erfahrungen ausgeht und somit allgemein anthropologisch ausgerichtet ist. Sie verzichtet auf theologische Höhenflüge und auf jedweden ideologischen Überbau und fragt schlicht und einfach: Woraus lebst du? So verstanden ist Spiritualität etwas, das alle Menschen - gleich welchen Glaubens oder welcher Weltanschauung - verbindet. Und wie sich im Laufe der Beschäftigung mit diesem Buch herausstellt, ist dies sehr viel mehr, als oft vermutet wird. Dieses alle Verbindende arbeitet der bekannte Professor für Moraltheologie an der kath. Universität Linz in 12 Kapiteln heraus. Die Glaubens- oder Gedankengebäude, die nicht nur die christlichen Kirchen im Laufe der Jahrhunderte geschaffen haben, verstellen hier viel und verkomplizieren spirituelle Praxis, die Rosenberger in den Satz fasst: "Spiritualität ist eine konkrete, stimmige Gestalt des geistvollen Umgangs mit der Wirklichkeit".
Die adäquaten Formen des eigenen Umgangs zu finden, sie in den Lebens- und Glaubensweg einzubinden und dabei offen zu bleiben für andere Wege, die dasselbe Anliegen verfolgen - dazu gibt es neben ausführlichen Darlegungen zu jedem Kapitel Anleitungen und praktische Übungen. Ein Religionen und Weltanschauungen verbindendes Buch für alle religiös aufgeschlossenen Menschen. Es lohnt sich, es gründlich zu lesen und sich anzueignen.

Hanns Sauter | biblio

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