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biblio : aktuelle buchtipps

Buchtipps / 2023 / März

erstellt von der STUBE und dem Österreichischen Bibliothekswerk

Pija Lindenbaum: Der erste Schritt

/ Pija Lindenbaum ; aus dem Schwedischen von Jana Hemer.
- Leipzig : Klett Kinderbuch, 2023. - 22 ungezählte Seiten : Illustrationen
ISBN 978-3-9547027-6-3      Festeinband : EUR 18,50 (AT)

»Die Schäfin bestimmt immer, was wir machen. Wir müssen uns nie selbst was ausdenken. Und das ist ja sehr praktisch.« In diesem lakonischen Tonfall erzählt ein kindliches Ich vom Leben in einem kuriosen, ebenso märchenhaften wie dystopischen Setting: »Richtig viele Kinder« leben in vier Häusern, betreut von der Schäfin, die offenbar ein Hund ist. Gegliedert wird dieses Zusammenleben von strikten und reichlich skurrilen Regeln: Steine tragen und Stiefel putzen, in die Wolken schauen und sich entspannen. Was geschieht beziehungsweise welcher der Kindergruppen namens Primeln und Ringelblumen welche Aufgabe zugewiesen wird, entscheidet einzig und allein die Schäfin.
Die schwedische Bilderbuchkünstlerin Pija Lindenbaum kontrastiert in ihren Illustrationen zu dieser parabelhaften Geschichte sehr unkonventionell Zeitlosigkeit und modernes Medienzeitalter: Während den Kindern mithilfe eines Topfes ein Haarschnitt verpasst wird, der an Mönche à la »Narziss und Goldmund« erinnert, steht am Tisch ein Laptop. Die blauen Kutten (die ebenfalls recht klösterlich wirken) passen nicht so recht zu den knallroten Turnschuhen mit den wohlbekannten weißen Streifen. Diese irritierende Bildgestaltung wird ebenso wie die stellenweise durchaus beklemmende Atmosphäre zu Fragen und Austausch über ähnliche Erfahrungen anregen. Und wie das so ist in ungerechten und willkürlichen Systemen, irgendwann wagt jemand die Frage zu stellen, ob das Leben nicht auch ganz anders sein könnte. Und ob es wirklich so gefährlich ist, die Linie zu überqueren…

Kathrin Wexberg | STUBE

Petra Hartlieb & Hubert Flattinger: Der Wald heult

: ein Fall für Martha & Mischa / Petra Hartlieb ; Hubert Flattinger
; illustriert von Ulrike Halvax. - Graz : Leykam, 2023. - 160 Seiten : Illustrationen
ISBN 978-3-7011-8262-6       Festeinband : EUR 18,50 (AT)

Petra Hartlieb kennt man nicht nur als charmante Leiterin einer erfolgreichen Wiener Buchhandlung – Hartliebs Bücher –, über die sie mit »Meine wundervolle Buchhandlung« (Dumont, 2014) ein beherztes Buch verfasst hat, das nun in »Zuhause in unserer Buchhandlung« (Carlsen, 2023) mit Bildern von Nini Alaska für kindliche Leser*innen aufbereitet wurde, sondern unter anderem auch als Co-Autorin einer bestechenden Wien-Berlin-Krimireihe, die sie gemeinsam mit dem Berliner Autor und Journalisten Claus-Ulrich Bielefeld verfasst hat – Bielefeld & Hartlieb: Ein Fall für Berlin und Wien (Diogenes, 2011–2015). Abwechselnd erzählen die beiden darin aus den Perspektiven eines Berliner Kommissars Thomas Bernhardt und der Wiener Chefinspektorin Anna Habel. Dieses Konzept des gemeinsamen Schreibens und alternierenden Erzählens hat die Autorin, Unternehmerin und Moderatorin des FALTER-Buchpodcast »Besser lesen« mit dem FALTER nun erneut aufgegriffen – und wieder ist dabei ein empfehlenswerter Krimi herausgekommen, diesmal allerdings richtet er sich an jüngere Leser*innen: Zusammen mit dem Journalisten, Buch- und Theaterautor Hubert Flattinger erzählt Petra Hartlieb in »Der Wald heult« von Martha und Mischa, die mit ihren Eltern von der Großstadt (Wien) aufs Land (Krähfeld) ziehen. Sind die beiden zunächst gar nicht begeistert über ihr neues rurales Zuhause, beginnen sie sich nach dem ersten Schließen von Freundschaften und gemeinsamen Erlebnissen so langsam doch wohlzufühlen. Wäre da nur nicht dieser unheimliche Wolf, der nachts um ihr Haus schleicht. Was es damit auf sich hat, erkunden die kindlichen Ich-Erzähler*innen tatkräftig auf eigene Faust – und stoßen auf böswillige Machenschaften… Bestechend sind dabei nicht nur der launige Erzählton der beiden unterschiedlichen Erzählstimmen und die liebenswerte Figurenzeichnung, in die ganz unaufdringlich und wie selbstverständlich gesellschaftliche Diversitäten eingeschrieben werden, sondern auch die von Ulrike Halvax angefertigten Illustrationen, die in frecher schwarz-weißer Strichführung und frischer grüner Akzentsetzung den Text ergänzen. Vor allem die die einzelnen Kapitel einleitenden Vignetten halten immer wieder Überraschungen bereit, wenn sie ihre Porträts der jeweiligen erzählenden Figur an deren Stimmung anpassen. Mal genervt, mal entsetzt, mal (vor-)freudig, mal wütend blicken uns Martha und Mischa entgegen – und tragen so zu einem ganz besonderen Leseerlebnis bei, nachdem man sich schon hoffnungsvoll auf den nächsten Band freut.

Claudia Sackl | STUBE

Lana Bastašić: Mann im Mond

: Erzählungen / Lana Bastašić ; aus dem Bosnischen von Rebekka Zeinzinger.
- Frankfurt am Main : S. Fischer, 2023. - 202 Seiten
ISBN 978-3-10-397153-8       Festeinband : EUR 24,70 (AT)

Zwölf Erzählungen aus Bosnien von den 60ern bis in die Gegenwart. (DR)

Das Buch ist »Lina gewidmet, die sieben Jahre alt ist und den Mond anschaut« und es beginnt mit folgendem Eingangszitat: »Ganz am Anfang (…) steht ein in den Keller geworfenes Kind!« Schon die erste Erzählung irritiert mit dem verstörenden Geständnis eines halbwüchsigen Buben: »Ich brauchte ganz schön lange, um Papa zu erwürgen«, gemeint ist sein gewalttätiger Vater, der seine Frau ständig unterdrückt, schamlos ausnützt und selbst Hand anlegt. Diese Rahmenhandlung ist eingebettet in die titelgebende Geschichte, die von jenem Großereignis am 20. Juli 1969 erzählt, als die Dorfbewohner in Linas Elternhaus zusammenkommen, um die Mondlandung zu sehen, während das Mädchen und ihre beiden Brüder in den Garten geschickt werden. Der ältere Bub hat noch Schmerzen von den üblichen, wiederholten Prügelstrafen seines Vaters, doch mit Blick auf seinen kleinen, gerade noch verschont gebliebenen Bruder reift er zur Selbstermächtigung und tötet den sturzbetrunkenen Vater noch in der gleichen Nacht. Solche traumatischen Geschichten werden vor allem von jungen Menschen erzählt, die körperliche, sexuelle wie seelische Misshandlungen erdulden müssen, die jedoch gelernt haben zu schweigen oder die sich aus Liebe zu ihren Eltern für solche gesellschaftlich sanktionierten Rituale aufopfern. Ergänzend dazu werden bruchstückhafte Biographien von resignierenden Frauen erzählt, die sich mit den üblichen patriarchalischen Zuständen abgefunden haben. Es sind aus dem Leben gegriffene Porträts und Alltagsgeschichten, die Einblick geben in traditionell übliche Verhaltensmuster beispielsweise in Bosnien bzw. auf dem Westbalkan, wo bis heute viele Jugendliche, Erwachsene und deren notorische Peiniger geprägt sind von einer traumatischen Kindheit und lebensbedrohlichen Existenzsorgen in vergangenen Kriegs- wie gegenwärtigen Umbruchzeiten. Eine empfehlenswerte Lektüre zu besserem Verständnis über die politischen wie gesellschaftlichen Vorgänge in unmittelbarer Nachbarschaft.

Jutta Kleedorfer | biblio

Melissa Fu: Der Pfirsichgarten

: Roman / Melissa Fu ; aus dem Englischen von Birgit Schmitz.
- Frankfurt am Main : S. Fischer, 2022. - 494 Seiten
ISBN 978-3-10-397167-5       Festeinband : EUR 25,70 (AT)

Generationsroman über einen chinesischen Jungen, der schließlich in Amerika eine Familie gründet. (DR)

Wir lernen den Protagonisten Renshu im Jahr 1938 kennen. Damals war er vier Jahre alt und musste mit seiner Mutter Meilin vor den Japanern flüchten. Meilin musste ihr bisheriges Leben zurücklassen und mit dem kleinen Renshu quer durch China flüchten. Sie erträgt die neue Situation mit viel Geduld und Stärke und schafft es, ihrem kleinen Sohn die notwendige Liebe zukommen zu lassen. Immer wenn er Angst bekommt, liest sie ihm aus einer mitgenommenen Schriftrolle Geschichten vor. Die Fantasie-Reisen helfen beiden, den schrecklichen Alltag kurz zu vergessen. Nach vielen Fluchtstationen gelangen sie nach Taiwan. Renshu geht zur Schule und lernt fleißig. Dank seiner guten Noten und der Hilfe seines Onkels erhält er schließlich ein Doktorats-Stipendium in den USA. Renshu verlässt schweren Herzens seine Mutter und beginnt sein Leben in Amerika mit dem neuen Namen Henry.
Henry braucht lange, um in der neuen Welt Fuß zu fassen. Er ist ständig darauf bedacht, nichts falsch zu machen und auch seine in Taiwan verbliebene Mutter nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Seine berufliche Karriere geht gut voran, er verliebt sich in eine Frau und sie bekommen eine Tochter namens Lily. Als Lily anfängt, Fragen zu stellen, wer ihre Verwandten in China sind, ob Oma Meilin sie besuchen kommen kann und sie den Wunsch äußert, Chinesisch zu lernen, treten Henrys eigene Probleme stark in den Vordergrund. In der Familie kommt es zu großen Spannungen.
Erst Jahre später, als Lily längst erwachsen ist, erzählt ihr Vater seine Geschichte, in der auch der in einer der Schriftrollen beschriebene Pfirsichgarten eine bedeutende Rolle spielt.
Ein sehr berührender, spannender und auch informativer Roman. Obwohl die Autorin eine ähnliche Geschichte hat, ist der Plot nur begrenzt als autobiografisch zu verstehen. Sehr empfehlenswert.

Ursula Pirker | biblio

Clemens J. Setz: Monde vor der Landung

: Roman / Clemens J. Setz.
- Frankfurt am Main : Suhrkamp, 2023. - 519 Seiten
ISBN 978-3-518-43109-2       Festeinband : EUR 26,80 (AT)

»Do your research.« (DR)

Biografisch-historische Konstruktion (samt autofiktionaler Elemente) des Lebens von Peter Bender, Kriegsversehrtem, Verschwörer, Schriftsteller, Weltpriester, Betrüger, »Undeutschem«, Mauthausentotem. Jemandem Fantasiebegabten, der zeitlebens Fakten alternativ interpretierte, sich an der Realität rieb und sie leugnete, manische, panische und aggressive Züge trug, seine Frau betrog und an lähmenden Kopfschmerzattacken, seiner Umwelt und Halluzinationen litt. Er hatte Angst vor dem »haltlosen Schädelgefühl«, Linderung brachte sein Denken und Träume von der unbedingten Freiheit. Er starb erbärmlich.
Die Polarität von Gesellschaft und oft durch sie psychiatrierten Individuen beschäftigt Setz auch in diesem Buch über einen Freidenker; er taucht tief ein in abstruse Logikketten, auch ins Zersprengen eines Individuums und Deutschlands vom ersten bis in den zweiten Weltkrieg. Die konventionelle Form der Biografie und der recherchierte, referierende Erzählton erlauben ihm, die Hohlweltkonzeption und ideologische Strömungen gut les- und vorstellbar zu schildern.
Toll-wütige Literatur. Empfehlung.

German Brandstötter | biblio

Evi Simeoni: Höllenjahre

: die Briefe meines Onkels aus dem Krieg. 1939 - 1945
: mit 16 Schwarz-Weiß-Abbildungen und einer Karte
/ Evi Simeoni. - München : Piper, 2023. - 315 Seiten : Illustrationen
ISBN 978-3-492-07151-2       Festeinband : EUR 22,70 (AT)

Die Grausamkeit des Krieges und die Ohnmacht der Betroffenen, demonstriert anhand der erschütternden Original-Feldpostbriefe eines jungen Mannes. (BB)

Weiche, fast kindliche Züge zeigt das Porträt des jungen Mannes auf dem Titelbild dieses aufrüttelnden Sachbuches, das die »Lebenszeichen« von Heinz Meyer wiedergibt, die er aus dem Zweiten Weltkrieg an seine Familie geschickt hat. Die renommierte deutsche Journalistin Evi Simeoni hat 2020 aus dem Nachlass ihrer Tante die Feldpost ihres Onkels bekommen und im vorliegenden Buch herausgegeben. Zum besseren Verständnis hat sie sorgfältig recherchierte Erläuterungen eingefügt. Der in Ulm geborene Schwabe Heinz Meyer ist als 18-Jähriger im September 1939 zur Wehrmacht gekommen, hat am Frankreichfeldzug (ab Mai 1940) teilgenommen, war zwischendurch wieder in Deutschland zur Ausbildung, dann im besetzten Holland, bis er schließlich im Juni 1942 in die »große Front des grauen Krieges im Osten« eintreten musste. In Russland erkrankte er schwer an Wolhynischem Fieber, überlebte nur knapp in einem Lazarett in der Heimat, auch dank der liebevollen Pflege der Krankenschwester Ida, die er während des Krieges heiratete – trotz damals fast unüberwindlicher Hindernisse (sie katholisch, Heinz evangelisch). Nur vier Monate nach der Hochzeit starb Heinz Ende Februar 1945 in der völlig aussichtslosen Schlacht um Breslau mit 23 Jahren.
Die liebevoll zärtlichen, stets von Zuversicht getragenen Briefe an seine Eltern und Geschwister sind, wenn man von vornherein um das tragische Ende weiß, Dokumente des Grauens. »Geschichte von unten« – die nüchterne Zahl von 60 Millionen Toten, die Hitlers Krieg gefordert hat, soll nicht vergessen lassen, dass hinter jedem einzelnen dieser Opfer ein menschliches Schicksal steht. Dieses empfehlenswerte Buch ist eine eindringliche Mahnung gerade in der aktuellen Situation!

Maria Schmuckermair | biblio

Greta Thunberg: Das Klimabuch

/ Greta Thunberg
; aus dem Englischen von Michael Bischoff und Ulrike Bischoff.
- Frankfurt am Main : S. Fischer, 2022. - 487 Seiten : Illustrationen
ISBN 978-3-10-397189-7       Festeinband : EUR 37,10 (AT)

In verschiedenen Essays der Autorin sowie von Expert*innen aus der ganzen Welt werden umfassend unterschiedliche Aspekte der Klimakrise erörtert. (NB)

Dass es eine Klimakrise gibt, weiß mittlerweile so gut wie jede*r. Wie dringend etwas getan werden muss, haben auch schon viele verstanden. Wie weit der Weg zu einer klimaneutralen Zukunft allerdings noch ist, wird nach der Lektüre des »Klimabuches« einmal mehr bewusst. Greta Thunberg, Klimaaktivistin und Begründerin von »Fridays for Future«, hat im vorliegenden umfangreichen Band Essays verschiedener Klimaforscher*innen, Journalist*innen und Wissenschaftler*innen über verschiedene Aspekte zu diesem so unfassbar großen Thema gebündelt. Dabei schlüsselt sie das Problem in fünf Kapitel auf: Auf »Wie das Klima funktioniert« und »Wie unser Planet verändert wird« folgen »Die Folgen für uns«, »Was wir dagegen unternommen haben« und schließlich »Was wir jetzt tun müssen«. Das fast 500 Seiten dicke Buch schafft es durch die Vielstimmigkeit der renommierten Beiträger*innen, den unterschiedlichen Faktoren, die die Klima- und Ökologiekrise beeinflussen und bestimmen, Raum zu geben, es erklärt, fasst zusammen und bietet zugleich einen detaillierten Blick auf die Bedrohung.
Das »Klimabuch« sei allen ans Herz gelegt, auch weil es Greta Thunberg damit gelungen ist, die wichtigsten Fakten, Probleme und Aspekte dieses Themas zwischen zwei Buchdeckel zu bringen. Und weil diese Krise alle etwas angeht, weil jede*r von ihr betroffen ist, ist es sinnvoll, dass jede*r sich mit dem Thema auch auseinandersetzt.

Eleni Steinborn | biblio

Elmar Simma: Was das Herz erwärmt

: kleine Schätze für den Alltag / Elmar Simma.
- Innsbruck ; Wien : Tyrolia Verlag, 2022. - 136 Seiten
ISBN 978-3-7022-4064-6       Festeinband : EUR 17,00 (AT)

Geschichten und Meditationen, die Mut machen. (PR)

In den vier Themenbereichen »Alltägliches«, »An den Grenzen des Lebens«, »Hoffnungen« und »Lichtspuren« entfaltet der langjährige Caritas-Seelsorger Elmar Simma aus seinem vielfältigen Erfahrungsschatz bestärkende Zugänge zu biblischen Botschaften und verknüpft anschaulich alltägliche Gegebenheiten mit meditativen Gedanken und zum Nachdenken anregenden Fragestellungen. Ein kleines Büchlein, das eine große Wirkung haben kann, fast wie Exerzitien mitten im Leben, wenn es nicht nur einfach gelesen wird, sondern, wenn auch die Impulse zum Mitdenken aufgegriffen, mit dem eigenen Leben in Verbindung gebracht werden und bestärkend wirken, um Antworten für kleine und große Lebensfragen zu finden, die einfach gut tun.
Ein empfehlenswertes Buch, das Bewegung ins Denken und Handeln bringen kann und mit seinen liebenswerten Erzählungen Hoffnung versprüht.

Birgit Leitner | biblio

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