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biblio : aktuelle buchtipps

Buchtipps / 2016 / März

erstellt von der STUBE und dem Österreichischen Bibliothekswerk

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Toon Tellegen: Ein Garten für den Wal

/ Toon Tellegen. Mit Bildern von Annemarie van Haeringen. Aus dem Niederländ. von Andrea Kluitmann. – Hildesheim : Gerstenberg, 2016. – 54 S. : Ill. (farb.)
ISBN 978-3-8369-5901-8   fest geb. : ca. € 13,40

„In der Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat…“ – so beginnen bekanntlich viele Märchen. In märchenhaftem Ton von einem großen Wunsch erzählt auch Toon Tellegen, eine der wichtigen Stimmen der niederländischen Kinderliteratur, in seinem neuesten, von Andrea Kluitmann ins Deutsche übersetzten Kinderbuch: Denn der Wal hätte so gerne einen Garten. Einen Garten mit einer ganz spezifischen Funktion: „Ein Garten mit einer Bank, auf der man sich am Ende des Tages, wenn die Sonne unterging, behaglich zurücklehnen könnte.“ Ansprechperson für diesen Wunsch ist natürlich der Grashüpfer: Denn er hat ein Geschäft, in dem er alles verkauft, was die Tiere haben wollen: Von der Serviette für den Bären (der sich beim Torte essen immer bekleckert) bis zur Torte mit tausend Kerzen für die Eintagsfliege…Den großen Wunsch und dessen Erfüllung, aber auch seine finale Neuinterpretation setzt Annemarie van Haeringen mit zartem Strich und verwaschenen Farbflächen, vor allem aber mit genialer tierischer Mimik um – denn ein Wal ist doch nie so glücklich und zufrieden wie mitten im Sprung.

Kathrin Wexberg | STUBE 

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Mats Wahl: Sturmland - die Reiter

/ Mats Wahl. Aus dem Schwed. von Gesa Kunter. - München : Carl Hanser, 2016. - 250 S.
ISBN 978-3-446-24936-3      fest geb. : ca. € 15,40

Der Titel „Sturmland. Die Reiter“ deutet darauf hin, dass es sich bei Mats Wahls aktuellem Roman um keinen herkömmlichen, um keinen singulär erscheinenden Roman handeln könnte. Ein einziger, weißer Punkt über dem „A“ in Sturmland verhärtet diese Mutmaßung. Dennoch werden sich viele die Frage stellen: „Hat Mats Wahl mit diesem neon-grünen Buch wirklich eine Reihe gestartet? Mats Wahl eine Reihe?“ Gewissheit bringt ein buntes Faltblatt, das der Carl Hanser Verlag beilegt: „Seine Sturmland-Saga ist ein düsteres, erschreckend realistischer Zukunftsepos – spannend und mitreißend ab der ersten Zeile.“ Nach dieser Klarstellung wird man in der kleinen Broschüre über die Figuren, die Lebenswelt und die Folgebände informiert. Damit ist die Romantik des Ungewissen verflogen und die Vorfreude auf einen fünfteiligen „Dystopos“ gestiftet.
Denn dass es sich um einen Plot handelt, der in einer hochtechnisierteren und einer etwas anders medialisierten Zukunft spielt, wird bereits auf den ersten Seiten klargestellt, als das Wohnhaus einer am Land lebenden Familie in Szene gesetzt wird: Automatisierte Überwachungskameras, hauswandfüllende Bildschirme und klar deklarierte Propaganda-Inhalte im Rahmen der TV-Abendnachrichten. Hintergründe über die Überwachungsvorkehrungen werden nicht mitgeliefert, warum die Familie gegenüber vermeintlichen Eindringlingen mit überaus großen Vorbehalten reagiert, auch nicht. Darin steckt Mats Wahls literarische Form, die nun auch im Dystopie-Genre fesselt: Perfekt arrangierte Leerstellen, zurückgenommene Figurencharakterisierung und die Konstruktion einer Welt, die einen großen Unsicherheitsfaktor für die Figuren und für die LeserInnen darstellt. Denn beide können nicht sicher sein, was im nächsten Moment passieren wird. Ein erster verlustreicher Vorfall, der die 16-jährige Protagonistin Elin in diesem gefährlichen Außenraum in Handlungsnot bringt, liefert einen eindeutigen Vorgeschmack und erklärt, warum sich ihre Familie in die Isolation begeben hat.
Schnell steht fest, dass im „Sturmland-Universum“, das laut Beipacktext in den 2060er-Jahren spielt und in dem äußerst prekäre Verhältnisse herrschen, gegenwärtige Entwicklungen thematisiert werden: Entzug von Freiheit sowie Privatsphäre, Korruption der Staatsmacht, klimatische Veränderungen und der Verlust menschlichen Vertrauens. Dagegen kämpft Elin im ersten Teil dieser Saga an und muss dabei auf Pferd, Armbrust und Axt zurückgreifen. Mats Wahl skizziert im ersten Band eine dystopische Szenerie, die neugierig macht auf die Geschichte der Familie, auf die Hintergründe einer zivilisatorischen Neuordnung, auf die Handlungsfähigkeit einer charismatischen weiblichen Identifikationsfigur und auf Mats Wahls Umsetzung einer fünfteiligen Saga, die zwischen Realismus und Dystopismus angesiedelt ist.

Peter Rinnerthaler | STUBE

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Friedrich Ani: Der einsame Engel

: ein Tabor Süden Roman / Friedrich Ani. - München : Droemer, 2016. - 204 S.
ISBN 978-3-426-28147-5      fest geb. : ca. € 18,50

Der sentimentale Detektiv Tabor Süden versucht, einen verschwundenen Gemüsehändler auszuforschen. (DR)

Leidlich oder auch stark "bebiert" ist Tabor Süden, der alleinstehende, 55-jährige ehemalige Polizist und nunmehrige Mitarbeiter in einem Detektivbüro, meistens. Seine Sentimentalität hat ihre Ursache in der frühen Verwaistheit des Mannes. Die Mutter ist gestorben, als er 13 war, der Vater später abgehauen. Der schmerzvollste Verlust aber war für ihn der Selbstmord seines lebenslang besten Freundes, Berufskollegen und Wegbegleiters Martin. Mit ihm hält er immer noch heimlich Zwiesprache. Ansonsten ist Süden aber von vielen verständnisvollen, ebenfalls leidgeprüften Frauen umgeben: von seiner Chefin Edith und seiner Mitarbeiterin Patrizia. Der neue Fall, den er zu übernehmen hat, kommt ebenfalls von einer Frau. Emma Fink meldet ihren Chef, den Gemüsehändler Justus Greve, als vermisst. Im Zuge der Ermittlungen kommt Tabor Süden noch mit weiteren Frauen ins Gespräch, denn der Verschwundene war ein Casanova, der zum Beispiel nicht nur eine gewisse Anita Kurth verführt hat, sondern auch deren Tochter.
Wie immer in Friedrich Anis wunderbar ergreifend zu lesenden Kriminalromanen steht nicht so sehr der aufzuklärende Fall im Vordergrund, sondern die außerordentlich sensible Wahrnehmung der Protagonisten. Anis Sprache enthält keine Redundanzen und trifft mit ihren klaren Metaphern das innerste Wesen der Dinge. Und so kommen - wie nebenbei - auch viele menschlich und gesellschaftlich relevante Themen zur Sprache: z. B. stark nachwirkende Jugenderlebnisse, Prügelstrafe, Kontrast zwischen Arm und Reich in München… - Ein Pflichtbuch, allen Bibliotheken dringend empfohlen!

Maria Schmuckermair | biblio

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Catalin Dorian Florescu: Der Mann, der das Glück bringt

: Roman / Catalin Dorian Florescu. - München : C.H. Beck, 2016. - 325 S.
ISBN 978-3-406-69112-6      fest geb. : ca. € 20,60

New York als Bühne für Einwanderergeschichten. (DR)

New York, der 11. September. Elena, eine Fischertochter aus dem Donaudelta, ist gekommen, um die Asche ihrer Mutter vom Südturm zu streuen. Als alles in Trümmern liegt, trifft sie den erfolglosen Künstler Ray. Die Situation ist dramatisch, geradezu grotesk. Die beiden erzählen sich ihre jeweilige Geschichte, die Geschichten ihrer Familien. Von etwa 1899 bis in die Gegenwart spinnt sich dieser Roman irgendwie von selbst, aus zwei verschiedenen Sichtweisen, aber dennoch sehr kompakt. Aufbruchstimmung und tief verwurzelte Traditionen, Aberglaube, Verzweiflung und der unerschütterliche Glaube an den Erfolg und das bessere Leben prägen die Stimmung der Erzählung. Es ist eigentlich eine typische Einwanderergeschichte: New York als Schmelztiegel, als Ort der unendlichen Möglichkeiten zur Selbstentfaltung, aber auch als Ort des totalen Scheiterns.
Der Autor, selbst 1982 aus Rumänien geflohen, erzählt eine kraftvolle, spannende und hochaktuelle Geschichte über Emigration und die Suche nach Identität. Der Erzählstil ist teilweise etwas fordernd, transportiert aber eine wunderschöne Atmosphäre. Das Buch ist für alle Bestände empfehlenswert.

Sabine Eidenberger | biblio

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Ralf Rothmann: Im Frühling sterben

: Roman / Ralf Rothmann. - Berlin : Suhrkamp, 2015. - 233 S.
ISBN 978-3-518-42475-9  fest geb. : ca. € 20,60

Verlorene Jugend und gestohlenes Leben. (DR)

Der Buchtitel stellt nicht nur eine jahreszeitliche Einordnung her, nämlich die letzten Kriegsmonate 1945, sondern auch eine lebensgeschichtliche: Zwei Siebzehnjährige, Walter und Fiete, beide Melker in einem landwirtschaftlichen Betrieb in Norddeutschland, geraten noch gegen Kriegsende in die Vernichtungsmaschinerie des Dritten Reiches. Fiete wird sterben, das Leben des anderen ist davon "verdunkelt". Dabei hatte Walter, der als LKW-Fahrer der Versorgungstruppe zugeteilt war, nur einen Schuss abzugeben - allerdings als Mitglied des Exekutionskommandos auf seinen Freund Fiete, der desertiert war.
In der Rahmenhandlung berichtet der Erzähler von seinem Vater, der ebenfalls als junger Mann aus dem Krieg zurückkam und nie über das Gesehene und Erlebte reden konnte. Rothmanns Roman füllt sozusagen eine biografische Leerstelle aus. Geht dem nach, was auch dem Vater des Erzählers widerfahren sein könnte, und demonstriert mit großer Erzählkunst die Schrecken des Krieges, die begangenen Verbrechen und ihre zynischen Betreiber. Ohne zu beschönigen oder zu heroisieren, aber auch ohne zu dämonisieren, führt Rothmann in die Abgründe von Grausamkeit und Aussichtslosigkeit. Seine Empathie gilt auch den Opfern auf den Seiten der Täter, den verführten oder erzwungenen. - Ein vorzüglicher literarischer Beitrag zum Gedenkjahr für das Kriegsende 1945. Sehr gerne empfohlen.

Fritz Popp | biblio

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Nicolas Vanier: Mit meinen Hunden

: 6000 Kilometer durch Sibirien, China und die Mongolei / Nicolas Vanier. Aus dem Franz. von Antoinette Gittinger. - München : Malik, 2015. - 316 S., [8] Bl. : Ill. (farb.), graph. Darst., Kt.
ISBN 978-3-89029-464-3      fest geb. : ca. € 23,70

Expedition mit dem Hundeschlitten - ein Erlebnisbericht für Hundeliebhaber, Abenteurer und Naturfreunde. (EL)

Mit seinen zehn Hunden legt der Franzose Nicolas Vanier 6.000 Kilometer durch Sibirien, China und die Mongolei zurück - die Alaskan Malamutes als Schlittenhunde, Vanier selbst auf dem Schlitten. Neben der unglaublichen Landschaft und trotz unvorhersehbarer Situationen darf er das einzigartige Erlebnis mit seinen treuen Hunden genießen. Für den sympathischen Naturburschen gibt es aber noch einen Grund für diese abenteuerliche Reise bei bis zu - 50 Grad Celsius: Er wünscht sich, seine "Gralsfigur", den Sibirischen Tiger, einmal in natura zu sehen. Die Expedition führt den Clan in menschenfeindliche Umgebung, zu wunderbaren Menschen - und manchmal auch aufs Glatteis. Vanier muss es mit Verletzungen, Unfällen, den Launen des Wetters und weiteren Hürden aufnehmen.
Der niemals bröckelnde Optimismus des 53-Jährigen und die ungezügelte Lust an der Sache übertragen sich jedoch förmlich auf die LeserInnen und reißen sie durch bunte Schilderungen mit. Der Autor holt die LeserInnen von der ersten Seite an mit auf den Schlitten und lädt sie ein auf eine beeindruckende Expedition mit seinen tierischen Gefährten. "Mit meinen Hunden" eignet sich ausgezeichnet für Öffentliche Bibliotheken.

Alexandra Gölly | biblio

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Ulrich Greiner: Das Leben und die Dinge

 : alphabetischer Roman / Ulrich Greiner. - Salzburg ; Wien : Jung und Jung, 2015. - 213 S.
ISBN 978-3-9902707-6-9      fest geb. : ca. € 19,90

Der ehemalige Feuilletonchef der ZEIT blickt auf unprätentiöse, sehr lebendige Art und Weise auf sein Leben zurück. (BO)

Für den Rückblick auf sein Leben hat Ulrich Greiner eine originelle Form gewählt. Er erzählt nicht linear, sondern anhand von Stichwörtern über Dinge und Räume und die Bedeutung, die sie für ihn haben oder gehabt haben. Der Literaturkenner und Kritiker, der heuer siebzig Jahre alt wurde, erinnert sich ohne Sentimentalität, aber doch mit leiser Wehmut an viele Dinge, die heute verschwunden oder durch andere ersetzt worden sind, und den damit verbundenen Verlust. Da schildert er beim Stichwort "Blei" zum Beispiel die Erinnerung an die Bleidünste in der Druckerei und an die Zusammenarbeit des jungen Journalisten mit den gebildeten, hochbezahlten "Metteuren", deren Beruf es nun schon lange nicht mehr gibt. Oder unter "Altar" die Erinnerungen an die katholische Kindheit und die Eindrücke, die der Ministrant durch die damals noch lateinisch zelebrierte Messe gewann. Wie stark ihn das prägte, erkennt er erst viel später, als er nach einer langen Zeit, in der er mit der Institution Kirche nichts anfangen konnte, wieder einen Zugang zu ihr findet. Sein Berufsleben, das er als Redakteur der FAZ begann und als Feuilletonchef der ZEIT beendete, wird in den Kapiteln "Büro" und "Sekretariat" beleuchtet. Es kommt seine Bekanntschaft mit Marcel Reich-Ranicki und anderen Größen zur Sprache sowie die Freundschaft mit dem Autor Louis Begley, die durch eine kritische Rezension zerbrach. Auch Kleidungsstücke wie Jeans oder BH werden einer Rückschau gewürdigt.
Was immer Greiner beschreibt, er ist bei aller Offenheit niemals geschwätzig oder peinlich. Die unprätentiöse Form seines Lebensrückblicks entspricht wohl seinem Naturell, dem jede Wichtigtuerei zuwider ist. Der "alphabetische Roman" ist elegant, oft auch amüsant und trotz seiner leichten Zugänglichkeit nicht oberflächlich. Wahrscheinlich finden LeserInnen, die in etwa dem gleichen Alter wie der Autor sind, viele ihrer eigenen Erfahrungen wieder. Die Stichwörter könnten eine Anregung für die TeilnehmerInnen von Lesekreisen sein, sich über ihre eigenen Erinnerungen auszutauschen.

Ingrid Kainzner | biblio

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Margot Käßmann: Im Zweifel glauben

: worauf wir uns verlassen können / Margot Käßmann. - Freiburg i. Br. : Herder, 2015. - 207 S.
ISBN 978-3-451-32832-9      fest geb. : ca. € 20,60

Ein Bekenntnis zu Glaube und Kirche. (PR)

Margot Käßmann, im Augenblick sicher die bekannteste Frau der evangelischen Kirche, schreibt hier ihr wohl persönlichstes Buch. Sie meint, dass zum Glauben auch Zweifel gehören, und spricht damit von selbst Erlebtem und Erfahrenem. Zugleich berührt sie damit die Fragen, die viele Menschen an Glaube und Kirche haben. Sie stellt für einen breiten Leserkreis gut les- und nachvollziehbar dar, dass Zweifel und Anfragen dem Glauben keineswegs im Wege stehen, sondern dass gerade sie ihn lebendig halten. Sie führt dies an Fragestellungen aus wie: Zweifel an der Existenz Gottes, Zweifel am christlichen Glauben, verzweifeln am eigenen Leben, verzweifeln an der Kirche u. a. Hilfreich für die eigene Glaubensentwicklung sind ihr die Wege, die sich so unterschiedlich in der Bibel niedergeschlagen haben, die vielen Diskussionen und Antwortversuche der 2.000 Jahre alten christlichen Tradition und das gemeinsame Bemühen, daraus zu einer eigenen Position zu finden. Wenn sie dabei auf die Reformatoren eingeht, dann so, dass auf diese - zumindest für die nichtprotestantischen LeserInnen - oft ein ganz neues Licht fällt. Für längere Durststrecken hat sie ein "Handgepäck des Glaubens" zusammengestellt - zehn Texte, teils aus der Bibel, teils aus der Tradition der Reformation, die das für sie Wesentliche des Glaubens enthalten und die gewissermaßen als Geländer dienen, an dem man sich verlässlich festhalten kann.
Ein sehr wohltuendes Buch für Menschen, die trotz mancher Enttäuschung am Glauben festhalten. Ein Buch, das für viele, die überlegen, Kirche und Glauben zu verlassen, Antworten gibt, Positionen darlegt sowie die eine oder andere auch mögliche Sichtweise eröffnet, und für jene, die die Gedanken und Erfahrungen der Autorin teilen, Bestätigung und Ermutigung bereithält. Allen Büchereien sehr zu empfehlen!

Hanns Sauter | biblio

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