Buchtipps / 2008 / Dezember
erstellt von der STUBE (Studien- und Beratungsstelle für Kinder und Jugendliteratur) und dem Österreichischen Bibliothekswerk
Ian Falconer: Olivia feiert Weihnachten
/ Ian Falconer. Dt. von Monika Osberghaus. - Hamburg : Oetinger, 2008. - [18 Bl., 4 Klappbl.] : überw. Ill. (farb.)
ISBN 978-3-7891-6517-7 fest geb. : ca. € 13,30
Mit Pauken und Trompeten hat Olivia sich in den bisherigen Bänden ihrer Bilderbuchreihe in Szene gesetzt, hat all ihre Talente ausgespielt und sich dem Grusel des Alltags gestellt. Nun endlich ist es Weihnachten und Olivia zeigt sich ein wenig erschöpft von all den Vorbereitungen. Doch was gibt es nicht noch alles zu tun! Und wie immer ist es Olivia, die das Familienleben am Laufen hält – außer natürlich, sie hat sich gerade in einer Lichterkette verfangen … Erneut lässt Ian Falconer das Schweinekind ihre unvergleichliche Wirkung erzielen, indem er ihr unüberbietbares selbstdarstellerisches Talent mit dem für die Reihe typischen Rot-Effekt und in humoristisch ausgearbeiteten Einzelsequenzen vor weißen Hintergrund setzt.
Darüber hinaus nutzt der amerikanische Bühnenbildner und Designer jedoch eine ganze neue Raumlösung: Sehr bald nämlich setzt die kindliche Weihnachtsmannwache ein und Olivia steht mit den beiden kleinen Brüdern in regelmäßigen Abständen vor einem riesigen Fenster, in dem durch Fotolösungen Regen, Nacht oder Winter zu sehen ist (aber leider kein Weihnachtsmann). In die Blickrichtung der Weihnachtswache ist auch das restliche aufregende Geschehen orientiert, wenn der Ereignisreichtum vor, während und nach dem Weihnachtabend in nach links aufzuklappenden Bildteilen ausgeweitet wird. Und wer Olivia kennt, weiß, dass selbst ihre Träume der räumlichen Ausweitung bedürfen! Zu empfehlen ab 4 Jahren.
Heidi Lexe | STUBE
Shaun Tan: Geschichten aus der Vorstadt des Universums
/ Shaun Tan. Aus dem Engl. von Eike Schönfeld. - Hamburg : Carlsen, 2008. - 92 S. : zahlr. Ill. (farb.)
ISBN 978-3-551-58198-3 fest geb. : ca. € 20,50
Heinzelmännchen oder Borger sind Figuren, die literarische Miniaturwelten bevölkern: In einer Schublade oder einem verborgenen Winkel der Vorratskammer tut sich mit ihnen eine mit allen notwendigen Requisiten ausgestattete Welt am Rande der Welt auf. Ist nun die titelgebende Vorstadt des Universums eine solche Miniaturwelt des von unserer Vorstellungskraft klar begrenzten großen Ganzen? Die Grundstimmung der vom Ausnahmekünstler Shaun Tan aufgestoßenen Hintertürchen der Fantasie würde ebenso dafür sprechen wie die Kleinteiligkeit der Figuren und Requisiten, aber auch Materialien und ästhetische Mittel, die für diesen Blick in die „Vorstadt des Universums“ genutzt werden. Stets sind die Geschichten an Peripherien angesiedelt, dort wo nicht das Eigentliche passiert und sich doch alles abspielt – insbesondere natürlich im Variantenreichtum der Illustrationen: schraffierte Zeichnungen, gekratzte Bilder, Collagen aus unzähligen kleinen Zettelchen, mit deren Hilfe eine Geschichte erzählt wird, Geschichten, die in Bildfolgen weitererzählt werden, Malerisches und Illustratives finden zusammen, wenn Post versandt wird und dieser Brief ein ganz besonderes Buch enthält (das wohl auch schon Mom & Dad, Yasmine Yee, Makiko Hattori und viele andere gelesen haben).
Die Geschichten nähern sich in ihrem stillen und sehr aufmerksamen Erzählen allesamt bestimmten Grenzen, die oft so unerwartet auftauchen wie eine auf einer Landkarte plötzlich endende Straße und manchmal doch so leicht überschritten werden. Gemeinsam mit der Graphic Novel „Ein neues Land“, ebenfalls heuer erschienen, setzt der australische Künstler neue Maßstäbe im Bereich des illustrierten Buches. Sehr zu empfehlen ab 9 Jahren.
Heidi Lexe | STUBE
Milena Michiko Flašar: [Ich bin]
/ Milena Michiko Flašar. - St. Pölten : Residenz-Verl., 2008. - 141 S.
ISBN 978-3-7017-1504-6 kart. : ca. € 16,90
Eine junge Frau blickt auf eine leidenschaftliche Liebesbeziehung zurück. (DR)
Auf einer Feier lernt Laura den Maler, dem sie den Namen Srecko gibt, kennen. Es beginnt eine leidenschaftliche Liebesbeziehung. Srecko nennt Laura sein „blaues Mädchen“ und mit dem Bild, das er von ihr malt, hat er seinen ersten großen Erfolg in der Szene. Beide sind sensibel, intelligent und voneinander fasziniert. Warum kommt es dennoch zur Trennung? Als Antwort darauf kann ein Zitat dienen: Srecko, dessen Lieblingsworte Macht und Freiheit sind, sagt: "Die reine Liebe ist ein Ding der Unmöglichkeit, Laura. Immer wieder geht es in Wahrheit um einen Kampf. Es gibt einen Sieger und einen Verlierer und beide schicken sich darein. In allen Büchern steht ja nichts anderes geschrieben: Die Geschichte von Mann und Frau ist eine Geschichte der Machtverteilung, und im ganzen gibt es nichts, was sie zusammenhält. Außer dass ihre Körper so perfekt ineinander passen."
Man wird dem wunderbaren Text, der sehr zutreffend als ein "Stück lyrischer Prosa" bezeichnet wird, gewiss nicht gerecht, wenn man in ihm nur eine weitere literarische Behandlung des üblichen Geschlechterklischees sieht - der Mann, der nach Unabhängigkeit strebt, und die Frau, die sich Treue und eine ausschließliche Zuwendung von ihrem Partner ersehnt. Denn die Differenziertheit, Zartheit und Intensität, mit der die junge Autorin diese "universellen" Probleme zwischen Mann und Frau beschreibt, sucht ihresgleichen. Milena Michiko Flašar schlägt einen in der zeitgenössischen Literatur schon lange nicht gehörten Ton an, der auch das Pathos nicht scheut und dennoch niemals kitschig klingt. Ein Buch, das sowohl inhaltlich als auch formal überzeugt.
Ingrid Kainzner | biblio
Niccolò Ammaniti: Wie es Gott gefällt
: Roman / Niccolò Ammaniti. Aus dem Ital. von Katharina Schmidt. - Frankfurt a. M. : S. Fischer, 2008. - 484 S.
ISBN 978-3-10-000826-8 fest geb. : ca. € 22,60
Temporeicher Roman über Menschen auf der Verliererseite. (DR)
Trist und grau der Schauplatz und die Lebensbedingungen der Protagonisten, aber wie bunt - um nicht zu sagen schrill! - liest sich der jüngste Roman des italienischen Erfolgsautors rund um ein Freundestrio, das am Rande einer italienischen Stadt lebt und in eine Reihe von zum Teil aberwitzigen Situationen gerät. Ammaniti gelingt mit diesem Buch eine brillante Charakter- und Milieustudie, die den Leser von der ersten bis zur letzten Seite fesselt. Dabei beschreibt er Typen, denen man lieber aus dem Weg geht: Allen voran Rino Zena, ein brutaler Trinker mit kahlrasiertem Schädel, Springerstiefeln und - das ist sein großes Plus - einem großen Herzen für seinen Sohn Cristiano, den er allein "erzieht", dabei mehr schlecht als recht von der Fürsorge beobachtet. Die Angst, ihn zu verlieren, bewahrt ihn davor, seinem blinden Zorn auf "die da oben" nachzugeben.
Dann gibt es noch den auffälligen Außenseiter Quattro Formaggi, schon vor seinem schweren Stromunfall langsam im Denken, der am liebsten an seiner riesigen Weihnachtskrippe bastelt, und den smarten Danilo Aprea, der vom großen Coup träumt - mit dem Diebstahl eines Bankomaten wäre das ja supereinfach. Dann könnte er eine Dessous-Boutique kaufen und damit seine Ex-Frau zurückerobern… Stichwort Frauen: Sie sind der eigentliche Motor, der Dreh- und Angelpunkt für alle drei Männer genauso wie für den dreizehnjährigen Cristiano. Und in einer einzigen Nacht verändert sich alles… Schräg, tragikomisch, das Lachen bleibt einem im Hals stecken (unwillkürlich denkt man auch an die Figur des Lennie in Steinbecks "Of Mice and Men"). Außergewöhnlich und empfehlenswert!
Sabine Krutter | biblio
Håkan Nesser: Eine ganz andere Geschichte
: Roman / Håkan Nesser. Aus dem Schwed. von Christel Hildebrandt. - München : btb, 2008. - 602 S.
ISBN 978-3-442-75174-7 fest geb. : ca. € 20,60
Originell, spannend und auf hohem Reflexionsniveau: Håkan Nesser in Top-Form. (DR)
Sommer in der Bretagne, sechs Touristen aus Schweden, deren Wege sich zufällig kreuzen, verbringen ein paar Tage zusammen. Jahre später beginnt einer von ihnen, die anderen zu ermorden - und kündigt die Morde in Briefen an Inspektor Barbarotti an: "Plane, Erik Bergman umzubringen. Mal sehen, ob du mich aufhalten kannst." Es beginnt die Jagd auf einen raffinierten Mörder, der der Polizei immer um den entscheidenden Schritt voraus zu sein scheint.
Håkan Nesser zieht sämtliche Register, hält die Leser 600 Seiten lang mühelos bei der Stange und beweist wieder einmal, dass gute Kriminalromane weit mehr sind als "nur" eine spannend inszenierte Mördersuche. In diesem Fall die Studie eines sympathischen Endvierzigers, der gerade versucht, mit sich, seinem Job und der Welt ins Reine zu kommen, eine wunderbare Liebesgeschichte im Patchworkfamilienumfeld par excellence, dazu jede Menge interessanter bis skurriler Charaktere, alles zusammen stilsicher und mit erstaunlich viel Witz erzählt. Håkan Nesser hat seine Fertigkeiten perfektioniert und sich dabei eine Lockerheit erschrieben, die seinesgleichen sucht. "Eine ganz andere Geschichte" zählt zweifellos zum Besten in einem an herausragenden Werken nicht gerade armen Œuvre.
Joe Rabl | biblio
Palla, Rudi: Kurze Lebensläufe der Narren
/ überliefert von Rudi Palla. - Wien : Zsolnay, 2008. - 173 S. : Ill.
ISBN 978-3-552-05442-4 fest geb. : ca. € 15,40
Auf den Lebensspuren skurriler Persönlichkeiten. (BI)
In seinem neuen Buch wandelt der 1941 in Wien geborene Autor und Filmemacher Rudi Palla auf den Lebensspuren von Persönlichkeiten, die sich durch besonders kuriose Taten, skurrile Erfindungen und abstruse Ideen hervorgetan haben. Auf unterhaltsame und amüsante Weise bietet Palla eine Fülle exzellent recherchierter biografischer und zeitgeschichtlicher Information. So liest man beispielsweise über den französischen Architekten Pierre Giraud, der die Idee hatte, aus Menschenskeletten Glas zu gewinnen und daraus für die trauernden Nachkommen trostspendende Skulpturen herzustellen. Oder über einen gewissen Joshua Abraham Norton, der sich selbst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts zum Kaiser von Amerika ernannte, während seiner "Regentschaft" zahlreiche Proklamationen und Dekrete per Zeitungsartikel erließ und sogar Eingang in die Weltliteratur fand. So lernt man weiters, was Chindogus sind und wie man den Eiffelturm möglichst gewinnbringend zu Geld machen kann.
Echte Erfinder stehen neben einer falsch singenden Primadonna, Hellseher neben despotischen Inselherrschern und selbsternannte Heiler neben Zirkusartisten. Pallas kleines Buch offeriert amüsante Lektüre, kombiniert mit aufschlussreichen historischen Informationen und garantiert, angereichert mit Fotos und Bildern der porträtierten Personen, großes Lesevergnügen. Absolut empfehlenswert und hochinteressant.
Barbara Tumfart | biblio
Christoph Schönborn: Alle Heiligen Zeiten
: mit Bildern aus der Sammlung Otto Mauer / durchs Kirchenjahr mit Christoph Kardinal Schönborn. Hrsg. von Hubert Philipp Weber. - Wien : Wiener Dom-Verl., 2008. - 142 S. : zahlr. Ill. (farb.)
ISBN 978-3-85351-205-0 fest geb. : ca. € 24,80
Gegen die beängstigende Vorstellung eines flach und sinnlos verrinnenden Lebens stellt sich das Christentum mit der Kultur einer „geprägten Zeit“. Prägung durch den Lebensbogen des Kirchenjahres, Innehalten durch die Kultur des Sonntags, Tiefe durch den Glauben an Auferstehung und Erlösung. Prägungen schreiben sich in unser Leben und machen uns unverwechselbar.
Der vorliegende Band folgt den Sonntagen der geprägten Zeiten: Advent und Weihnachten, Fastenzeit und Ostern sowie den Festen im Jahreskreis. Im Mittelpunkt steht das Evangelium zum jeweiligen Tag. Kardinal Schönborn greift die Textstellen auf und holt sie herein in heutige Lebensbezüge mit ihren Problemen und Herausforderungen. Zielrichtung dieser Gedanken ist der bewusste Blick auf das eigene Leben, die Ermutigung zu verantwortungsvollem Handeln und die neue Wahrnehmung des befreienden Geistes des Evangeliums. In einfacher und klarer Sprache gelingt es Kardinal Schönborn, das Evangelium und die Gegenwart miteinander in ein lebendiges Gespräch zu führen.
Begleitet werden die Texte durch die Abbildung hochkarätiger Kunstwerke der Otto-Mauer-Sammlung. Die Werke von Chagall, Kokoschka, Kubin, Lassnig, Rainer u.v.a. sprechen in ihren Bezügen zu den Evangelien ihre eigene Sprache des Lebens und öffnen dabei neue Räume des Fühlens und Nachdenkens. Selten, dass ein Buch das Wesen seiner Inhalte so unmittelbar und schön in seiner Gestaltung umzusetzen vermag: Texte, Bilder, Typografie und Layout schaffen auf jeweils zwei Doppelseiten in ihren Bezügen gleichermaßen Spannungs- und Freiräume, in die man gerne eintritt und dabei den Blick auf das eigene Leben mit hereinnimmt.
Reinhard Ehgartner | biblio
Paul Lendvai: Best of Paul Lendvai
: Begegnungen, Erinnerungen, Einsichten / Paul Lendvai. - Salzburg : Ecowin, 2008. - 271 S.
ISBN 978-3-902404-66-4 fest geb. : ca. € 19,95
Paul Lendvai : Begegnungen zwischen Moskau, New York und Gunskirchen. (GP)
Getragene Sprache, klare Argumentation, kompakte Sachinformation - und all das unterlegt mit charmant-ungarischen Klangfarben: Für an Politik und Geschichte interessierte ÖsterreicherInnen ist Paul Lendvai längst eine Art intellektueller Institution, die sich den kritischen Blick hinter den „Medienvorhang der Klischees“ bewahrt hat. Bereits 2006 mit dem Österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik ausgezeichnet, wurde ihm erst kürzlich - am 6. November 2008 - der Ehrenpreis des Österreichischen Buchhandels für Toleranz im Denken und Handeln verliehen. Nahezu zeitgleich ist sein neuestes Buch erschienen, sein vierzehntes.
Erfolge eines kritischen Journalisten
In Buchhandlungen und Bibliotheken gehört Lendvai längst zum Fixbestand. Sein 2007 erschienener Band „Mein Österreich. 50 Jahre hinter den Kulissen der Macht“ erreichte allein im ersten Halbjahr eine Zahl von 33.000 verkauften Exemplaren und wurde folglich mit dem „Goldenen Buch“ des Hauptverbands des Österreichischen Buchhandels ausgezeichnet. Der aktuelle Titel „Best of“ dient wohl verkaufstechnischen Überlegungen und trifft nicht das Wesen des Autors, dem es nie um den medienwirksamen Superlativ ging, sondern immer um die Substanz. Sucht man dennoch nach einem Superlativ, so zählt es sicher zu seinen persönlichsten.
In 16 Abschnitte gegliedert, bietet der Band Beiträge, Interviews und thematisch geordnete Zeitungsartikel, die in ihrer Zusammenstellung einen Einblick in die Interessens- und Arbeitsgebiete von Paul Lendvai geben: Die Bezüge zu Österreich, Ungarn, Osteuropa, der EU, Russland, USA und Israel bilden die Überschriften der größeren Kapitel. Nur die erste Überschrift überrascht:
Ein Tag in Gunskirchen
Es war der 11. April 2008, auf den sich Paul Lendvai in dieser Überschrift bezieht. Von Renate Engelmayr, Leiterin der Öffentlichen Bibliothek Gunskirchen, war er zu einer Lesung eingeladen worden, und traf sich mit ihr zu einer Vorbesprechung. Mit Bezug auf seine ungarische Herkunft erwähnte sie das NS-Konzentrationslager in Gunskirchen, das am Ende des Zweiten Weltkrieges zum Schreckens- und Sterbeort für Tausende ungarische Häftlinge wurde - darunter auch Frauen und Kinder.
Paul Lendvai, der schon viel über das Thema Nationalsozialismus und Judenvernichtung gearbeitet hatte, beschreibt in diesem Eingangskapitel, was diese Nachricht und der folgende Besuch des Gedenksteines in ihm ausgelöst haben: Er selbst war am 20. Oktober 1944 im Alter von 15 Jahren mit Abertausenden anderer ungarischer Juden von einem NS-Sonderkommando gefangen genommen und deportiert worden. Zusammen mit einem Freund gelang ihm die Flucht und bewahrte ihn vor dem Schicksal, das für die meisten in den Strapazen des Transports, im unerträglichen Winter von Mauthausen oder auf dem Weg nach Gunskirchen tödlich endete.
Der Schatten der Erinnerung
All die Erinnerungen an diese Ereignisse waren bei Paul Lendvai versunken, verdunkelt, verdrängt. Er selbst spricht von einem „schwarzen Loch in meinem Gedächtnis“. Nun in Gunskirchen, 64 Jahre später, tauchen die Erinnerungen langsam wieder auf und werden zum Ausgangspunkt weiterer Recherchen und Untersuchungen, bei denen ihm Renate Engelmayr hilfreich zur Seite steht.
Gedächtnisort Bibliothek
Zusammen mit den Museen und Archiven werden die Bibliotheken zu den Gedächtnisinstitutionen gerechnet. Selten noch hat diese Bezeichnung besser gepasst, als in diesem Zusammenhang. Hier geht es um die lebendige Erinnerung an ein mörderisches Regime, die Erinnerung an zahllose Opfer, die Erinnerung der heute Lebenden und die wieder erlangte Erinnerung eines heute fast 80-jährigen Mannes an sein glückliches Überleben vor 64 Jahren.
Im Zugehen auf das Mahnmal von Gunskirchen und dem Wiederfinden der Erinnerung hat Paul Lendvai eine wichtige Gedächtnisspur für heutige und künftige Generationen gelegt, zugleich hat er Renate Engelmayr und ihrer Bibliotheksarbeit eine sehr persönliche journalistische Ehrentafel gesetzt und damit auch allen BibliothekarInnen, die sich der Funktion Öffentlicher Bibliotheken als lebendige Gedächtnisinstitutionen annehmen. In „Ein Tag in Gunskirchen“ kommt ein zentraler Wesenszug des Autors zu tragen. Im Geschichtsbegriff von Paul Lendvai geht es nicht vorrangig um Länder, Entwicklungen oder Konflikte. Es geht um Menschen. Allen Bibliotheken nachdrücklich empfohlen.
Reinhard Ehgartner | biblio