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biblio : aktuelle buchtipps

Buchtipps / 2020 / Mai

erstellt von der STUBE und dem Österreichischen Bibliothekswerk

Rose Lagercrantz: So glücklich wie noch nie?

/ Rose Lagercrantz. Aus dem Schwed. von Angelika Kutsch. Mit Ill. von Eva Eriksson. - Frankfurt a. M. : Moritz, 2020. - 228 S. : Ill.
ISBN 978-3-89565-390-2      fest geb. : ca. € 13,40

Sieben gilt als Zahl des Glücks. Nichts erscheint daher naheliegender, als dass Dunne im siebenten Band ihr finales Glück findet. Kennen gelernt habe wir Dunne, als sie ihrerseits Ella Frida kennen gelernt hat und sich wenig später wieder von der Herzensfreundin trennen musste. Zur selben Zeit hatte Dunne mit der Schule begonnen. Nun: Um sieben Jahre ist sie seitdem nicht gealtert; auch nicht um jene vier, die seit dem ersten Band vergangen sind. In den Illustrationen lassen sich ihre intensiven Momente der Freude und Verwirrung und Traurigkeit und Verzweiflung immer noch am selben Kindergesicht ablesen. Dennoch verweisen auch die Erzählweise und der damit verbundene Schriftsatz darauf, dass Dunne und ihre Leser_innen ein wenig Lesekompetenz dazu gewonnen haben. Der Text ist länger und durchgehender erzählt. Stilistisch hingegen bleiben die schwedische Autorin und ihre Übersetzerin auch hier konzentriert auf eine sprachliche Repräsentation der kindlichen Lebenswelt durch gewitzte Einfachheit. Auch wenn Dunnes Leben selbst ja nicht eben unkompliziert ist. Sie ist dem Glück und der daran gebundenen Weltsicht zwar verpflichtet; hat aber dennoch einiges an (auch wortwörtlichem) Hin und Her durchmachen müssen und dabei auch kleine Lebenskerben abbekommen. Nun aber soll sich alles zum Guten wenden. Auch das Leben ihres Papa, der wieder einmal der Unterstützung bedarf, wenn das noch mal was werden soll mit einer Heirat … Und weil das Glück manchmal über die Stränge schlagen darf, findet ein Fest statt: In Italien! Und dabei sitzen weit mehr als vier Menschen plus Dunne an einem Tisch!! Sehr zu empfehlen für den frühen Lesebereich.

Heidi Lexe | STUBE

 

Kyra Groh: Sicherheit ist eine verdammt fiese Illusion

/ Kyra Groh. - Zürich : Arctis, 2020. - 484 S.
ISBN 978-3-03-880038-5      fest geb. : ca. € 18,50

Mia leidet an Analogesie, der Unfähigkeit Schmerzen zu empfinden, und ist davon überzeugt, dass sie für den Tod ihrer Mutter verantwortlich ist, weshalb sie sich selbst in Watte packt. Jake ist ein Kraftsportfanat, der sich davon erhofft, alle Gefühle zu bekämpfen, die er wegen seines gewalttätigen Vaters hat bzw. daraus die Kraft zu schöpfen, um ihm entgegenzutreten. Zunächst ist Mia von Jake unbeeindruckt, ist er doch nur einer jener Kraftprotze, die im Fitnesstudios ihres Vaters ihre Muskeln spielen lassen. Hinter der Fassade des eingebildeten, betont cool wirkenden Typen von der International School versteckt sich aber ein emotional angeschlagener Jugendlicher, der die Kanalisation seiner Gefühle nicht finden kann. Jake hingegen ist von Anfang an von Mia in ihrem gothhaften Auftreten fasziniert, wenngleich er diese Faszination nicht einordnen kann. Nach und nach nähern sich die beiden an, verlieben sich und finden im jeweils anderen eine Person, der sie all ihre Ängste anvertrauen können.
Dieser problemaufgeladene, zum Teil im Erzählton sehr melancholische, zweiperspektivische Jugendroman erzählt von Ängsten, Vertrauen(sproblemen) und Geheimnissen, die man eigentlich niemanden erzählen kann und den einfühlsamen Versuch, Gefühle zuzulassen.
Intermediale Anleihen nimmt der Roman vor allem durch Punk-Rock der 90er-Jahre, da Mias Mutter, selbst bekennendes Blink182-Groupie, die Faszination an ihre Tochter weitergegeben hat; an den Beginn eines jeden Kapitels wird ein motivisch passender Song gestellt, der die im Text behandelten Gefühle aufgreift: Herzschmerz, Wut, Trauer, Verrat. Dazu gibt es eine Spotifiy-Playlist, die die Rythmen von Blink182, The Mezingers und co. den jugendlichen Leser_innen näherbringt.

Alexandra Hofer | STUBE

 

Cornelia Travnicek: Feenstaub

: Roman / Cornelia Travnicek. - Wien : Picus Verl., 2020. - 277 S.
ISBN 978-3-7117-2090-0      fest geb. : ca. € 22,00

Eine Insel der "Verlorenen Jungs" im 21. Jahrhundert. (ab 14) (DR)

Wofür steht der "Feenstaub" in Cornelia Travniceks märchenhaft-tragischem Roman über eine unsichtbare, von Nebel umhüllte Insel mitten im Großstadtgetümmel? Anfangs drei, später vier Jungen werden vom gewaltbereiten, gierigen "Krakadzil" an diesem mysteriösen Ort zu Taschendienen ausgebildet und ausgebeutet. Im Großen und Ganzen sind sie auf sich alleine gestellt. Die Herausforderungen des Alltags auf dieser kargen Insel, das Fehlen familiärer Bildungen, Kriminalität und Sexualität spielen dabei eine große Rolle. Die drei Hauptcharaktere Petru, Cheta und Magare könnten verschiedener nicht sein und doch eint sie die Sehnsucht nach einem besseren Leben, nach Wärme. Als sich der sensible Petru in ein Mädchen aus der Stadt verliebt und der kleine unschuldige Luca als Vierter zu ihnen stößt, verändert sich das Leben auf der Insel. Gewohnte Strukturen werden in Frage gestellt und unerwartete Loyalität tritt zutage.
Travniceks kurzweiliger Text arbeitet mit märchenhaften, dystopischen und gleichermaßen aktuell-realistischen Elementen. Sie erzählt ihre Geschichte in mehr oder weniger losen, kurzen Sequenzen, die durch den Plot miteinander in Beziehung stehen. In diesem Spannungsfeld entstehen interessante Bilder, teils verträumt und hoffnungsvoll, teils brutal und zermürbend. Die Lektüre gestaltet sich weit weniger leichtfüßig, als der Titel vermuten lässt, ist aber in jedem Fall lohnenswert. Mit dem Erwachsenwerden als einem zentralen Motiv spricht dieser Roman sicher auch eine jüngere Leserschaft an.

Sandra Brugger | biblio

Marie Hermanson:
Der Sommer, in dem Einstein verschwand

: Roman / Marie Hermanson. Aus dem Schwed. von Regine Elsässer. - Frankfurt am Main : Insel Verl., 2020. - 371 S.
ISBN 978-3-458-17846-0      fest geb. : ca. € 22,70

Historischer Roman um das Verschwinden Einsteins vor seiner geplanten Nobelpreisrede in Göteborg im Sommer 1923. (DR)

Göteborg 1923: Die Stadt feiert ihr 300-jähriges Bestehen und im Zuge dieser Festlichkeiten soll der bekannte deutsche Physiker Albert Einstein seine (verspätete) Rede zur Verleihung des Nobelpreises halten. Jedoch - und das ist historisch - der Nobelpreisträger kommt zu spät und hält seine Vorlesung erst zwei Tage später. Was ist geschehen?
Die bekannte schwedische Schriftstellerin und Journalistin Marie Hermanson nimmt dieses historische Faktum zum Anlass, eine mögliche Variante der Geschehnisse zu erzählen (wobei sie im Nachwort deutlich zwischen historischen Daten und fiktiven Elementen ihres Romans unterscheidet). Das Ergebnis ist eine spannende Geschichte um einen berühmten Mann, die nicht so war, aber vielleicht so passiert hätte sein können.
Als historischen Roman allein kann man dieses Werk meines Erachtens allerdings nicht charakterisieren, vereint es doch auch Elemente eines Krimis, eines Gesellschaftsromans und einer zarten Liebesgeschichte. Die Handlung wird kapitelweise aus der Perspektive der vier Hauptpersonen erzählt: Eingerahmt wird die Handlung von Rückblenden Ottos aus dem Jahr 2002, der im Sommer 1923 als Eselsjunge bei den Göteborger Feierlichkeiten die Kinder unter den AusstellungsbesucherInnen mit dem Esel durch das Messegelände führte. Unter den Albert-(Einstein)-Kapiteln erfahren die LeserInnen, wie der Nobelpreisträger schon zuhause in Deutschland mit zunehmendem Antisemitismus zu kämpfen hatte und auf der Anreise nach Göteborg fast einem antisemitisch motivierten Anschlag zum Opfer fällt, jedoch auch von unerwarteter Seite (nämlich von Otto) Hilfe erfährt. Unter den Kapiteln Ellen - Jungjournalistin bei der Messezeitung - und Nils - ermittelnder Polizist - wird die Spannung mit der Suche nach dem verschwundenen Einstein und dem Versuch, den Nobelpreisträger vor seinen Feinden zu finden und vor weiteren Anschlägen zu bewahren, vorangetrieben, nebenbei erfährt man so Einiges über die gesellschaftlichen Aufbrüche und Veränderungen im Göteborg der 20er-Jahre.
Ein Roman, der - abgesehen von einem interessanten Plot - einen tiefgehenden Einblick in die Abgründe und Hoffnungen einer schwedischen Kleinstadt auf dem Weg zur Großstadt in den 20er-Jahren bietet. Sehr empfehlenswert.

Monika Roth | biblio

Benjamin Quaderer: Für immer die Alpen

: Roman / Benjamin Quaderer. - München : Luchterhand , 2020. - 585 S.
ISBN 978-3-630-87613-9      fest geb. : ca. € 22,70

Die fiktive Biografie eines Whistleblowers. (DR)

Johann Kaiser sitzt paranoid in einem Haus, das ihm der Zeugenschutz zur Verfügung gestellt hat. Er hat riesige Datenmengen an die deutschen und US-amerikanischen Finanzämter verkauft und damit schweren Schaden an liechtensteinischen Banken angerichtet und natürlich bei vielen Steuersündern, unter denen auch Drogenkartell- und Mafiabosse sind. Er hat also nichts von seinem Geld, warum hat er dann die Geheimnisse verraten? In einem ausführlichen Rückblick (immerhin fast 600 Seiten) erzählt er von seinem Leben und wie er der Mensch wurde, der er nun ist.
Mit seinem Debütroman betrete "ein neuer großer Autor die Bühne", wird auf der Umschlagseite ordentlich die Werbetrommel gerührt und löst dadurch bei Lesenden vielleicht gleich Ressentiments aus. Aber tatsächlich hat sich der Autor sehr bemüht. Wenn in Thomas-Mann-Manier vielleicht zu oft abgeschweift oder ausufernd schwadroniert wird, so ist für Abwechslung gesorgt. Bei Geschichten in der Geschichte kann man bei der Entdeckung Australiens ebenso dabei sein wie bei einer südamerikanischen Entführung. Die Erzählperspektive ändert sich ständig, hier hat sich der Autor wirklich einiges einfallen lassen. Und so kann man wahrscheinlich sagen, dass Quaderer einer der besten liechtensteinischen Autoren der Gegenwart ist, und so jemanden hat nicht jede Bibliothek im Regal stehen.

Michael Wildauer | biblio

Nadav Eyal: Revolte

: der weltweite Aufstand gegen die Globalisierung / Nadav Eyal. Aus dem Hebr. von Ruth Achilama. - Berlin : Ullstein, 2020. - 491 S.
ISBN 978-3-550-20071-7      fest geb. : ca. € 30,90

Beindruckender Reisebericht von den Schauplätzen des Widerstandes gegen die Globalisierung. (GW)

Der israelische Journalist Nadav Eyal hat über zwei Jahrzehnte hinweg Brennpunkte der Globalisierung aufgesucht. Seine Reise führte ihn auf die Malediven, zu Dürreopfern in Sri Lanka, zu syrischen Flüchtlingen, zu griechischen Arbeitslosen, zu deutschen Neonazis und zu wütenden Bergarbeitern in Pennsylvania. An vielen Orten der Welt begehren Menschen trotz insgesamt verbesserten wirtschaftlichen Bedingungen gegen die Globalisierung auf. Sie sehen ihre lokale Lebensweise bedroht. Sie befürchten sozialen Abstieg und nehmen mit Besorgnis die Folgen der Umweltzerstörung wahr. Die Verstärker und Profiteure dieses globalen Widerstandes sind populistische Politiker, nationalistische Hetzer und fundamentalistische Terroristen. Deren dauernden Attacken führen dazu, dass immer mehr Bürger das Vertrauen in die traditionellen Institutionen der modernen Gesellschaft verlieren. Der Autor befürchtet, dass das in weiterer Folge zu einer generellen Abkehr von Wissenschaft und Fortschritt führen kann. Er beendet seine Analyse mit einer Reihe von sinnvollen Vorschlägen, wie die Errungenschaften der Globalisierung bewahrt und allen Menschen zugute kommen können. Er bleibt aber vage, was die Umsetzung betrifft.
Eyals Buch ist eine Sammlung von spannenden Reportagen. In deren Dichte und Aussagekraft liegt eine der Stärken seines Buches. Der Autor verfügt zudem über großes Geschick, um aus den Begegnungen Geschichten zu machen, an denen sich globale Trends und Entwicklungen plausibel veranschaulichen lassen. Eine lesenswerte Darstellung der aktuellen Krise der Globalisierung.

Karl Vogd | biblio

Ramen für Alle!

: Ein Kochbuch für Anfänger und Fortgeschrittene / Hugh Amano [Text] und Sarah Becan [Ill.]. - München : Kunstmann, 2020. - 183 S. : zahlr. Ill.
ISBN 978-3-95614-362-5      fest geb. : ca. € 24,70

Einführung in die Kochkunst japanischer Suppen in Form eines informativen Comics. (VL)

Lange waren Ramen hierzulande nur in Form von Instantsuppen erhältlich, seit einiger Zeit kann man diese japanische Spezialität auch in Restaurants essen: eine Schüssel mit heißer, dichter Brühe und bissfesten Nudeln, zartem Schweinefleisch, knackigen Bambussprossen, marinierten Eiern und diversen Gemüsen - das ist, wie der japanischstämmige Amerikaner Hugh Amano schreibt, tatsächlich "eine Sinfonie aus Geschmack und Aromen, Textur und Temperatur". Das vorliegende Buch bietet einen umfassenden Grundkurs in der Herstellung der besonderen Suppe: Nach einer kurzen kulturgeschichtlichen Einführung geht es an die Zubereitung der Grundbrühen, die zusammen mit Würzpasten und Sojasoßen die Basis bilden. Es folgen Kapitel über die Herstellung von Nudeln und Würzsoßen (etwa schwarzes Knoblauchöl), die Vorbereitung des Fleisches (zum Beispiel gerollter und gekochter Schweinebauch), der Eier und anderer Einlagen; abschließend werden spezielle Varianten, wie Ramen mit Kimchischmorhuhn oder gebratene Ramen aus dem Wok, vorgestellt. Das alles kommt in Form eines farbenprächtigen Comics daher, ist gut nachvollziehbar, macht aber auch deutlich, dass eine Schale Ramen nicht nur eine schnelle Suppe ist, die man über die Theke gereicht bekommt, sondern ein komplexes und aufwendig herzustellendes Gericht, das man zuhause zwar schon nachkochen kann, aber nicht unbedingt muss. Besser man lässt sich eine Suppe von Profis servieren - und weiß dann immerhin, was da so köstlich duftet, fast noch besser schmeckt und so unglaublich satt macht.

Franz Lettner | biblio

Maaike de Haardt: Das Fenster nach Süden

: Spiritualität des Alltäglichen / Maaike de Haardt. Aus dem Niederländ. übers. von Ulrich Ruh. - Freiburg i. Br. : Herder, 2020. - 160 S.
ISBN 978-3-451-38698-5      fest geb. : ca. € 20,60

Wohltuend und lebensnah führt die feministische Theologin die Lesenden hin zu vertrauten Schauplätzen im Haus und in der Umgebung. (PR)

Wie Teresa von Avila mit ihrem Stoßseufzer, dass "Gott auch zwischen den Töpfen ist", versucht auch Maaike de Haardt neue Wege der Spiritualität und der Religion im Alltäglichen aufzuzeigen und dem Lesenden schmackhaft zu machen. Anhand vieler Beispiele aus der Bildenden Kunst, aus Musik, Film und Literatur verdeutlicht die Autorin, dass Gott nicht nur im eigenen Inneren und in jedem Dasein anzutreffen ist, sondern auch in der Beziehung zu anderen. Dabei ist das Haus der zentrale Ort ihrer Zugangsweise, um auf die göttliche Gegenwart hinzuweisen, auch in der Wechselwirkung und Offenheit zwischen Haus und Welt, zwischen Individuum und Gemeinschaft. Sehr achtsam geht die Autorin aber auch darauf ein, dass es Menschen gibt, für die Haus und Heimat mit Gewalt und Problemen in Verbindung stehen und dass nicht jeder den relativen Luxus eines Hauses kennt, das ein Zuhause ist. Als Feministin betrachtet sie auch das idealisierende und nostalgische Wunschbild vom Haus, das allzu oft auf Kosten der Frauen instand gehalten wird. Vielmehr möchte die Autorin ermutigen, dass die oft zermürbende Sorge in praktischen Dingen als Ausdruck der alltäglichen Spiritualität der Aufmerksamkeit immer wieder dazu beitragen kann, dass das Haus zur Heimat wird. Am Beispiel des Küchenraumes verweist Maaike de Haardt auf die Beziehung von Essen und Gemeinschaft, dass es auch eine Nahrung für den Geist geben müsse, dass Mahlzeiten auch religiöse und kulturelle Identität stiften und Ordnungsprinzipien für das alltägliche Leben darstellen. Lesenswerte Impulse für eine neue Herangehensweise einer Spiritualität, die im eigenen Haus wieder ganz anders lebendig werden kann.

Birgit Leitner | biblio

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