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biblio : aktuelle buchtipps

Buchtipps / 2019 / Juli

erstellt von der STUBE und dem Österreichischen Bibliothekswerk

Will Gmehling: Freibad

: ein ganzer Sommer unter dem Himmel / Will Gmehling. - Wuppertal : Peter Hammer Verlag, 2019. - 155 S. ; 23 cm
ISBN 978-3-7795-0608-9      fest geb. : ca. € 14,40

Das Meer. Der See. Oder doch nur das Freibad? An welchem sommerlichen Wasser-Ort dem Müßiggang gefrönt wird, ist nicht nur eine Frage persönlicher Präferenzen, sondern auch ökonomischer Rahmenbedingungen. Nach "Chlodwig" erzählt der deutsche Autor Will Gmehling ein weiteres Mal von einer Familie, die soziologisch betrachtet zu den "working poor" gezählt werden kann: Obwohl beide Eltern hart arbeiten, Papa als Taxifahrer und Mama als Verkäuferin in der Bahnhofsbäckerei, reicht in der Familie Bukowski das Geld hinten und vorne nicht, schon gar nicht für Urlaub. Doch als der zehnjährige Ich-Erzähler Alf und seine beiden etwas jüngeren Geschwister Katinka und Robbie im Hallenbad ein Kleinkind vor dem Ertrinken retten, dessen Mutter gerade mit ihrem Handy beschäftigt war, bekommen sie als Dank eine Saisonkarte fürs Freibad geschenkt und verbringen anschließend jeden einzelnen Sommertag dort. Jedes der Kinder setzt sich für diesen langen Zeitraum ein sehr konkretes Ziel, vom Sprung vom 10 Meter Brett bis zu 20 Bahnen Kraulen am Stück. Als Geschwister-Kollektiv hingegen möchten sie zumindest einmal ein richtiges, regelwidriges Abenteuer erleben und heimlich im Bad übernachten… Im Verlauf der ganz auf die kindliche Perspektive fokussierten Handlung wird der Mikrokosmos Freibad facettenreich ausdifferenziert: Stammgäste wie die alten Damen in ihren kuriosen Badeanzügen oder die dunkelhäutigen Burschen, aber auch der syrische Koch am Buffet werden mit ihren Eigenheiten dargestellt, ohne dabei je sozialvoyeuristisch zu werden. Auch dieser Sommer geht irgendwann zu Ende und es muss ein neuer Ort gefunden werden, an dem man mit wenig Geld seine Zeit verbringen kann. Voll Vorfreude auf den nächsten Sommer und all das "was toll ist im Freibad" - zusammengefasst in einer wunderbaren Liste von Dingen wie "Fruchtschnecken für zehn Cent" oder "die Abendsonne, wenn man nach Hause geht."

Kathrin Wexberg | STUBE

 

Lena Hach: Grüne Gurken

/ Lena Hach. Mit Infografiken von Katja Berlin. - München : Mixtvision, 2019. - 220 Seiten : Ill.
ISBN 978-3-95854-108-5      fest geb. : ca. € 17,50

"Wenn die Parkausflügler dann die Schwäne füttern / Und die Allerblödsten es gleich weiter twittern / Wenn wir zum Vorglühn durch die Spätis ziehn / Ja, dann sind wir alle in Berlin" singt die Sängerin Christiane Rösinger über ihre Stadt und die Berliner Kiezkultur, abends in kleine Spätkauf-Läden, die rund um die Uhr geöffnet sind, auszuschwärmen.
Lotte, im Gegensatz zu ihren Überflieger-Eltern normal begabt, tollpatschig, in Grafiken denkend (herrlich umgesetzt von Zeit-Kolumnistin und Grafikerin Katja Berlin) und wohlbehütet, ist jetzt auch in Berlin. Lieber wäre sie allerdings am Land geblieben, wo alles vertraut war, anstatt mit Mama und Papa in die Stadt zu ziehen. In einem Späti ist sie auch, denn sie hat an einem Samstagabend Lust auf Milchreis bekommen.
Beim Besitzer des Ladens gibt es gerade private Turbulenzen und er stellt das Mädchen kurzfristig als Aushilfe ein. Anders als alle, die schon einmal in Berlin waren, weiß Lotte weder, was ein Späti ist, geschweige denn, was gemeint ist, wenn die Nachtschwärmer_innen eine gute "Unterlage" suchen. Trotzdem oder gerade deshalb schlägt sie sich als Hüterin des Ladens gut.
Die Spätsommernacht wird Ausgangspunkt für eine sympathische Liebes- und Emanzipationsgeschichte und eine Liebeserklärung an Berlin und ihre schrägen Bewohner_innen. Späti-Betreiber Yusuf, seine herzliche Freundin Miri, der süße Junge, der immer nur grüne Weingummi-Gurken kauft, Oma Blume und bizarre Laufkundschaft - man merkt Lena Hach an, wie genau sie die Städter_innen kennt. Dazu kommt ein anschaulicher Blick auf die Unsicherheiten einer Heranwachsenden, eine Portion Slapstick und exakte Sprache. So geht guter, zeitgenössischer Lesestoff für Jugendliche - ob man nun in Berlin ist, St. Georgen oder Wien.

Jana Sommeregger | STUBE

Alice Zeniter: Die Kunst zu verlieren

: Roman / Alice Zeniter. Aus dem Franz. von Hainer Kober. - Berlin : Berlin Verl., 2019. - 556 S.
ISBN 978-3-8270-1373-6      fest geb. : ca. € 25,70

Geschichte einer Immigration und Plädoyer für die individuelle
Freiheit. (DR)

Der mehrfach preisgekrönte Roman von Alice Zeniter besteht aus drei Teilen. Der erste Teil beleuchtet die Vorgeschichte, sozusagen die Wurzeln der Familie, und was diese in den frühen 60ern zur Flucht aus Algerien gezwungen hat. Ein zweiter Teil setzt sich mit der Ausgangssituation in der Fremde auseinander, der Ankunft im Auffanglager in Frankreich und in Folge mit dem Werdegang der zweiten Generation speziell in Form des ältesten Sohnes. Der dritte Teil schließlich ist der Enkeltochter gewidmet, die sich auf die Suche ihrer unbekannten Wurzeln macht und versucht, der Geschichte ihrer Familie auf den Grund zu gehen.
Verständlicherweise umfasst das Buch mehr als 500 Seiten. An keiner Stelle kommt jedoch auch nur die geringste Langeweile auf. Die Geschichte dreier so unterschiedlicher Generationen mit einer derart komplexen Vergangenheit zu erzählen ist kein leichtes Unterfangen, das die junge französische Autorin jedoch meisterhaft bewerkstelligt. Äußerst geschickt bewältigt sie die Problematik, die dieses heikle Thema in sich trägt, ohne den Hass und das Unverständnis gegenüber Einwanderern zu vergrößern. Feinfühlig stellt sie ungeahnte Schwierigkeiten dar und erweckt Mitgefühl. Gleichzeitig ist der Roman ein Plädoyer für die individuelle Freiheit, unabhängig von der Herkunft gemäß seinen eigenen Idealen und Vorstellungen zu leben.
Genialer, unbedingt empfehlenswerter Roman.

Martina Mansoor | biblio

Hank Green: Ein wirklich erstaunliches Ding

: Roman / Hank Green. Aus dem amerikan. Engl. von Katarina Ganslandt. - Dt. Erstausg. - München : bold, 2019. - 443 S.
ISBN 978-3-423-79040-6      fest geb. : ca. € 22,70

Kurzweilige Geschichte einer zukünftigen Retterin der Welt. (DR)

April May ist eine durchschnittliche junge New Yorkerin, die einen Freund hat, der gerne YouTube-Videos dreht. Also ruft sie ihn an, als sie mitten in der Nacht einen riesigen Roboter auf dem Gehsteig stehen sieht und ihn für eine außergewöhnliche Kunstinstallation hält. Doch mit dem Roboter stimmt etwas nicht…
Liest man nur den Plot, denkt man sich: wieder so ein durchschnittlicher Science-Fiction-Roman. Aber Greens Debütroman ist viel besser. Er schafft es, mit ungeheuerlicher Leichtigkeit und jeder Menge überraschender Wendungen und Action, nicht nur zu unterhalten, sondern auch viele Gegenwartsprobleme anzusprechen. Wie eitel sind YouTube-Stars? Was kann man der Welle der weltweit erstarkenden Nationalisten und "Patrioten" entgegenhalten? Green gelingt es, dass die Leserschaft bei einer Handlung, die völlig unmöglich in unsere Welt passt, sich mit unseren aktuellen globalen Problemen auseinandersetzt. Nebenbei unterhält man sich prächtig. Also: ein wirklich erstaunliches Ding, dieser Erstlingsroman!
Hank ist übrigens der Bruder von John Green, dem Bestsellerautor ("Das Schicksal ist ein mieser Verräter"). Gemeinsam betreiben sie einen der weltweit bekanntesten YouTube-Kanäle, "Vlogbrothers".

Michael Wildauer | biblio

Volker Hagedorn: Der Klang von Paris

: eine Reise in die musikalische Metropole des 19. Jahrhunderts / Volker Hagedorn. - Reinbek : Rowohlt, 2019. - 409 S.
ISBN 978-3-498-03035-3      fest geb. : ca. € 25,70

Eine Reise in die musikalische Metropole des 19. Jahrhunderts. (KM)

Paris im 19. Jahrhundert: eine Stadt im Aufbruch. Die musikalische Reise von 1821 bis 1871 durch diese Metropole zeigt uns nicht nur viele Größen der Musikgeschichte, sondern auch die politischen Umwälzungen, die Armut, die dekadente und selbstgefällige Oberschicht, die architektonischen und industriellen Umbrüche sowie die abgehobene Künstlerszene dieser Zeit: "Balzac und Berlioz gehen in die Oper. Paris stinkt. Charles X. hört Rossini und wird verjagt. Eine Liebe zur Symphonie fantastique." (Kap. 1)
Berlioz, anfangs der junge Medizinstudent aus der Provinz, begleitet uns durch alle Um- und Aufbrüche dieser Zeit. Wir begegnen musikalischen Genies wie Rossini, Paganini, Gluck, Liszt, Chopin, Wagner, Offenbach und Meyerbeer, um nur einige zu nennen.
Ein Öffnen hin zur Moderne fließt durch alle Kunstrichtungen und gesellschaftlichen Ereignisse. Paris begehrt auf, auch in der Musik, dadurch zieht es viele Kunstschaffende aus ganz Europa an, trotz der oft widrigen Umstände. Die Wohnungsnot war groß, die Menschen zumeist arm und die gesundheitliche Versorgung schlecht. Auch Revolution und Cholera machten keinen Bogen um Paris. Aber die Musik und die Pariser Oper glichen so manchen Schmerz der Stadt aus.
Neue Opern und Musikstücke von Berlioz oder Rossini wurden aufgeführt, gelobt und verrissen. Paganini, der Charmeur und Geigenvirtuose, verzauberte die Pariser mit seinem Klang. Liszt versucht der Cholera zu entfliehen. Wagner fällt beim Publkum durch und verlässt Paris unversöhnt. Berlioz bestreitet seine erste Uraufführung mit Bravur und speist mit Heinrich Heine.
Hagedorn schließt nicht nur so manche Wissenslücke, er schafft es auch, ein halbes Jahrhundert in all seinen Facetten und Umbrüchen geschickt einzufangen. In leichtem Plauderton erfährt man manch interessantes Detail. Und auch für nicht so versierte Musikkenner_innen eröffnet sich eine neue, spannende Seite der Musik. Die Künstler jener Zeit waren Schöpfer jener Werke, die wir heute noch schätzen und ehren.
Es handelt sich um kein geradliniges wissenschaftliches Werk, aber auf diese Art lernt man Musikgeschichte gerne. Vor allem die fiktiven Gesprächseinlagen und die ins 21. Jahrhundert springenden Steppschritte machen das Buch erzählerisch ansprechend.
Im Anhang kann man die geschichtlich relevanten Recherchen ausführlich nachlesen.

Ilse Hübner | biblio

Maike Weißpflug: Hannah Arendt

: die Kunst, politisch zu denken / Maike Weißpflug. - Berlin : Matthes und Seitz, 2019. - 317 S.
ISBN 978-3-95757-721-4      fest geb. : ca. € 25,70

Eine politikwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Hannah Arendt, deren Gedanken von schlagender Aktualität sind. (GP)

Maike Weißpflug, Politikwissenschaftlerin und Mitbegründerin von theorieblog.de, hat anhand einer Auswahl von literarischen Texten, auf die sich Hannah Arendt in ihren Schriften bezieht, deren politische Ideen neu interpretiert.
Die Verknüpfung von Literatur und Politik dient als Quelle für philosophische Ideen. Literatur hat das Potential, Ideologien zu analysieren und sie verstehen zu helfen. Das Narrative lässt Politik und die Welt sinnlich werden. Kafka beschrieb, neben anderen Autoren, totalitäre Systeme auf eine eindringliche Weise. Hannah Arendts Perspektive ist eine radikal freie, "die Philosophie lässt die Dinge wie sie sind".
Marx wollte die Welt verändern, Arendt argumentiert, dass das Element des Veränderlichen ohnehin in der Welt sei. "Warum ist es so schwer die Welt zu lieben", fragt sie sich, und "die Liebe zur Welt ist eine Haltung, ein spezifisch einzuübender Blick auf die Welt." Das bedeutet nicht, alles kritiklos hinzunehmen, aber die Sorge bleibt. Zu Arendts Zeiten war die Atombombe die größte Bedrohung, heute ist es der Klimawandel. Ihre konkrete Art zu denken, das "Denken ohne Geländer", unterscheidet sich wohltuend vom heutigen Relativismus. Angesichts der Dimension des menschlichen Tuns der scheinbaren Sachzwänge und Umweltzerstörungen ist es höchste, sich die Urteilskraft und den Mut, selbst zu denken, wieder zurück zu erobern. Eine anspruchsvolle, aber höchst anregende Lektüre, daher jeder Bibliothek empfohlen.

Aloisia Altmanninger | biblio

Christin Geweke: Das Märchen Backbuch

: Rezepte & Geschichten / Christin Geweke. Fotografiert von Yelda Yilmaz. - Münster : Hölker, 2018. - 207 S. : zahlr.Ill.
ISBN 978-3-88117-172-4      fest geb. : ca. € 30,90

Eine Reise durch das Land der Märchen, bestückt mit ausgefallenen Rezepten. (VL)

Für viele Kinder ein Traum: Märchen vorgelesen bekommen, währenddessen den Schaber mit klebrig-süßem Teig abschlecken oder die Schüssel mit der noch warmen Schokolade auskratzen. Was wie das reinste Märchen klingt, wird nun mit dem neuen Backbuch von Christin Geweke möglich. Denn in der mit ansprechenden Fotos bestückten und in den Farben dezent gehaltenen Rezeptesammlung werden Märchen mit Anleitungen für leckere Kuchen und süße Naschereien gepaart.
Die Gliederung ist sehr übersichtlich: Nach Tipps & Tricks, die bei den Themen Zutaten, Ausstattung oder Backvorgängen wie Frittieren Hilfe mit auf den Weg geben, finden sich fünf Märchen der Brüder Grimm mit dazugehörigen Rezepten. So kann man etwa nach der Erzählung von Hänsel und Gretel "Knuspriges aus dem Ofen", wie Biscotti mit Schokolade und Espresso oder einen Bananen-Pekannuss-Kuchen nachbacken. Im Kapitel "Himmlisches Gebäck"- das dazugehörige Märchen ist natürlich "Sterntaler"- findet sich mit Fruchtigen Nussschnitten auch etwas Luftig-Leichtes.
In diesem märchenhaften Kochbuch ist jedenfalls auch für jeden Geschmack und jede Backerfahrung - der Schwierigkeitsgrad ist immer angegeben - etwas dabei.
Und wer selbst beim Durchblättern wieder kurzzeitig Kind werden und sich mit einem Märchen auf dem Schoß eine Leckerei gönnen will, die oder den hält nichts mehr ab vom Losbacken.
Bleibt nur die Frage, wo man das Buch einreiht, beim Kulinarischen oder beim Literarischen.

Eleni Steinborn, 15 Jahre | biblio

Christian Schramm: Bibellesen leicht gemacht

Bibellesen leicht gemacht : Wissenswertes zum Buch der Bücher / Christian Schramm. - Freiburg i. Br. : Herder, 2019. - 95 S. : Ill.
ISBN 978-3-451-38022-8      fest geb. : ca. € 12,40

Eine praxisbezogene, leicht verständliche Einführung in die Lektüre der Heiligen Schrift. (PR)

Christian Schramm, seines Zeichens frischgebackener Privatdozent an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Bonn mit Venia legendi (Lehrerlaubnis) für neutestamentliche Wissenschaft, bringt in dem vorliegenden schmalen Bändchen seine ganze Erfahrung in der Vermittlung des Zugangs zur Heiligen Schrift für Laien ein. Das Ergebnis ist ein flüssig lesbarer Band, der mit wenig theologischem Fachvokabular auskommt, und auf nicht einmal 100 Seiten eine Kurzeinführung in die Bibel bietet sowie Lust macht, zum Buch der Bücher zu greifen.
Besonders hilfreich für Bibel-Einsteiger_innen fand ich den Teil V, der mit Praxistipps aufwartet, etwa zur graphischen Gestaltung von biblischen Texten, die beim besseren Verstehen und Meditieren helfen. Oder  auch das "Echogeben" in Bibelrunden und das Glossar am Schluss, mit der Empfehlung bestimmter biblischer Texte für typische Gemütszustände und Lebenssituationen, ist ansprechend aufbereitet.
Die zur jeweiligen Thematik passenden Illustrationen der Diplomtheologin Christiane Becker lockern und werten das Bändchen zusätzlich auf.
Eine Einführung in das Wort Gottes, die in Pfarrgemeinden, Bibelrunden, aber auch für den einen Leser oder die andere Leser_in zur persönlichen Vertiefung der Bibellektüre sicher hilfreich ist. Sehr empfehlenswert.

Monika Roth | biblio

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