Buchtipps / 2008 / Juni
erstellt von der STUBE (Studien- und Beratungsstelle für Kinder und Jugendliteratur) und dem Österreichischen Bibliothekswerk
Peter Schössow: Ein Löffelchen für...
/ Peter Schössow. - Berlin : Tulipan-Verl., 2008.
- [12] Bl. : überw. Ill. (farb.) ; 16 cm x 16 cm
ISBN 978-3-939944-14-0 fest geb. : ca. € 9,20
Mündliche tradierte Texte wie Reime, Auszählverse oder Kinderlieder sind sozusagen die Ursprünge der Kinderliteratur. Das Verdienst der modernen Kinderliteratur ist es, solche traditionellen Texte kreativ zu verfremden und damit neu zu interpretieren – wie es der deutsche Illustrator und Autor Peter Schössow in diesem kleinen quadratischen Bilderbuch tut. Er greift den altbekannten Spruch vom Löffelchen, das für unterschiedliche Personen gegessen werden soll, auf, doch hier sind es nicht einfach Mama und Papa. Dargestellt werden vielmehr unterschiedliche Figuren, von denen einige aus unterschiedlichen medialen Zusammenhängen bekannt sind: Das Godzillalein, der böse, böse, böse Wolf und alle meine Entlein wären hier zu nennen. Alle sind sie comic-haft und sehr bunt auf dunkle Hintergründe gesetzt, die wiederum mit kleinen Details versehen sind. Einzig auf der letzten Seite ist jemand abgebildet, der diesmal leider leer ausgeht... Während die Geschichte in ihrer Schlichtheit schon für ganz kleine LeserInnen gut nachvollziehbar ist, sind die zahlreichen medialen Verweise ein Vergnügen für ältere (Vor-)LeserInnen. Ab 4 Jahren.
Kathrin Wexberg | STUBE
Joshua Mowll: Operation Red Jericho
/ Joshua Mowll. Dt. von Peter Knecht. - Hamburg :
Dressler, 2008. - 273 S., XIII S. : zahlr. Ill., graph. Darst., Kt.
ISBN 978-3-7915-1360-7 fest geb. : ca. € 20,50
Ein Abenteuerroman, wie er im Buche steht: Autor / Erzähler Joshua Mowll erhält von seiner verstorbenen Tante ein Landhaus samt umfangreichen Archiv vererbt, worin sich Tagebücher, Briefe, Landkarten und technische Zeichnungen von Geschützen, Schiffen, Festungen und vielem mehr befinden. Daraus (re-)konstruiert er die Abenteuer eben jener Tante Rebecca und ihres Bruders Doug im Schanghai der 1920er Jahre. Dort erleben die beiden eine von einem mit Spannung und reichlich „Action“ geladenem Höhepunkt zum nächsten navigierende Reise auf dem Forschungsschiff einer weltweit agierenden Geheimorganisation. Skrupellose Piraten, visionäre Wissenschaftler, betrügerische Verbündete und die auf ungeklärte Weise verschwundenen Eltern der beiden Jugendlichen runden dabei das schillernde Figureninventar des Buchs ab. Durch die zahlreichen integrierten und ausklappbaren Landkarten und technischen Zeichnungen bekommt dieses aufwendig gestaltete und bis zur Konzeption des Einbands designte Buch seine besondere Faszination, was für die bisweilen etwas oberflächlich gehaltene Figurenzeichnung entschädigt. Alles in allem jedoch ein gelungener Auftakt der für drei Bände angesetzten Gilden-Chronik, der mit Sicherheit all jene kurzweilig unterhalten wird, die schon sehnsüchtig auf das vierte Kino-Abenteuer des berühmten Archäologen mit Hut und Peitsche warten.
Lukas Bärwald | STUBE
Joyce Carol Oates: Du fehlst
: Roman / Joyce Carol Oates. Aus dem Amerikan. von
Silvia Morawetz. - Frankfurt a. M. : S. Fischer, 2008. - 488 S.
ISBN 978-3-10-054014-0 fest geb. : ca. € 23,60
Berührender Roman über eine junge Frau, die den Mord an ihrer Mutter zu verarbeiten hat. (DR)
Als die Mutter der jungen Journalistin Nikki Eaton brutal ermordet wird,
ändert sich das Leben der unkonventionellen, freiheitsliebenden Frau
von einem Tag auf den anderen schlagartig. Sie beginnt, sich von ihrer
Umwelt zurückzuziehen und die nicht immer unproblematische Beziehung
zu ihrer Mutter Stück für Stück aufzuarbeiten. - Diese
Erzählung beschäftigt sich emotional, sensibel und sehr nahegehend
mit dem plötzlichen, unvorgesehenen Bruch einer Lebensgeschichte
und stellt den schmerzhaften Prozess des Trauerns nach dem Verlust eines
nahestehenden Menschen ins Zentrum. Die Autorin begleitet eine junge Frau
im Jahr nach dem Verlust ihrer Mutter, schildert ihre Gefühle in
aller Vielfalt - ihre Verzweiflung, aber auch ihren Versuch, das Geschehene
aufzuarbeiten und weiterleben zu können.
Oates versteht es, große Gefühle zu schildern, ohne schwülstig
zu werden, sie beeindruckt durch ihren nüchternen, sachlichen Stil
und ihre schnörkellose Sprache. Sie zieht die LeserInnen in ihren
Bann und gibt ihnen tiefe Einblicke in das Seelenleben ihrer Protagonistin,
die berühren und zum Nachdenken anregen.
Michaela Grames | biblio
Xavier-Marie Bonnot: Der große Jäger
: Roman / Xavier-Marie Bonnot. Aus dem Franz. von
Tobias Scheffel. - Wien : Zsolnay, 2008. - 460 S.
ISBN 978-3-552-05423-3 fest geb. : ca. € 20,50
Commandant De Palmas Fall führt ihn tief in das Metier der Ur- und Frühgeschichtsforschung hinein. (DR)
Die umtriebige Hafenstadt Marseille wurde schon in der bekannten Krimi-Trilogie
von Jean-Claude Izzo zum atmosphärisch-dichten Krimischauplatz: Auch
Xavier-Marie Bonnot macht sich die Kulisse der zweitgrößten
Stadt Frankreichs für seinen Krimi zu Eigen. In den Calanques, einem
steilwandigen Küstenstrich aus Kalkstein südlich von Marseille,
wird die Leiche von Christine Autran, einer Dozentin für Ur- und
Frühgeschichte, unter einem Felsen eingeklemmt gefunden. Ganz in
der Nähe befindet sich die Le-Guen-Höhle, eine Unterwasserhöhle,
die durch ihre prähistorischen Wandmalereien große Berühmtheit
erlangte. Zudem treibt ein grausamer Serienmörder in Marseille sein
Unwesen: Auf bestialische Weise zerlegt er die Frauenleichen und hinterlässt
an den Opfern den Abdruck einer Hand, die an die Höhlenmalerei der
Le-Guen-Höhle erinnert. Commandant Michel De Palma vom Morddezernat,
von allen wegen seiner Souveränität "der Baron" genannt,
ist mit dem Mord an Christine Autran betraut. Er ahnt, dass es einen Zusammenhang
zwischen den Mordfällen geben muss...
Bonnot baut gekonnt Spannung auf, rasche Szenenwechsel und verschiedene
Erzählstränge machen das Buch zu einem fesselnden Krimiabenteuer.
Aus der breiten Masse sticht es vor allem durch die außergewöhnliche
Thematik hervor. (Es gibt im Übrigen tatsächlich eine Unterwasserhöhle
mit Wandmalereien südöstlich von Marseille am Cap Morgiou.)
Mit De Palma hat Bonnot einen Ermittler ins Leben gerufen, der alles andere
als zimperlich ist. Der Baron ist mit Herz und Seele Bulle, ist bestens
vertraut mit Marseilles korrupter Gesellschaft und weiß mit den
Kleinganoven des Milieus umzugehen. Die Aufklärung komplizierter
Fälle ist seine Leidenschaft, er versetzt sich in die Täter
hinein, wird dabei immer wieder auch mit der dunklen Seite seiner eigenen
Persönlichkeit konfrontiert. Ich freue mich schon, wenn der etwas
grantelnde, cholerische Kommissar mit seinem Faible für Opern wieder
eine Fährte aufnimmt und in einem neuen Fall ermittelt. Ein gelungener
Krimi, einzig der Showdown endet etwas abrupt und lässt einige Fragen
offen. Empfehlenswert!
Cornelia Gstöttinger | biblio
Rudolf Habringer: Island-Passion
: Roman / Rudolf Habringer. - Wien : Picus-Verl.,
2008. - 353 S.
ISBN 978-3-85452-626-1 fest geb. : ca. € 22,90
Schmerzhafte Spurensuche in Österreichs Musikgeschichte - ein vielschichtiger Entwicklungsroman. (DR)
Der junge Musik- und Germanistikstudent Richard Behrend verließ
Anfang der 1970er Jahre Familie, Freunde und Heimat, um sich im weit entfernten
und völlig andersartigen Island ein neues Leben aufzubauen. Nach
mehr als dreißig Jahren des selbst gewählten Exils wird der
inzwischen gut etablierte und mit seinem isländischen Leben zufriedene
Österreicher gezwungen, sich der Vergangenheit und den Ereignissen,
die zu seiner Emigration führten, zu stellen. Als junger Student
der Musikwissenschaften entdeckte Richard durch Zufall während eines
Aufenthaltes als Berichterstatter für eine österreichische Zeitung
zur Zeit der Schach-WM in Island die tragische Lebensgeschichte des österreichischen
Komponisten und Dirigenten Karl Wallek. Wallek (seine Geschichte ist jener
des vertriebenen Musikers Victor Urbancic nachgebildet) musste 1938, denunziert
von den Kollegen am Grazer Konservatorium, aufgrund seiner Ehe mit einer
jüdischen Frau nach der Machtübernahme durch die Nazis aus Österreich
flüchten und fand in Island eine neue, zweite Heimat.
In einer gekonnten Mischung aus zeitlich unterschiedlich gelagerten Handlungen
gewährt Rudolf Habringer einen bewegenden Einblick in die immer interessanter
werdenden Recherchen Richards, die denselben letztendlich zu einem bedeutungsvollen
Bruch mit der Familie, dem Freundeskreis und seinem Mentor an der Universität
veranlassen. Beginnt die Geschichte am Anfang ein wenig zögerlich
und erscheint sie orientierungslos, so gewinnt sie rasch an Spannung und
Geschwindigkeit, bis schließlich an einem fulminanten, überraschenden
Ende alle Handlungsstränge miteinander verknüpft werden.
Ein spannender und empfehlenswerter Entwicklungsroman über einen
jungen Mann und seine Versuche, mit den Geheimnissen und den Tabus seiner
Elterngeneration zu brechen und einen der vielen "dunklen Flecken"
in der österreichischen Musikgeschichte aufzudecken.
Barbara Tumfart | biblio
Paul Collier: Die unterste Milliarde
: warum die ärmsten Länder scheitern und
was man dagegen tun kann / Paul Collier. Aus dem Engl. von Rita Seuß
und Martin Richter. - München : C. H. Beck, 2008. - 255 S.
ISBN 978-3-406-57223-4 fest geb. : ca. € 20,50
Brillante Einführung in das Funktionieren der globalen Ökonomie. (GS)
Auf 250 Seiten erklärt Paul Collier, Professor für Ökonomie
an der Universität Oxford, wie es zu dieser krassen Armut gekommen
ist und was man dagegen tun kann. Teilt man die Erde, ökonomisch
gesehen, in einen Kuchen mit sechs Stücken, so lebt das erste Sechstel
im Wohlstand, das zweite bis fünfte Sechstel in den Entwicklungsländern
und das letzte Sechstel sind jene fünfzig Länder, die "in
der Falle" sitzen. Hier leben die ärmsten Menschen der Erde
- die unterste Milliarde. Die Ökonomien dieser Länder befinden
sich seit den 1990er Jahren im freien Fall.
Der Autor zeigt in seinem Buch, warum diese Staaten immer weiter hinter
die übrige Weltbevölkerung zurückfallen und ein einem Elend
versinken, aus dem sie mit den traditionellen Mitteln der Armutsbekämpfung
nicht mehr herausfinden. Seine Analysen sind unbequem und bieten realistische
Lösungen für eine der größten Krisen unserer Zeit.
Sehr empfehlenswert für Bibliotheken mit den Schwerpunkten Wirtschaft
bzw. Geografie.
Gerhard Popp | biblio
Sybille Bedford: Am liebsten nach Süden
: unterwegs in Europa / Sybille Bedford. Aus dem Engl.
von Matthias Fienbork. - München : SchirmerGraf, 2008. - 219 S.
ISBN 978-3-86555-050-7 fest geb. : ca. € 18,30
Reisen als tiefempfundenes Erlebnis. (ER)
"Am liebsten nach Süden" ist eine Sammlung von acht Reiseerzählungen
der englischen Schriftstellerin Sybille Bedford aus den 1950er und 1960er
Jahren und entführt den weltenbummlerischen Leser in die faszinierende
Art des Reisens in der Mitte des letzten Jahrhunderts. Die 2006 verstorbene
Journalistin und Autorin fängt in ihren Schilderungen sehr persönliche
Reiseeindrücke unbeschwerter Wochen am Mittelmeer ein. Selbst der
Upperclass angehörend und gesellschaftlich sehr versiert, kann sie
sich bereits sehr früh nach dem Zweiten Weltkrieg den Traum einer
Reise an die Adria erfüllen. Bedford erweist sich hierbei als ausgezeichnete
Beobachterin von Land und Leute und versteht es exzellent, in ruhiger
und einfühlsamer Sprache momentane Stimmungen einzufangen oder landestypische
Sitten zu beschreiben. Großen Raum gewährt die Autorin der
Beschreibung vielfältigster kulinarischer Genüsse, die dem Leser
wahrlich das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen.
Bedfords Reiseerinnerungen aus Frankreich, Italien, Portugal, Jugoslawien
und der Schweiz entbehren glücklicherweise jeglicher nüchterner
Aufzählungen und für Reiseführer typischen Statistiken.
Sie sind vielmehr eine ausgewogene Kombination aus persönlicher Reiseimpression
und objektiver Milieuschilderung. Ein ideales Buch als Einstimmung auf
eine Sommerreise und gleichzeitig ein hochinteressantes Zeitdokument über
die schweren Jahrzehnte des Wiederaufbaus und der Neuorientierung Europas
nach dem Zweiten Weltkrieg.
Barbara Tumfart | biblio
Alois Kothgasser: Geben und vergeben
: von der Kunst, neu zu beginnen / Alois Kothgasser
; Clemens Sedmak. - Innsbruck : Tyrolia, 2008. - 167 S.
ISBN 978-3-7022-2911-5 fest geb. : ca. € 14,90
Biblisch fundierte Gedanken zu einer Kultur des Neuanfangs. (PR)
"Es gibt sie, diese Menschen. Sie lesen gerne neue Bücher,
sie denken gerne neue Gedanken, sie lernen gerne Menschen kennen, (...);
sie sind dankbar dafür, etwas erfahren, erkennen, erleben, lesen
zu können." Gemeint sind Menschen, die offen sind für Neues,
bereit aufzubrechen. Dieses Buch möchte einer Kultur des Neuanfangs
den Weg bereiten und wendet sich an die so genannten "mittelmäßigen
Sünder". Der Salzburger Erzbischof und der Professor für
Sozialethik zeigen an Gestalten der Bibel, wie es gelingen kann, neu anzufangen
- nach einem Schicksalsschlag, nach Brüchen, im Alltag. Sie wollen
zu einer Erneuerung des Denkens und zu den kleinen Anfängen ermutigen.
Unklar bleibt, welcher Text von wem stammt, bzw. in welcher Form von Zusammenarbeit
die Texte entstanden sind. Wie auch immer, es ist ein Buch voller aufbauender,
Mut machender Gedanken, das auch ohne theologische Vorbildung für
jede/n Interessierte/n verständlich ist!
Gabriele Doblhammer | biblio