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biblio : aktuelle buchtipps

Buchtipps / 2014 / Mai

erstellt von der STUBE und dem Österreichischen Bibliothekswerk

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Gideon Samson: 70 Tricks, um nicht baden zu gehen

 / Gideon Samson. Mit Bildern von Anke Kuhl. Aus dem Niederländ. von Rolf Erdorf. - Hildesheim : Gerstenberg, 2014. - 137 S.
ISBN 978-3-8369-5704-5      fest geb. : ca. € 13,40

Schwimm-ABC, Seepferdchen oder Pinguin – wie Schwimmkurse für AnfängerInnen heißen, mag international verschieden sein, die Panik, in die sie manche Kinder versetzen, ist eine universelle. Davon erzählt Gidd, der Ich-Erzähler dieses niederländischen Kinderromans, sehr anschaulich: Dass Donnerstag, der Tag des verhassten Schulschwimmens, so schlimm ist, dass er schon am Mittwoch Bauchweh bekommt. Dass auch die neue rote Badehose („Behwotsch-Modell“) die Lage nicht wirklich besser macht. Und dass alle in einem geheimen Heft notierten kreativen Tricks, um nicht zum Schwimmen zu müssen, irgendwann aufgebraucht sind… Die verschiedenen Strategien, mit denen Gidd sein Problem zu bewältigen versucht, sind eine kuriose Mischung aus gutgemeinten psychologischen Tipps der Erwachsenen (positiv denken!), die wenig helfen, und magischen Vorstellungen der Kinderwelt (wenn der Mann auf der Bank die Tauben füttert, wird alles gut gehen), die zunächst ebenso wenig helfen.
So ernsthaft der Text Gidds Angst vor dem Schwimmen schildert, so witzig sind die Vignetten, in denen Anke Kuhl am Anfang jedes Kapitels das immer selbe Sujet in Varianten zeigt: Gidd auf dem Sprungbrett, der wie auch der Text ausschließlich in Wasserblau gehalten ist. Ob Gidd seine Schwimmprüfung endlich schaffen wird, bleibt offen – was es in schwierigen Situationen braucht, wird dafür am Ende umso deutlicher.

Kathrin Wexberg | STUBE 

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Jenny Jägerfeld: Der Schmerz, die Zukunft, meine Irrtümer und ich

/ Jenny Jägerfeld. Aus dem Schwed. von Birgitta Kicherer. - München : Carl Hanser, 2014. - 285 S.
ISBN 978-3-446-24506-8      kart. : ca. € 15,40

Dass sich im Falle eines Unfalls die Sekunden zu dehnen scheinen und viele Gedanken im Zeitlupentempo vorüberziehen, haben schon viele selbst erfahren. Wie es sich anfühlt, die oberste Spitze des Daumens abzusägen wohl nur wenige. Jenny Jägerfeld macht beides schmerzvoll erfahrbar und steigt in ihren Jugendroman mit der Beschreibung jener wenigen Momenten ein, in denen Maja im Kunstunterricht genau dieses Unglück wiederfährt.
„Här ligger jag och blöder“ – „Hier liege ich und blute“, so der schwedische Originaltitel, der die erzählerische Zeitdehnung gut zu fassen weiß. Es sind nur wenige Sekunden, die Jenny Jägerfeld zur erzählerischen Breite dehnt und es sind nur wenige Tage, die diesem Ereignis folgen und in denen doch ein ganzes Familienleben aufgedröselt wird. Der körperliche Schmerz wird zum Erzählanlass für die jugendliche Ich-Erzählerin Maja, die normalerweise bei ihrem Vater lebt und wie immer ein Wochenende bei ihrer Mutter verbringen will. Bloß: Ihre Mutter ist nicht da.
Wie die fehlende Daumenkuppel wird die verlassene Wohnung zur metaphorischen Leerstelle, die Maja mit Bruchstücken der erinnerten Vergangenheit füllt und das komplexe Mutter-Tochter-Gefüge reflektiert: Wann soll ich dich umarmen und wie genau und wie oft, hat Majas Mutter sie einmal gefragt. Darin ist das Changieren zwischen Vernachlässigung und einem bloßen Fehlen von Empathie subsummiert.
Die Beschreibung des physischen Schmerzes, der im Text immer wieder als Echo nachhallt, ist sprachlich eindringlich gelöst und steht motivisch für das jugendliche Gefühl, das Jenny Jägerfeld hier so wunderbar in Prosa zu fassen weiß: Rau und unverklärt, gleichzeitig romantisch sehnt sich Maja letztlich sehr nach Liebe. Bei ihrer Suche nach der verschwundenen Mutter werden die gegenwärtigen Ereignisse zur Initialzündung, um längst überfällige Aufarbeitungsarbeit zu leisten. Die gesetzte narrative Klammer des Beginns wird am Ende mit einer konkreten Diagnose der mütterlichen Seltsamkeit geschlossen (die an dieser Stelle nicht verraten werden soll): „Und dabei dachte ich immer, all das wäre Mama. Und dann war es nur ein Syndrom. Eine Diagnose.“ Ein ebenso einschneidender Moment wie die Verletzung der Hand – und doch so viel tiefgreifender.

Christina Ulm | STUBE

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Justin Go: Der stete Lauf der Stunden

: Roman / Justin Go. Aus dem Amerikan. von Georg Deggerich. - Hamburg : Hoffmann und Campe, 2013. - 510 S.
ISBN 978-3-455-40433-3      fest geb. : ca. € 22,70

Eine Reise durch Europa auf den Spuren einer großen Liebe. (DR)

Der amerikanische Hochschulabsolvent Tristan Campbell lässt sich auf eine Odyssee mit unsicherem Ausgang ein, als er der Nachricht einer Londoner Anwaltskanzlei folgt: Ihm soll ein 1924 notariell bestimmtes Erbe zustehen, das ein gewisser Ashley Walsingham einer Imogen Soames-Andersson bzw. ihren direkten Nachkommen hinterließ. Allerdings muss Tristan vorher einen stichhaltigen Beweis dafür finden, dass Imogen - und nicht wie offiziell ihre Schwester - seine Urgroßmutter ist. Tristan bleiben für seine Nachforschungen jedoch nur zwei Monate Zeit, sonst geht das Erbe an gemeinnützige Stiftungen. Von Kalifornien bricht er auf und spürt der rätselhaften Urgroßmutter quer durch Europa nach: So sind England, Frankreich, Deutschland, Schweden und Island die Stationen seiner Suche, die die Rahmenhandlung von Justin Gos Romandebüt ausmachen. Parallel dazu wird die Liebesgeschichte von Ashley und Imogen erzählt, welche 1916 ihren Ausgang nimmt und von London über die Westfront des Ersten Weltkrieges nach Tibet zum Mount Everest führt.
Ein erstklassiger, spannender und gut recherchierter Roman, der den LeserInnen in kleinen Stücken von einer großen Liebe erzählt, die aufgrund der historischen Umstände und des Stolzes der Beteiligten zerbricht, ihren weiteren Lebensweg jedoch stark beeinflusst und sie nie mehr loslässt. Dieses Buch ist zweifellos eine Bereicherung für jede Bibliothek.

Dagmar Weingartner | biblio

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Dietmar Gnedt: Der Nachlass Domenico Minettis

: [Roman] / Dietmar Gnedt. - Salzburg : A. Pustet, 2014. - 159 S.
ISBN 978-3-7025-0745-9      fest geb. : ca. € 19,95

Berührende Erzählung über das Unfassbare des Krieges, das Schicksal einer kleinen Familie und eine spannende Spurensuche. (DR)

"Sie müssen aufs Ganze gehen! Und, junger Mann, bei mir können Sie viel erreichen, wenn Sie dieses Projekt, das mir so am Herzen liegt, perfekt durchführen." (S. 8) Dieser Satz kann symptomatisch für den Roman stehen, der sich - passend zum Gedenken an den Beginn des Ersten Weltkrieges vor hundert Jahren - damit beschäftigt, anhand eines einzelnen Menschen Schuld und Unschuld von allen Seiten zu beleuchten. Eingebettet in eine berührende Liebesgeschichte beginnt eine Spurensuche nach dem Großvater und dessen Geheimnis.
Im Zuge des Widerstands gegen den Abbruch eines alten Hauses wird die Geschichte des Domenico Minetti erzählt, der am Ende seines Lebens in einem Kriegsgefangenenlager in Wieselburg stirbt. Minetti ist ein Hin- und Hergerissener zwischen Italien und Österreich, eigentlich ein überzeugter Pazifist, der keinesfalls in den Krieg ziehen will. Er beginnt ein Tagebuch zu schreiben, in dem er gegen den gesamten Kriegswahn zu Felde zieht. Als er erfährt, dass seine Frau und sein Sohn ums Leben gekommen sind, wird aus ihm ein glühender Rächer. Er kämpft verwegen gegen die Österreicher - bis er eines Tages zusammen mit einem Kaiserjäger in einer Höhle verschüttet wird. Nur gemeinsam können sie sich - die eigentlich Feinde sein müssen - befreien. Daraus entsteht sogar eine Freundschaft. Er wird gefangen genommen und über Umwege nach Wieselburg gebracht, wo die Rahmenhandlung ihren Ausgangspunkt hat.
Der Roman zeigt einerseits den Wahnsinn der Kriegspropaganda und des sogenannten "Heldentodes" sowie die Machtlosigkeit eines einzelnen Menschen gegenüber der Militärmaschinerie und ist andererseits eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, bei der es ums Ganze geht. Breite Empfehlung!

Heinrich Klingenberg | biblio

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Nora Wicke: Vierstromland

: Roman / Nora Wicke. - Salzburg ; Wien ; Berlin : Müry Salzmann, 2014. - 321 S.
ISBN 978-3-99014-092-5      fest geb. : ca. € 24,00

Familiäre Bande, angesiedelt zwischen Schwarzem Meer, Berlin, Amsterdam und Paris. (DR)

Briefe - abgeschickt oder bloß entworfen, Telefonate - regelmäßig oder sporadisch, Reisen - geplant oder von der Not erzwungen - sind die Kommunikationsmittel der weit verzweigten Familie, die sich um die nun gut 20 Jahre alte Protagonistin Eliza gruppiert. Eliza ist 1980 in Berlin geboren worden, als Kind einer in Deutschland aufgewachsenen Mutter und eines rumänischen Vaters aus dem Donaudelta. Die Mutter ist Musikerin, und um von ihrer Kunst leben zu können, verlässt sie die Familie und übergibt die zweijährige Eliza den Großeltern in Serbien zur Erziehung. Sie selbst zieht nach Paris. Der Kontakt zur Tochter ist auf seltene Briefe und spärliche Anrufe beschränkt. Für Eliza bedeutet Familie stets "Verstreuung", etwas "lose Verknüpftes".
Geleitet von den unsichtbaren Fäden, begibt sich die Heranwachsende immer wieder auf Reisen, um ihre drei Geschwister mit ihren Angehörigen, die beiderseitigen Großeltern, den Vater mit seiner neuen Partnerin und Juliette, die Geliebte der früh verstorbenen Mutter, aufzusuchen. Von der Save zur Donau und ans Schwarze Meer, von der Seine an den Rhein und an die Spree führen Elizas Reisen, die nicht nur die europäischen Landschaften durchschreiten, sondern auch die von politischen und privaten Wirren verursachten Wanderbewegungen nachzeichnen. - Ein bemerkenswerter Debütroman, der mit einer diffizilen Zeitstruktur und in einer klaren Sprache der bunten europäischen Völkermischung Rechnung trägt.

Maria Schmuckermair | biblio

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Ulrich Ladurner: Lampedusa

: große Geschichte einer kleinen Insel / Ulrich Ladurner. - St. Pölten : Residenz-Verl., 2014. - 143 S.
ISBN 978-3-7017-3331-6      fest geb. : ca. € 19,90

Eindrucksvolle literarische Reportage über Geschichte und Menschen der Insel Lampedusa. (EL)

Lampedusa, das 20 Quadratkilometer große Eiland zwischen Afrika und Europa, kommt nur in die Schlagzeilen, wenn vor dessen Küste Menschen auf der Flucht massenhaft ertrinken oder ein Papst auf diese Situation aufmerksam macht. Aber sonst? Der "ZEIT"-Redakteur Ulrich Ladurner begab sich auf Spurensuche, um dieses Defizit zu beheben: Die Insel war Piratenstützpunkt, hart umkämpft zwischen Muslimen und Christen, Spielort eines Shakespeare-Dramas, begehrter Stützpunkt für die russische Flotte unter Zarin Katharina und nicht zuletzt im Besitz von Tomasi di Lampedusa (Der Leopard), der die Insel verkaufte. Die Folgen: Intensive Besiedelung, vollständige Rodung und - eine triste Zukunft, wovon die Interviews, die der Autor mit Einheimischen, Fischern und der Bürgermeisterin führte, eindrücklich erzählen.
Unkontrollierter Massentourismus, Trinkwassermangel und Vermüllung sind die Probleme von heute, neben der Überforderung, Hoffnungsort für Tausende von Flüchtlingen zu sein. Die eindrucksvolle literarische Reportage besticht durch angenehme Lesbarkeit sowie eine gute Verbindung von historischen Informationen und der Darstellung der heutigen Situation der Bewohner Lampedusas.

Karl Krendl | biblio

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Ulrich Greiner: Schamverlust

: vom Wandel der Gefühlskultur / Ulrich Greiner. - Reinbek : Rowohlt, 2014. - 348 S. : Ill.
ISBN 978-3-498-02524-3      fest geb. : ca. € 23,60

Überlegungen über den Wandel einer Scham- zu einer Peinlichkeitskultur. (GS)

Von der Antike bis ins Mittelalter und noch lange darüber hinaus war das Schamgefühl eng mit dem Schuldgefühl verbunden. Das in Jahrhunderten geformte christlich-abendländische Bewusstsein förderte die Reflexion und damit auch den Zivilisationsprozess. Der Glaube an ein göttliches Gesetz und an die Verpflichtung moralischen Handelns wurde erst im Zeitalter der Aufklärung brüchig. Heute werden Schuldgefühle zunehmend von Peinlichkeitsgefühlen ersetzt. Die Freiheit, die im Zuge der 68er Bewegung gefordert und demonstriert wurde, ist mittlerweile erheblich eingeschränkt worden. Zwar diktieren keine autoritären Väter mehr, was zu tun oder zu lassen ist, dafür geben die Medien vor, was hip und trendy ist und was gar nicht geht. Die Spaß- und Wohlfühl-Welt fordert freilich ihren Tribut, bedeutet es doch einen ziemlichen Aufwand, den Forderungen der Konsumgesellschaft nachzukommen. Verstöße gegen Dresscodes oder ungeschicktes Verhalten werden thematisiert und verursachen starke Peinlichkeitsgefühle. Der Erfolg der zahlreichen Castingshows wirft ein nicht gerade schmeichelhaftes Bild auf eine Gesellschaft, die unbarmherzig jene verstößt, die den normierten Schönheits- oder Verhaltensnormen nicht entsprechen. Dass dadurch Verunsicherung und ein Bedürfnis nach Wärme entstehen, ist eine Folge davon. Und wieder ist es der fatale Drang nach Konformität, der diese Wärme auch dort einfordert, wo kühle Sachlichkeit eher angebracht ist. Müssen beispielsweise PolitikerInnen zum Anfassen oder gar Kuscheln sein?
Ulrich Greiner illustriert seinen Streifzug durch die Scham- und Peinlichkeitskultur mit zahlreichen Beispielen aus der Literatur, ist diese doch das Feld, auf dem Verstöße gegen tradiertes Verhalten verhandelt werden. Er enthält sich jeglichen Moralisierens, relativiert die unterschiedlichen Urteile über Scham- und Schamlosigkeit und stellt anschaulich dar, wie sich der Verhaltenskodex einerseits ändert, sich andererseits vermeintlich überholtes Denken oder Empfinden manchmal in verkleideter Form wieder Geltung verschafft. Ein unheimlich anregendes, zu Diskussionen herausforderndes Werk, sehr zu empfehlen!

Ingrid Kainzner | biblio

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Hubert Gaisbauer: Ein Heiliger kann jeder werden

: lebendig glauben mit Johannes XXIII. / Hubert Gaisbauer. - Innsbruck : Tyrolia, 2014. - 271 S. : Ill.
ISBN 978-3-7022-3326-6       fest geb. : ca. € 19,95

Was Papst Johannes XXIII. heutigen Menschen sagt. (PR)

Pünktlich zur Heiligsprechung von Johannes XXIII. legt Hubert Gaisbauer seinen neuen Band über den Papst vor. Er versteht sich als Ergänzung zum bereits 2011 im Wiener Dom-Verlag erschienenen "Ruhig und froh lebe ich weiter : Älterwerden mit Johannes XXIII." und setzt daher den Akzent auf die frühen Jahre: Kindheit, Elternhaus, Großfamilie, die Zeit der Ausbildung, prägende geistliche Begleiter. Wie schon im vorhergehenden Band geht es Gaisbauer nicht um eine Biografie im üblichen Sinne. Wollte er damals erkunden, wie der Papst sein Älterwerden erlebt hat, geht er diesmal der Frage nach seiner Glaubensentwicklung nach. Wer war für die ersten Schritte von Angelo Roncalli in den Glauben wichtig? Welchen Weg hat dieser Glaube genommen? Welche Personen oder Ereignisse waren ausschlaggebend für die weitere Glaubensentwicklung? Zuletzt stellt der Autor die Frage, was das Heiligmäßige im Leben Roncallis ist.
Als Quellen zieht Gaisbauer vor allem die Briefe und Tagebücher heran. Aus diesen ist erkennbar, welche Qualitäten sich durch das Leben des Papstes ziehen: Vertrauen auf die Führung Gottes, Zuwendung zu den Menschen, Sinn für Realität, Offensein für die Zeichen der Zeit und die angemessene Reaktion darauf, das Arbeiten an sich selbst sowie feiner, auch selbstkritischer Humor. Dies alles trug bei zu einer Frömmigkeit - vielleicht treffender gesagt zu einer Lebenseinstellung -, die der heutige Mensch nicht nur als authentisch und echt empfindet, sondern auch nachvollziehen kann. Für alle kirchlichen Büchereien ein Muss!

Hanns Sauter | biblio

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