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biblio : aktuelle buchtipps

Buchtipps / 2013 / September

erstellt von der STUBE und dem Österreichischen Bibliothekswerk

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Jonathan Stroud: Lockwood & Co.

: die Seufzende Wendeltreppe / Jonathan Stroud. Aus dem Engl. von Katharina Orgaß und Gerald Jung. - München : cbj, 2013. - 412 S.
ISBN 978-3-570-15617-9      fest geb. : ca. € 19,60

Mit diesem Reihenauftakt übernimmt „Lockwood & Co“ das Erbe der professionellen Geisterbekämpfung, wie sie auch schon die Ghostbusters oder die Scooby-Gang publikumswirksam betrieben. „Lockwood & Co“ ist eine von zahlreichen Agenturen, die sich dem „Problem“ annehmen, das seit einigen Jahrzehnten Großbritannien heimsucht: eine Epidemie paranormaler Vorgänge. Die beschriebene Welt ist unserer sehr ähnlich, allerdings haben Bestatterinnung, Eisenwerke und Salzbetriebe eine ganz andere wirtschaftliche Bedeutung, weil sie der Geisterabwehr dienen. Mit entsprechendem Equipment gehen bei „Lockwood & Co“ drei Jugendliche gegen die gemeldeten Heimsuchungen vor. Denn nur wer noch jung ist, kann diese wahrnehmen. Lucy Carlyle, aus deren Sicht die Abenteuer der Agentur erzählt sind, hat die besondere Gabe Geister zu hören und bereichert als neue Außendienstmitarbeiterin ihre Kollegen, den zynischen George und den charismatischen, aber geheimnisvollen Lockwood.
Jonathan Stroud entwickelt hier nicht nur sehr glaubwürdige und ungemein toughe Jugendliche, sondern lässt jedes Love-Interest angenehm außen vor. So bleibt Platz für einen spannenden Plot. Die drei müssen nicht nur den Mord an einer jungen Frau aufklären, sondern – um ihre Agentur zu retten – auch eine Nacht im verspuktesten Herrenhaus des Landes überstehen und dem Geheimnis der Seufzenden Treppe auf die Spur kommen. Sehr homogen verbinden sich so detektivische Momente mit im besten Sinne haarsträubenden Szenen rund um nächtliche Angriffe verschiedenster bösartiger Erscheinungen.
Jonathan Stroud weiß zu erzählen, Stimmung zu erzeugen und nebenbei noch ein ganz eigenes Vokabular und Kategorien des Paranormalen zu erfinden. Nach der erfolgreichen Bartimäus-Tetralogie legt er mit dieser Variation einer klassischen Spukgeschichte einen verlässlichen neuen Pageturner, vor allem aber einen klugen Vertreter des phantastischen Genres vor.

Christina Ulm | STUBE 

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David Merveille/Jacques Tati: Hallo Monsieur Hulot

: 22 lustige Bildergeschichten / von David Merveille nach einer Figur von Jacques Tati. - Gossau : NordSüd, 2013. - [24] Bl. : überw. Ill.
ISBN 978-3-314-10173-1     fest geb. : ca. € 15,40

Der übliche Weg einer Adaption ist wohl der vom Buch zum Film – David Merveille geht hier den umgekehrten Weg und hat mit dem vorliegenden Bilderbuch eine zeitlose Filmfigur von Jacques Tati auf Papier gebannt: Monsieur Hulot, bekannt aus den französischen Kurz- und Spielfilmen ohne Dialoge der 1950er Jahre, taucht hier in 22 textlosen Bildgeschichten auf. Der pantomimische Charme des tollpatschigen Mannes mit Pfeife, Hut und Regenschirm wurde gekonnt in Bilder übertragen. David Merveille sieht Monsieur Hulot mit seiner langgliedrigen Silhouette und seiner Gestik geradezu „prädestiniert für eine Papierversion“ und setzt ihn entsprechend ikonisch ins Bild.
In den kurzen Episoden erweist sich der liebenswerte Hulot stets als kluger Beobachter der Welt, der in seiner Wahrnehmung des Wunderbaren im Alltäglichen aber immer aus dem Rahmen fällt. Ob im Zoo, im Bus, bei einer Parade oder im großstädtischen Verkehrschaos, Monsieur Hulot erlaubt erstaunliche, oft auch kindlich-verträumte Blicke auf unsere Welt. Die Pointen, die in nur wenigen Bildern etabliert werden, sind überraschend und laden zum Schmunzeln, vor allem aber zum Sinnieren ein. So eignet sich die zeitlose Bildgeschichtensammlung für jedes Alter und besonders für das Gespräch darüber.

Christina Ulm | STUBE

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Jessica Soffer: Morgen vielleicht

: Roman / Jessica Soffer. Aus dem Amerikan. von Anna-Christin Kramer. - Dt. Erstausg. - Zürich : Kein und Aber, 2013. - 376 S.
ISBN 978-3-0369-5625-1      fest geb. : ca. € 20,50

Lorca ist eine unsichere, liebesbedürftige 13-Jährige, die sich nach der Anerkennung ihrer Mutter sehnt. (DR)

Lorcas Mutter ist Köchin und gibt sich voller Leidenschaft ihrem Beruf hin. Ihrer Tochter gegenüber ist die Alleinerzieherin jedoch kühl. Lorca ist intelligent, einsam - und sie ritzt sich immer wieder, um sich zu spüren. Die Beziehung zu ihrem Vater, der sehr weit weg wohnt, gestaltet sich schwierig. Um ihrer Mutter eine Freude zu machen, möchte sie ihr ein ganz besonderes Rezept schenken. Immer wieder erzählt Lorcas Mutter von diesem speziellen Essen: Masgouf. Damals war sie glücklich und Lorca möchte ihre Mutter wieder glücklich sehen. Doch das Durchforsten der Kochbücher bringt sie nicht ans Ziel, es muss jenes Masgouf sein, das ihre Mutter damals gegessen hat. Also macht sie sich auf die Suche nach dem Restaurant, das es jedoch nicht mehr gibt. Die Besitzerin kann sie allerdings ausfindig machen! Die verwitwete Viktoria und Lorca erkennen schnell, dass sie, beide einsam und vom Leben enttäuscht, eine Gemeinsamkeit haben: die Liebe zum Kochen. Sie kochen und reden, freunden sich an und Viktoria erzählt von ihrem großen Geheimnis, dass sie eine Tochter zur Adoption gegeben hat...
Das Buch ist berührend und herzerwärmend, aber auch tragisch und traurig - einfach wunderbar! Es ist eine Familientragödie sowie ein leidenschaftliches Plädoyer für das Kochen und bietet Lesevergnügen für viele Stunden. Eine unbedingte Lese- und Kaufempfehlung!

Angela Zemanek-Hackl | biblio

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Margarita Fuchs: Baiana

 : Geschichten / Margarita Fuchs. - Salzburg : Edition Tandem, 2013. - 140 S.
ISBN 978-3-902606-89-1      fest geb. : ca. € 18,50

Zehn Kurzgeschichten über familiäre Begegnungen und Trennungen. (DR)

Die titelgebende Kurzgeschichte "Baiana" steht im Zentrum der zehn Texte umfassenden Sammlung. Sie handelt geradezu klassisch vom Krisenaugenblick eines Lebens, nach dem nichts mehr so wie vorher ist. Eine Frau, von ihrem Mann betrogen und verlassen, wagt alleine einen großen Ausflug. Der Flug - ihr allererster - führt sie ins "Paradies" nach Brasilien. Dort sieht sie die Baiana, eine wunderschöne Frau in einheimischer Tracht. Die Baiana verkörpert das Lebensgefühl der Brasilianer, die als die glücklichsten Menschen der Welt gelten. Ein Badeunfall am paradiesischen Strand bringt allerdings die unumkehrbare Wende.
Die übrigen neun Geschichten umkreisen vorwiegend die Themen Ehekrise und Altwerden. Das Sich-Lösen aus einer schal gewordenen Beziehung und das Grübeln über die Ursachen, Besuche bei Familienmitgliedern (der Vater bei der in der Sierra Nevada lebenden Tochter, die Tochter bei der dementen Mutter im Altersheim, der schräge Onkel aus Amerika bei den Verwandten in Österreich), Erinnerungen an die Jugendjahre in Salzburg, aber auch die Begegnung mit einem wahren Engel im Weihnachtseinkaufstrubel auf der Linzer Landstraße werden mit stilistischer Treffsicherheit in Szene gesetzt. - Reife Texte mit hohem Wiedererkennungspotential für die 50-plus-Generation.

Maria Schmuckermair | biblio

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Franz Tumler: Der Schritt hinüber

 : Roman / Franz Tumler. Mit einem Nachwort von Barbara Hoiß. - Innsbruck : Haymon, 2013. - 235 S.
ISBN 978-3-85218-728-0      fest geb. : ca. € 19,90

Packender Roman über die Nachkriegszeit in Österreich. (DR)

Franz Tumler (1912-1998) zählt zweifelsohne zu den bedeutendsten Erzählern der Nachkriegszeit. Im vorliegenden Roman (erstmals erschienen 1956) wirft er einen genauen Blick auf das Jahr 1945 im Mühlviertel und schnell kommt man darauf, dass es auch um Linz geht. Die Geschichte spielt in der russischen Besatzungszone, bezieht aber auch die amerikanischen Besatzer ein. Hin und hergerissen zwischen Hoffnung und Bangen, pendelt die Protagonistin Susanna zwischen den Besatzungssoldaten, vor allem dem Leutnant Kolja, ihrem Ehemann und anderen Figuren. Sie wartet auf die Rückkehr ihres Mannes aus dem Krieg, ist gleichzeitig von einem anderen Mann schwanger und entsprechend verunsichert.
Meisterhaft setzt Tumler Wahrheit, Lüge, Vertrauen usw. in Szene, wobei seine Sprache einen von Anfang an in den Bann zieht. Hier wird wirklich "verdichtet", präzise formuliert und damit ein Stimmungsbild erzeugt, das die Nachkriegszeit sehr anschaulich beschreibt. Es gibt viele Metaphern und versteckte Andeutungen, eingewoben in einen Erzählstrang aus einem Guss. Ein anspruchsvoller Roman für breite Leseinteressen.

Heinrich Klingenberg | biblio

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Stefanie Bisping: Lesereise Normandie

: der Austernzüchter lädt zum Calvados / Stefanie Bisping. - Wien : Picus-Verl., 2013. - 130 S. - (Picus Lesereisen)
ISBN 978-3-7117-1029-1      fest geb. : ca. € 14,90

Ein literarischer Reiseführer zu den schönsten Plätzen in der Normandie. (EL)

In 16 kurzweiligen Essays lernt man die Normandie, jene historische Provinz Frankreichs im Norden von Paris, auf besondere Weise kennen: Zuerst einmal natürlich die drei berühmten C - Calvados, Cidre und Camembert -, aber auch die kulturelle und geschichtsträchtige Schönheit von einem Klosterberg wie St. Michel, die wilde Atlantikküste mit ihren bedeutenden Hafenstädten oder die traditionsreichen Seebäder mit ihren elegant-amourösen Geschichten.
Schon beim Lesen verspürt man jenes unnachahmliche Sommerfrischegefühl und erlebt eine fiktive Auszeit, die Lektüre bietet aber auch eine informative Einstimmung auf eine tatsächlich geplante Reise.

Jutta Kleedorfer | biblio

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Jared Diamond: Vermächtnis

: was wir von traditionellen Gesellschaften lernen können / Jared Diamond. Aus dem Amerikan. von Sebastian Vogel. - Frankfurt a. M. : S. Fischer, 2012. - 586 S. : Ill.
ISBN 978-3-10-013909-2      fest geb. : ca. € 25,70

Der amerikanische Erfolgsautor zeigt die beeindruckende Vielfalt, mit der die verschiedenen Völker gelernt haben, die Aufgaben des Alltags zu bewältigen. (GS)

Jared Diamond begeht nicht den Fehler, in den Naturvölkern "edle Wilde" zu sehen und ihre Lebensweise zu glorifizieren. Dafür kennt er ihre täglichen Probleme zu gut, hatte er doch seit Jahrzehnten intensive persönliche Kontakte mit Vertretern von ihnen, vor allem mit verschiedensten Stämmen Neuguineas, die er zu seinen Freunden zählt. Wer würde sich schon ernsthaft ein Leben wünschen, dass regelmäßig von Lebensmittelknappheit bedroht ist und dadurch so drastische Maßnahmen wie Säuglingsmord oder das Aussetzen unproduktiv gewordener alter Menschen notwendig macht. Auch ein friedliches Nebeneinander zählte bei Stämmen und Horden eher zur Ausnahme. Die Bergvölker Neuguineas leben heute noch in ständiger Furcht vor Überfällen, das Betreten anderer Bergregionen kann tödlich enden. Das andere Extrem - in Naturvölkern primitive Wilde zu sehen, die man auf eine Stufe mit den Tieren stellte - rechtfertigte den Völkermord an vielen Naturvölkern wie den Aborigines oder den Indianern. Viele weitere Beispiele bringt Diamond in dem Kapitel "Frieden und Krieg" und geht den verschiedensten Ursachen von Konflikten ebenso nach wie der Frage nach Schuld und Sühne.
In "Jung und Alt" beschäftigt sich der Autor mit Erziehungsmethoden und befindet, dass hier sehr viel von den traditionellen Völkern zu lernen ist: Es wird stets unmittelbar auf die Bedürfnisse der Kleinkinder eingegangen und sie werden auch nachts nicht von den Erwachsenen getrennt, sondern stehen häufig in ständigem Körperkontakt mit ihnen. Sie sind umgeben von verschiedensten Bezugspersonen jeglichen Alters, die sich alle für sie verantwortlich fühlen. Die oft beobachtete Folge davon ist eine frühzeitige Entwicklung sozialer Fähigkeiten, eine beeindruckende emotionale Selbstsicherheit, Selbstvertrauen und Selbständigkeit.
Im Kapitel "Religion, Sprache und Gesundheit" erklärt er aus evolutionärer Sicht das Bedürfnis des Menschen nach Religion, beweist eindrucksvoll, dass das Sprechen verschiedener Sprachen noch nie zu Konflikten geführt hat, die Mehrsprachigkeit, die typisch ist für die meisten Naturvölker, mehr Vorteile als Nachteile hat, und stellt fest, dass von den rund 7000 Sprachen, die weltweit noch gesprochen werden, bis zum Jahr 2100 95% verschwunden sein werden. Diamond selbst spricht zwölf Sprachen, darunter auch Deutsch. Im Kapitel "Ernährung" beschreibt er in eindrucksvollen Fallbeispielen die verheerenden gesundheitlichen Auswirkungen einer Änderung der Ernährungsgewohnheiten bei Naturvölkern und geht deshalb konform mit den westlichen Ernährungsexperten.
Nach "Arm und Reich" und "Kollaps" - um nur zwei der bekannteren Bücher zu nennen - hat Diamond wieder ein Werk vorgelegt, das aufgrund seiner direkten Bezüge zu unserer bestehenden Gesellschaft nicht nur für Ethnologen und Anthropologen interessant ist. Klar und gut verständlich und mit vielen auflockernden Fallbeispielen untermauert, bietet Diamond so manche überraschende Perspektive auf unser eigenes Selbstverständnis. Allen Bibliotheken sehr zu empfehlen.

Anita Ruckerbauer | biblio

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Henri Boulad: Wer vergibt, ist Gott ähnlich

 / Henri Boulad. Aus seinen Vorträgen hrsg. und aus dem Franz. übers. von Hidda Westenberger. - Salzburg : O. Müller, 2013. - 118 S.
ISBN 978-3-7013-1202-3      fest geb. : ca. € 16,50

Reflexionen über ein lebensnotwendiges Thema. (PR)

Für den in aller Welt bekannten, in Alexandria lebenden ägyptischen Jesuiten ist das Vergeben- und Verzeihenkönnen die "unterscheidend christliche" Dimension im Leben. Dies arbeitet er in den Vorträgen, die in diesem Buch gesammelt sind, heraus, indem er die Bibel auf das genuine Handeln Gottes an den Menschen befragt. Es besteht aus annehmen, vergeben, versöhnen und befreien. Dann grenzt er ihre Position ab von der des Koran, vor allem eines militanten, lautstarken Islam, der weltweit mehr und mehr auf sich aufmerksam macht. Hier illustriert er seine Darstellung mit zahlreichen Erlebnissen aus dem Alltag vor allem Ägyptens und anderer islamischer Staaten. Schwarz-Weiß-Malerei liegt Boulad aber fern und so zeigt er auch die dunklen Seiten der Kirchengeschichte auf, die keinen versöhnenden Gott verkünden, sondern einen die Menschen unterdrückenden, rachsüchtigen. Anhand von Beispielen veranschaulicht er die negativen Auswirkungen auf das Gottesbild der Menschen und auf ihr Leben. Wegweisend und unumkehrbar für die Kirche sind hier die Haltung des Zweiten Vatikanischen Konzils mit seiner Wertschätzung allen Menschen gegenüber sowie die vielfältigen Versöhnungsgesten, die die letzten Päpste gesetzt haben.
Boulad lässt sich in keines der klassischen Lager oder Denkschemen wie konservativ, progressiv, revolutionär u. ä. pressen. In einer lebendigen Sprache (hier eine Anerkennung an die Übersetzerin) redet er von der Überzeugung, auf dem Weg der Liebe und der Versöhnung jenem Frieden näher zu kommen, der der Friede ist, der von Gott kommt, den die Welt nicht machen, sondern sich nur schenken lassen kann. Wer sich auf diesen Weg begibt und aus einem Geist der Versöhnung lebt, leistet seinen Beitrag zu einer allumfassenden Auferstehung der Welt. Aus jeder Seite des Buches spricht die Hoffnung, viele Weggefährten zu finden.

Hanns Sauter | biblio

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