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biblio : aktuelle buchtipps

Buchtipps / 2013 / März

erstellt von der STUBE und dem Österreichischen Bibliothekswerk

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Kim Fupz Aakeson: Täter wie wir

: Roman / Kim Fupz Aakeson. Aus dem Dän. von Christel Hildebrandt. – Dt. Erstausg. – München : Dt.-Taschenbuch-Verl., 2013. - 172 S. (dtv pocket)
ISBN 978-3-423-78270-8     kart. : ca. € 7,20

„Dieser Frühling war schon merkwürdig, der Frühling vor dem letzten Sommer, wir nahmen nichts ernst, wir nahmen alle auf die Schippe, wir trieben uns herum und grölten aus vollem Hals, wir taten, als ob alles toll wäre, aber wir wussten nur zu gut, dass etwas passieren würde, wenn die Schule zu Ende war, wir wussten, dass es dann nicht mehr so sein würde.“ Im unbestimmten Wir wird hier von einer Gruppe Jungen erzählt, die sich halbstark und selbstbewusst, aus Langeweile und Perspektivenlosigkeit in ihrer Kleinstadt herumtreibt. Ihre Taten changieren dabei zwischen bloßen Albernheiten und rohem Vandalismus. In der losen Aneinanderreihung von Erinnerungen – assoziativ gruppiert zu einzelnen Kapiteln (Leute, Jungs, Tiere, Sex, Tod, Geheimnisse) – entsteht eine Charakterisierung des Gruppengefüges. Immer wieder geraten einzelne Jungen in den Blick, der Erzähler selbst versteckt sich jedoch hinter dem Wir und tritt nie als individueller Akteur oder Ich in den Vordergrund. So wenig der Erzähler in den Fokus rückt, so marginal wird auch das zentrale Ereignis, auf das die Erzählung zuläuft, inszeniert: Den scheinbaren Belanglosigkeiten folgt ganz am Ende eine (sofern man den irreführenden Klappentext ignoriert) überraschend erschütternde Tat, die alles zu relativieren scheint und für das prognostizierte Ende der Freundschaft sorgt. „Wir kannten einander nicht mehr. Es gab kein Wir mehr.“ Ein in seiner Dramaturgie herausfordernder, intensiver Jugendroman – ein Lehrstück über Erinnerungen.

Christina Ulm | STUBE 

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Christoph Marzi: Piper und das Rätsel der letzten Uhr

/ Christoph Marzi. Ill. von Kristina Andres. – Würzburg : Arena, 2013. – 192 S. : Ill.
ISBN 978-3-401-06863-3      fest geb. : ca. € 13,40

„Wenn einer eine Reise macht...“, dann gibt es bestimmt viel zu erzählen. Diese Erfahrung macht auch Piper, die einige Tage in der wildromantischen, aber hoffnungslos langweiligen Umgebung Dartmoors bei ihrem Onkel verbringen muss, weil sich die Eltern für eine Reise ohne Tochter entschieden haben. Und weil zwischen den Hecken und alten Mauern weder Handy noch Internet funktionieren, greift die Elfjährige zurück auf drei Bücher, die sie in einem alten Schrankkoffer liest, den sie zu einem gemütlichen Nest umfunktioniert hat. Sobald dem Mädchen aber die Augen zufallen, rutscht es hinüber ins „Septemberland“, wo es plötzlich mehr Abenteuer bestehen muss, als ihm lieb ist. Dort herrscht der Rastlose, der Kinder zu sich lockt, um sich von deren Langeweile zu ernähren …
Christoph Marzi gelingt die wunderbare Verquickung von Alice in Wonderland und Winnie the Pooh, von Piratenabenteuern und den Ratschlägen eines sprechenden Fuchses. Durch die Bleistift-Illustrationen von Kristina Andres wird das Lektürevergnügen noch einmal auf eine andere Ebene gehoben. Und während die Protagonistin ihre Ängste überwindet und die Grenzsteine von Traum und Realität auslotet, können auch die LeserInnen ihre Langeweile getrost dem Rastlosen überlassen.

Iris Gassenbauer | STUBE

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Jenny Erpenbeck: Aller Tage Abend

: Roman / Jenny Erpenbeck. - 2. Aufl. - München : Knaus, 2012. - 282 S.
ISBN 978-3-8135-0369-2      fest geb. : ca. € 20,60

Ein Frauenleben im 20. Jahrhundert in fünf Abschnitten, die wesentliche Stationen der europäischen Geschichte berühren. (DR)

In der Nacht nach ihrem 90. Geburtstag, zu dessen Feier der Sohn sie aus dem Berliner Pflegeheim zu einem Ausflug abgeholt hat, stirbt Frau Hoffmann, deren Namen wir erst im letzten der fünf Abschnitte erfahren. Zuvor ist immer nur die Rede vom "Kind", vom "Mädchen", von der "Frau". Als Resümee ihres mit viel Leid und vergeblichem Engagement, aber zuletzt auch (fragwürdiger) Anerkennung ausgefüllten Lebens sagt sie wenige Tage vor dem Ende, ohne dass es jemand hört: "Wir haben versucht, alles zu machen, aber wir haben es falsch gemacht."
Die Protagonistin dieses höchst raffiniert strukturierten Romans wird am Beginn des 20. Jahrhunderts - dem "Zeitalter der Extreme", wie es der Historiker Eric Hobsbawm genannt hat - in Galizien als Tochter einer jüdischen Mutter und eines Goj geboren. Mit nur acht Monaten erstickt das "Maideleh" in seinem Bettchen. Der Vater setzt sich nach Amerika ab, die in Trauer erstarrte Mutter gerät in die Prostitution. Es hätte aber auch anders kommen können: Das Kind stirbt nicht und die Familie zieht von Brody nach Wien, wo der beamtete Vater seine Angehörigen nur schwer vor Hunger und Kälte bewahren kann und wo das nun 17-jährige Mädchen aus Liebeskummer mit einem ebenfalls liebeskranken jungen Mann freiwillig aus dem Leben scheidet. Wiederum hätte es aber nur beinahe so weit kommen können und die junge Frau wäre, als überzeugte Kommunistin, mit ihrem Mann nach Moskau gegangen und schließlich im Straflager gelandet. Mit Glück in diesem irrwitzigen stalinistischen Terrorsystem überlebt (oder auch nicht), kehrt sie mit ihrem kleinen Sohn zurück und lebt als gefeierte Dichterin in der DDR.
Der Lebensbogen dieses Frauenschicksals berührt wesentliche historische Themen des 20. Jahrhunderts (Ostjudentum, Weltkriege, Stalinismus, geteiltes Deutschland), die Erzählstruktur ist - wie auch der glasklare, tiefschürfende Stil - einzigartig. Ein außerordentliches Buch, das weit mehr bietet als eine gut erzählte Geschichte! Ausgezeichnet mit dem Evangelischen Buchpreis 2013.

Maria Schmuckermair | biblio

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Carol Birch: Der Atem der Welt

: Roman / Carol Birch. Aus dem Engl. von Christel Dormagen. - 2. Aufl. - Berlin : Insel-Verl., 2012. - 393 S.
ISBN 978-3-458-17544-5      fest geb. : ca. € 20,60

Packendes Seeabenteuer voll exotischer Tiere, gefahrenreicher Erlebnisse zu Lande wie zu Wasser und einem sympathischen jugendlichen Helden mittendrin. (DR)

"Ich wurde zweimal geboren." Bereits dieser erste Satz lässt aufhorchen und entführt unmittelbar in die Londoner Docklands des Jahres 1857. Dort wächst der Ich-Erzähler Jaffy Brown - ein Junge aus ärmlichen Verhältnissen - auf, bis die Begegnung mit einem entflohenen Tiger seinem Leben eine neue Wendung gibt. Im Mittelpunkt des ruhigeren ersten Romanteils stehen Jaffys Arbeit in Jamrachs  - tatsächlich existierender - Menagerie sowie seine von Zuneigung und Abhängigkeit geprägte Freundschaft mit dem sich überlegen gebenden Tim und dessen koketter Schwester Ishbel, Jaffys erster Liebe. Im temporeicheren zweiten Teil der Geschichte nimmt das wechselhafte Schicksal seinen Lauf, als sich die beiden Freunde, getrieben von Fernweh und Abenteuerlust, an Bord des Walfängers "Lysander" begeben, um einen angeblich existierenden Drachen einzufangen. Die gewagte Schiffsexpedition verläuft anders als geplant und stellt den liebenswürdigen Jaffy vor eine unmenschliche Entscheidung…
Gekonnt verwebt Autorin Carol Birch Fiktives mit historischen Fakten. "Der Atem der Welt" weist alle Merkmale eines klassischen Abenteuerromans auf und weckt schönste Leseerinnerungen. Genre, Setting, Sprache und Stil erscheinen gleichsam aus der Zeit gefallen. Thematisch beweist der mit unvergesslichen Figuren bevölkerte britische Erfolgsroman, der 2011 auf der Shortlist des Man Booker Prize stand, durchaus Gegenwartsbezug, u. a. wirft er interessante Fragen über das Animalische im Menschen vice versa auf. Trotz einiger schwer verdaulicher Bootsszenen werden jugendliche LeserInnen und FreundInnen klassischer Abenteuerliteratur von diesem atmosphärisch-dichten Roman begeistert sein!

Elisabeth Zehetmayer | biblio

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Margaret Mazzantini: Das Meer am Morgen

: Roman / Margaret Mazzantini. Aus dem Ital. von Karin Krieger. - Köln : DuMont Buchverl., 2012. - 127 S.
ISBN 978-3-8321-9684-4      fest geb. : ca. € 17,50

Schicksal zweier vertriebener Familien. (DR)

Farid und seine Familie gehören einem Beduinenstamm an und leben in der Wüste Libyens, Vito und seine Verwandtschaft hingegen sind Emigranten, die in Sizilien ihr kärgliches Dasein fristen. Beide Clans sind geographisch durch das Mittelmeer getrennt, haben aber in Wahrheit sehr vieles gemeinsam: Sie wurden in Folge eines Regimewechsels aus ihrer geliebten Heimat vertrieben und müssen versuchen, sich eine neue Existenz aufzubauen.
So schnell die Handlung in Mazzantinis neuem Meisterwerk erzählt ist, so viel ließe sich über ihren Schreibstil und ihre Ausdrucksweise sagen: Ein leiser, lyrischer Sprachduktus, eine verblüffende, traumwandlerische Treffsicherheit in der Wahl ihrer Bilder sowie ein grandioses Einfühlungsvermögen tragen diese tiefgehende Erzählung, die ob der entstehenden Intensität im Kopf noch lange nachhallt.
Man ist zutiefst betroffen, wenn am Ende des Romans aus dem erst trennenden Element "Meer" das verbindende Dritte wird, das beide Schicksale auf traurige Weise vereint. Preisverdächtig…

Christoph Stitz | biblio

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Stefan Bollmann: Frauen, die denken, sind gefährlich und stark

/ Stefan Bollmann. - München : Elisabeth Sandmann, 2012. - 136 S. : Ill. (z.T. farb.) ; 28 cm
ISBN 978-3-938045-70-1      fest geb. : ca. € 25,70

26 außergewöhnliche Frauenporträts. (BA)

Stefan Bollmann, der sich bereits mit Bestsellern wie "Frauen, die lesen, sind gefährlich" und anderen einen Namen gemacht hat, stellt im vorliegenden Band 26 Wissenschaftlerinnen, Philosophinnen, Publizistinnen und Politikerinnen vor. Ihre Lebensentwürfe sind vom Wunsch geprägt, die Welt zu verändern und die Widerstände, auf die sie stoßen, zu überwinden. Die literarischen Porträts sind zugleich eine Geschichte des Kampfes der Frauen um Gleichberechtigung und Anerkennung. Als die Frauenrechtlerin Olympe de Gouges der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 ihre eigene Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin hinterherschickte, wurde sie vom französischen Revolutionstribunal zum Tod durch die Guillotine verurteilt. Mit ihr wurde auch dem Ansinnen der Frauen, das eigene Leben selbständig zu führen, der Kopf abgeschlagen. Erst in der 2. Hälfte des 19. und im Verlauf des 20. Jahrhunderts gelang es immer mehr Frauen, die Strukturen der männlichen Macht zu durchbrechen.
Stefan Bollmann schreibt Lebensbilder, keine biografischen Essays. Illustriert mit eindrucksvollen Fotografien schildert er die besonderen Errungenschaften der vorgestellten Frauen, prägende Stationen ihres Lebens und den Kern ihrer Lebensentwürfe. Für alle Bibliotheken absolut empfehlenswert.

Eva Moser-Reitsamer | biblio

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Andreas Pröve: Abenteuer Mekong

: 5700 Kilometer von Vietnam bis ins Hochland von Tibet / Andreas Pröve. - München : Malik, 2013. - 302 S., [12] Bl. : Ill. (farb.), Kt.
ISBN 978-3-89029-423-0      fest geb. : ca. € 23,70

Ein Reisebericht, der Mut und Hoffnung schenkt. (EL)

Andreas Pröve unternimmt zusammen mit einem indischen Freund eine Expedition von der Mündung des Mekong in Vietnam bis zu dessen Quellen im Tibetischen Hochland. Der Weg zur Quelle führt durch Vietnam über Kambodscha, Laos bis nach China. Das allein ergäbe sicher schon einen lesenswerten Reisebericht, was dieses Buch jedoch so besonders macht, ist die Tatsache, dass Andreas Pröve querschnittsgelähmt ist. Mit Rollstuhl und Handfahrrad kämpft Pröve sich vorwärts und lässt sich immer wieder auf überraschende Begegnungen ein. Auch wenn die Sprachkenntnisse oft nicht ausreichen, um sich zu verständigen, gelingt es ihm doch meist, eine barrierefreie Unterkunft, Verpflegung oder einfach nur die notwendige Hilfe bei der Überwindung von Hindernissen zu finden.
Das Buch macht Mut! Mut, nicht aufzugeben und sich selbst nicht abzuschreiben, wenn man nicht mehr kann wie gewohnt. Es macht Mut, Grenzen zu überwinden und sich einzulassen auf das Wagnis des Unbekannten. Wer das Buch "Fühlend sehe ich die Welt" von Ilija Trojanow gelesen hat, das beschreibt, wie James Holman als Blinder im 19 Jhdt. die Welt bereiste, für den bietet Pröves Reisebericht ein lesenswertes modernes Äquivalent.

Jonathan R. Werner | biblio

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Reinhold Stecher: Spätlese

/ Reinhold Stecher. Mit Aquarellen des Autors. - 3. Aufl. - Innsbruck : Tyrolia, 2013. - 112 S. : Ill. (farb.)
ISBN 978-3-7022-3235-1      fest geb. : ca. € 19,95

Persönliche Lebensbilanz und Wünsche für die Zukunft der Kirche. (PR)

Bischof Reinhold Stecher (1921-2013) erinnert sich an markante Begebenheiten seines langen Lebens und erzählt, wie er mehrmals nur knapp dem Tod entronnen ist, er denkt an seine Studienzeit, an seine Zeit als Lehrer und in der Lehrerbildung und dabei auch an viele Begegnungen als Bischof mit Kindern und Jugendlichen. Mehrmals betont er, dass er gerade bei diesen "in die Schule" gegangen sei und dass er für diese Schule ebenso dankbar sei wie für das wiederholte Spüren der Barmherzigkeit und der Liebe Gottes in seinem Leben. Mit diesem Rückblick verbindet Bischof Stecher auch einige Anliegen seines Priester- und Bischofseins. Er hat aus Überzeugung eine nachgehende Seelsorge praktiziert. Diese Art der Seelsorge, die sich besonders in der persönlichen Begegnung und Hinwendung zu den Menschen zeigt - er nennt hier vor allem die Kinder, die Kranken, die nicht mehr Gehfähigen, die alten Menschen und die Sterbenden - wird bei den derzeitigen kirchlichen Gegebenheiten bald nicht mehr möglich sein. Daher hofft er im Blick auf die vielen, die keinen Hirten haben, aber nach einem ausschauen, auf menschliche Änderungen derzeitiger kirchlicher Praxis, die den liebenden Gott, der die ganze Welt umgreift, für die Menschen spürbar machen.
Das Buch ist gut einsetzbar in der (Alten-)Pastoral oder auch in der Biografiearbeit, z. B. zu den Themen "Lebensreflexion", "Gottesbilder", "Erwartungen an die Kirche", "Wünsche an die Nachfahren". Zudem ist es ein Lesevergnügen, das zum Innehalten und Nachdenken anregt. Sehr empfehlenswert für einen breiten LeserInnenkreis.

Hanns Sauter | biblio

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