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biblio : aktuelle buchtipps

Buchtipps / 2012 / Februar

erstellt von der STUBE und dem Österreichischen Bibliothekswerk

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Edward van de Vendel / Alain Verster: Die Taube, die sich nicht traute

/ Edward van de Vendel. Ill. von Alain Verster. - Hildesheim : Gerstenberg, 2012. 32 S. : überw. Ill. (farb.). - 33 cm
ISBN 978-3-8369-5419-8    fest geb. : ca. € 13,40

Könnte eine Geschichte über Tauben besser erzählt werden als im Flattersatz? Der ungleichmäßig gesetzte Text entspricht ganz der Präsenz von Tauben im Stadtbild: Irgendwie unentschlossen fliegen sie mal dort, mal da, getrieben von der Suche nach Nahrung. So geht es auch dem Tauber Telemark, wenngleich auf seiner Suche nach einem Körnchen deutlich mehr Erfolgsdruck lastet. Der Text setzt mitten in der Sturzflugprüfung ein, bei der die nach Provinzen benannten Tauben von der Dachrinne aus eine Brotrinde, einen Krümel, ganz egal was, vom Festtagstisch der Menschen holen müssen. Telemark „war schon bald an der Reihe. Noch sieben vor ihm. Oooh.“
Der rhythmische Text spielt mit der Zeit, die sich kurz vor dem entscheidenden Sprung dehnt und viel Zeit für die Selbstreflexion Telemarks lässt. Text und Illustration zeigen ihn als ängstlichen, skeptischen, komplexbehafteten Vogel – sein dicklicher rosa Leib durchbricht die sepia getönten Bilder, die an konventionelles Taubengefieder erinnern: Angegraut und staubig, gleichzeitig aber transparent und federleicht. Der Illustrator arbeitete bei diesem Debüt mit Abzügen von alten Fotografien, die sich in ihrer Unschärfe gut in den nostalgischen oder besser zeitlosen Charakter des Buches fügen. Nicht ohne entsprechenden Humor wird hier von (menschlichem) Unvermögen erzählt. Und davon, wie relativ alles sein kann – nicht nur die Zeit vor einer schweren Prüfung. „Lausetauber! […] Fass dir ein Tauberherz!“, heißt es schließlich und Telemark lässt sich ganz entgegen seiner Vogelnatur einfach fallen. Mitten in die Salatschüssel. Was für ein Fest.

Christina Ulm | STUBE 

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Mirjam Pressler: Ein Buch für Hanna

: Roman / Mirjam Pressler. - Weinheim : Beltz und Gelberg, 2011. - 348 S.
ISBN 978-3-407-81079-3      fest geb. : ca. € 18,50

Am Beginn des Textes heißt die Protagonistin Hannelore und bereitet sich gemeinsam mit anderen zionistischen Jugendlichen auf die Ausreise nach Palästina vor. Als sie erfährt, dass sie zunächst nach Dänemark soll, um dort in Sicherheit vor den Nazis zu sein, verbindet sie mit diesem Land vor allem Andersens Märchen - die ihr bei den schrecklichen Erfahrungen der nächsten Jahre Halt geben, und zu einem Leitmotiv des Romans werden. Nach einigen glücklichen Jahren werden Hanna und ihre Freundinnen nach Theresienstadt deportiert.
Pressler durchbricht die personale Erzählform an einigen wenigen Stellen durch innere Monologe von Personen, die Hanna nahestehen, besonders beklemmend dann, wenn vom unendlichen Schmerz und der Todesnähe erzählt wird, denen die Mädchen ständig ausgesetzt sind. Hanna überlebt, der letzte innere Monolog ist schließlich aus ihrer Sicht - mit der Erinnerung an die unnachgiebigen Worte ihrer verstorbenen Freundin Mira: „Los, Hanna, du schaffst das. Aufgeben gilt nicht.“

Kathrin Wexberg | STUBE

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Lisa Moore: Und wieder Februar

: Roman / Lisa Moore. Aus dem Engl. von Kathrin Razum. - München : Hanser, 2011. - 335 S.
ISBN 978-3-446-23751-3      fest geb. : ca. € 20,50

Literarische Spurensuche in einer vom Schicksal gebeutelten Seele. (DR)

Wie lange kann/soll/darf die Trauer um einen geliebten Menschen dauern? Dieser Frage geht die neufundländische Autorin Lisa Moore (geb. 1964) in diesem Roman nach. Helen, die Hauptfigur im Buch, verliert während der Schwangerschaft mit ihrem vierten Kind ihren geliebten Ehemann Cal. Er stirbt bei einem tragischen Unfall auf einer Bohrplattform im Februar 1982, der insgesamt 84 Menschenleben fordert. Helen versucht trotz dieses fast unerträglichen Schicksalsschlages, ein halbwegs normales Familienleben mit ihrem Sohn John und ihren drei Töchtern zu führen. Ihren Mitmenschen und den Kindern scheint es, als hätte sich Helen mit dem Alleinsein abgefunden und sich mit dem Schicksal ausgesöhnt. Innerlich ist sie allerdings daran zerbrochen - sie redet in ihren Gedanken mit Cal, vermengt in ihrer Vorstellungswelt die Vergangenheit mit der Gegenwart und hat Probleme, sich anderen Menschen anzuvertrauen. Als ihr John eröffnet, dass er demnächst selbst Vater wird, wird sie durch diese Nachricht aus ihrer mehr als dreißigjährigen inneren Isolation gerissen und schöpft Kraft und Mut für einen Neuanfang.
In einer sehr zurückhaltenden, unpathetischen Sprache geht Moore in ihrem neuen Buch auf eine Art Spurensuche in einer vom Schicksal gebeutelten Seele und taucht in eine Gefühlswelt der Extreme ein. Eine absolut lesenswerte Neuerscheinung, die durch die ständigen Zeitsprünge in den unterschiedlichen Erzählsträngen zwar einiges an Lesedisziplin erfordert, die LeserInnen letztendlich aber mit einem besonders einfühlsamen Stück Literatur belohnt und einen langanhaltend positiven Eindruck hinterlässt.

Barbara Tumfart | biblio

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Beth Hoffman: Die Frauen von Savannah

 : Roman / Beth Hoffman. Aus dem amerikan. Engl. von Isabel Bogdan. - Köln : Kiepenheuer und Witsch, 2011. - 352 S.
ISBN 978-3-462-04286-3      fest geb. : ca. € 17,50

Die 12-jährige CeeCee erlebt in der Obhut ihrer Großtante zum ersten Mal Geborgenheit und Liebe. (DR)

CeeCee, eigentlich Cecilia Rose Honeycut, lebt meist allein mit ihrer psychisch kranken Mutter, da der Vater lange Handelsreisen unternimmt. Das Mädchen ist einsam und überfordert mit der Betreuung ihrer Mutter. Als diese bei einem Verkehrsunfall stirbt, nimmt Großtante Tootie das Mädchen mit nach Savannah/Georgia. Die Südstaatenfrauen rund um Tootie nehmen sich ihrer warmherzig und innig an. Die schwarze Köchin Oletta umsorgt sie liebevoll. CeeCee fasst sofort Vertrauen und erlebt einen märchenhaften Sommer.
Die eigenwilligen Nachbarinnen und Freundinnen der Hausherrin sind CeeCee ebenso gut gesonnen wie die schwarze Verwandtschaft Olettas. Es geht manchmal hoch her in der wunderschönen alten Villa. Die Historic Savannah Foundation, deren Vorsitzende Tootie ist, tagt und legt sich mit Bauarbeitern an, die ein altes Haus abreißen wollen. Oletta fährt mit ihren Verwandten und CeeCee ans Meer, wo sie Opfer eines rassistischen Überfalls werden. Doch sie halten zusammen und können die ernsthafte Bedrohung abwenden.
Ein wunderbar warmherziges Buch, das glücklich und vielleicht ein wenig sentimental macht. Es erzählt von Kummer und Leid, aber auch von Liebe, Vertrauen, Freundschaft und einem jungen Mädchen, das seine Heimat bei der liebevollen, bodenständigen Großtante findet.

Angela Zemanek-Hackl | biblio

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Rudolf Habringer: Engel zweiter Ordnung

 : Roman / Rudolf Habringer. - Wien : Picus-Verl., 2011. - 393 S.
ISBN 978-3-85452-669-8      fest geb. : ca. € 23,90

Die ganz normale Welt der Menschen von nebenan erzählt bekommen, sich von Geheimnissen und Nöten berühren lassen und überrascht sein von den Verbindungen, die sich im Laufe des Lesens ergeben. (DR)

Als "Engel zweiter Ordnung" werden die Personen dieses Romans in drei Teilen bezeichnet. Am Beginn steht die Geschichte des Literaturprofessors Arnold Werner, die mit dem dramatischen Tod einer Segelgruppe beginnt und von einer nachwirkenden Jugendromanze erzählt, dann die Geschichte des Detektivs Seisenbacher, der vom Professor den Auftrag bekommt, die Daten der Jugendliebe Katharina auszuforschen und darin seine Chance auf einen großen Fall erkennt, und im dritten Teil dann der Perspektivenwechsel zur Politikergattin, die ihren Blick auf die miteinander verwobenen Biografien preisgibt.
Eine dynamische Entwicklung, bei der offenbar jede mit jedem in Verbindung steht, die zum Schmunzeln Anlass gibt, oft mit bitterem Beigeschmack. Ein Lesevergnügen, das in den Bann zieht und Einblick gibt in eigenwillige Lebensbiografien. Schön erzählt sind oft nebensächliche Einzelheiten zum Berufsalltag der drei Protagonisten, interessant wirken die unterschiedlichen Konstellationen und Verbindungen der beschriebenen Patchwork-Familien. Dem oberösterreichischen Autor Habringer ist es mit dem Roman gelungen, das vorerst unauffällige Leben seiner Hauptdarsteller in Bewegung zu bringen, deren allzu menschliche Denkweisen und Handlungsmechanismen zu entlarven und das Lesepublikum mit skurrilen Wendungen zu überraschen.

Birgit Leitner | biblio

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André Müller: "Sie sind ja wirklich eine verdammte Krähe!"

 : letzte Gespräche und Begegnungen / André Müller. Mit einem Vorw. von Elfriede Jelinek. - München : LangenMüller, 2011. - 368 S. : Ill.
ISBN 978-3-7844-3273-1      fest geb. : ca. € 20,60

Der große Interviewer André Müller stellte gnadenlose Fragen und schuf damit Literatur. (BA)

Der vor einem Jahr verstorbene André Müller war wohl einer der gefürchtetsten Interviewer im Bereich der Printmedien. Im vorliegenden Band findet sich eine Sammlung seiner letzten Gespräche, die bereits in renommierten deutschsprachigen Zeitungen erschienen sind.
Müller bereitete seine Interviews akribisch vor. Er beschäftigte sich ausführlich mit den Menschen, versetzte aber durch seine unerbittlichen Fragen so manchen Gesprächspartner in Aggression. Unter den 22 Interviewten finden sich auch Peter Handke, Elfriede Jelinek, Salman Rushdie, Günter Grass und Michael Houellebecq. Es sind jedoch nicht nur Schriftsteller, die sich den oft unerbittlichen Fragen stellten. Der Modeschöpfer Karl Lagerfeld und die Porno-Queen Dolly Buster sind keine Literaten, aber André Müller macht aus den Gesprächen mit ihnen ein Stück Literatur.
Genial ist ein Interview mit Hans Dietrich Genscher, das nie stattgefunden hat. Der damalige deutsche Außenminister hatte den Termin einen Tag vorher abgesagt. André Müller, der sich exzellent vorbereitet hatte, verfasste ein ausführliches Interview, das in der ZEIT vom 19. Oktober 1990 in voller Länge erschien. Für die Antworten des Ministers benutzte Müller frühere Reden und politische Stellungnahmen Genschers aus den Archiven, seine Fragen als Interviewer konstruierte er allesamt aus Texten von Laotse, Heraklit, Thomas Bernhard, Jean-Jacques Rousseau, Albert Camus und Johann Wolfgang von Goethe. Die Interviews von André Müller sind eine beglückende Lektüre, die jede Bibliothek bereichern.

Johannes Preßl | biblio

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Tanja Dusy / Klaus-Maria Einwanger: Winterküche

 : voller Wärme, Kraft und Sinnlichkeit / Text & Rezepte: Tanja Dusy. Fotos: Klaus-Maria Einwanger. - München : Gräfe und Unzer, 2011. - 254 S. : zahlr. Ill.
ISBN 978-3-8338-2307-7      fest geb. : ca. € 25,70

Eine nostalgische Reise durch die schönen Seiten des Winters. (VL)

Schon nach kurzem Blättern in diesem Buch erwachen nostalgische Gefühle. Man denkt an die Wärme, die ein Holzofen spendet, an ein gemütliches Beisammensein mit Freunden, während winterliche Düfte durch die Stube ziehen. Das liegt in erster Linie an den stimmungsvollen Fotos, die einen sofort in eine andere Zeit zurückversetzen.
Dabei sind die Rezepte keineswegs alle "von gestern". Neben Altbekanntem und -bewährtem wie Kasnockn finden sich auch zur Jahreszeit passende Rezepte aus anderen Ländern wie Blinis und Piroggen, verschiedene Crostinis oder schwedische Fleischbällchen. Eine der "Winterwelten" ist Mandelkernen und Zimtduft gewidmet und enthält ausschließlich Süßspeisen und Getränke. Natürlich dürfen hier die Bratäpfel nicht fehlen, aber der Apfel-Cranberry-Crumble klingt mindestens so verlockend und auch die Idee, einmal statt des Stollens Stollen-Scones oder Lebkuchen-Brownies zu servieren, ist sehr reizvoll.
Alle Rezepte wirken sehr bodenständig, auch wenn manche aus anderen Kulturen kommen, und sind ohne großen Aufwand umzusetzen. Es werden nur Zutaten verwendet, die um diese Jahreszeit typisch für unsere Region und somit problemlos zu beschaffen sind. Eine weitere "Winterwelt" widmet sich dem Hüttenzauber; hier finden sich Rezepte, die auch in bescheiden eingerichteten Küchen problemlos nachgekocht werden können. Das Kochbuch ist nicht nur eine Bereicherung für jede Bibliothek, sondern macht auch als Geschenk viel Freude.

Anita Ruckerbauer | biblio

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Karl Jaroš: Jesus von Nazareth

: ein Leben / Karl Jaroš. - Köln : Böhlau, 2011. - 388 S. : Ill., Kt.
ISBN 978-3-412-20754-0      fest geb. : ca. € 35,90

Ein lesenswertes Jesus-Buch. (PR)

"Das Buch richtet sich an eine breite und interessierte Leserschaft, die Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft und der klassischen Philologie anzunehmen bereit ist", so das Vorwort. Zudem sollte man bereit sein, sich durch über 350 eng beschriebene Seiten durchzukämpfen. Wer dies vermocht hat, wird sich gerne der Auffassung anschließen, dass hier eine Publikation vorliegt, die aus der Vielzahl der Jesus-Bücher positiv herausragt. Der Autor beschreibt kenntnisreich und detailliert die politische, wirtschaftliche und religiöse Lebenswirklichkeit zur Zeit Jesu. Dazu wertet er neuere archäologische und historische Erkenntnisse aus, die manches Altvertraute in einem neuen Licht sehen lassen. Jaroš versteht es, der Person Jesu die ihr eigenen und unverkennbaren Konturen zu geben. Dabei erweisen sich die Evangelien, die Hauptquelle unserer Kenntnisse über das Leben Jesu, erneut als zuverlässige zeitgeschichtliche Dokumente, die Qumranforschung als ergiebige Quelle für weitere zahlreiche Informationen und Zusammenhänge und die Sichtweise der ersten Christen auf Jesus, auf die der Autor immer wieder eingeht, als interessant für heutige Fragestellungen.
Ein Buch, das zum Nachdenken und Überdenken einmal gelernter oder gehörter neutestamentlicher Positionen anregt und hilft, diese auf einen neuen Stand zu bringen. Trotz penibler Wissenschaftlichkeit ist es Jaroš gelungen, nicht nur verständlich, sondern auch spannend zu schreiben. Überzeugend und empfehlenswert für einen breiten Leserkreis.

Hanns Sauter | biblio

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