Buchtipps / 2008 / April
erstellt von der STUBE (Studien- und Beratungsstelle für Kinder und Jugendliteratur) und dem Österreichischen Bibliothekswerk
Martin Jenkins: Affen
/ Martin Jenkins. Ill. von Vicky White. [Aus dem Engl.
von Edmund Jacoby]. – Hildesheim: Gerstenberg, 2008. – [41]
S. : überw. Ill., Kt. -
ISBN 978-3-8369-5184-5 fest geb. : ca. €
13,30
Emotionen stehen im Mittelpunkt dieses Sachbilderbuchs über die vier Familien der Großaffen. Emotionen, welche die Illustratorin Vicky White in den ausdrucksstarken Gesichtern der porträtierten Tiere wiedergibt. Vor weißem Hintergrund formt sie aus schwarzer und brauner Ölfarbe die Affen auf strukturiertem Papier, welches den verschiedenen Texturen der naturalistischen Illustrationen weitere Tiefe verleiht. Den szenischen Hintergrund gestaltet die ehemalige Tierpflegerin kontrastierend mit zarten Bleistiftzeichnungen, die dadurch den im Mittelpunkt stehenden Tieren genügend Raum lassen. Die Schaffung einer emotionalen Verbindung zwischen LeserInnen und den Affen bildet ebenfalls das Hauptaugenmerk der kurzen Texteinheiten: Die Sachinformationen und szenischen Beschreibungen geben einen oberflächlichen Einblick in den Lebensalltag und die biologischen Besonderheiten der jeweiligen Großaffen. Doch das Hauptinteresse besteht darin, den Aufbau eines Näheverhältnisses zu ermöglichen und gemeinsam mit den Illustrationen die Faszination für die bedrohten Tierarten über die Ähnlichkeiten und Unterschiede zum Menschen herzustellen. Somit rückt der Reportagecharakter dieses Sachbilderbuchs in den Hintergrund und ermöglicht es den außergewöhnlichen Illustrationen von Vicky White, bei ihrem Bilderbuchdebüt die LeserInnen zu berühren.
Suzanne Crowley: Meine geordnete Welt
: oder der Tag, an dem alles auf den Kopf gestellt
wurde / Suzanne Crowley. Aus dem Amerikan. von Knut Krüger. - München
: cbj Verlag, 2008. - 269 S.
ISBN 978-3-570-13259-3 fest geb. : ca. € 15,40
„The very ordered existence of Merilee Marvelous“ – der amerikanische Originaltitel dieses Debütromans bringt mit wenigen Worten auf den Punkt, was für die dreizehnjährige Ich-Erzählerin Merilee das Wichtigste ist: Ein SGD, „sehr geregeltes Dasein“ zu führen, in dem alles nach einem festgelegten Zeitplan abläuft. Als jedoch eines Tages der kleine Biswick in ihrem Heimatort, einer texanischen Kleinstadt namens Jumbo, auftaucht, und ausgerechnet sie zu seiner Freundin erklärt, scheint dieses geregelte Dasein akut gefährdet. Dem Klappentext und Interviews ist zu entnehmen, dass Merilee unter einer leichten Form von Autismus (nach einem österreichischen Kinderarzt Asperger-Syndrom benannt) leidet. Diese Besonderheit beeinflusst ihre Möglichkeiten, sich anderen mitzuteilen: “Natürlich habe ich Worte. Sogar ganz erstaunliche Worte und Ideen. Sie sind in mir gefangen, drehen sich dort im Kreis wie die heißen Staubteufel auf dem Highway 90 und höhlen mein Inneres aus.“ Im Schreibprozess kürzte die Autorin (http://www.suzannecrowley.com/) Merilees Dialogpassagen ganz bewusst immer mehr, um den Kontrast mit der Fülle an Geschichten und Träumen, die sie zwar in sich hat, aber nicht kommunizieren kann, noch deutlicher hervorzuheben. Durch Biswick werden sowohl Merilee als auch die LeserInnen mit einer Fülle an Problemen konfrontiert – dennoch wirkt der Text nie überladen. Die Fülle an Themen und skurrilen Figuren, kombiniert mit der schrägen Südstaatenatmosphäre von Jumbo und der besonderen Erzählperspektive von Merilee lässt ein eigenwilliges und genussreiches Leseerlebnis für Jugendliche ab 12 Jahren entstehen.
Peter Handke: Die morawische Nacht
: Erzählung / Peter Handke. - 2. Aufl. - Frankfurt
a. M. : Suhrkamp, 2008. - 560 S.
ISBN 978-3-518-41950-2 fest geb. : ca. € 28,80
Abschied vom Balkantraum. (DR)
Peter Handke ist auf den Balkan zurückgekehrt. Seine neue Erzählung
nimmt ihren Anfang in einem Dorf in Serbien. Anders als in früheren
Büchern über dieses Land argumentiert Handke hier nicht mehr
politisch. Ein märchenhafter Ton dominiert in der "morawischen
Nacht". Den Rahmen der Erzählung bildet eine Versammlung auf
einem an der Morawa vertäuten Schiff. Der "abgedankte Autor"
hat sieben namenlose Freunde eingeladen, um ihnen des Nachts von seiner
Fluchtreise und Irrfahrt durch Europa zu erzählen.
Der Ex-Autor, der vieles mit dem Autor Handke teilt, hat den "finsteren
Balkan" verlassen, um frühere Schreiborte und wichtige biografische
Stationen noch einmal aufzusuchen, wie etwa die Insel Krk, wo einst sein
erstes Buch entstand. Auf seiner Zickzackfahrt durch den Kontinent gelangt
er über Spanien nach Deutschland zum Grab seines Vaters im Harz.
Er kehrt in sein "Stammland" Österreich zurück und
besucht auch sein Heimatdorf. Vorletzte Station ist eine surreale Dreierkonferenz
in einer Doline im Karst, bei der die letzten Vertreter "der Idee
oder dem Hirngespinst von einem zusammenhängenden großen Land
auf dem Balkan" das Ende ihres Traums konstatieren. Am Ende kehrt
der "Schriftsteller in Ruhe" wieder auf den Balkan zurück.
Schiff und Freunde haben sich aufgelöst. Geblieben ist nichts als
die "Geographie der Träume" und die Utopie von "samara"
- das arabische Wort für "eine Nacht im Gespräch verbringen."
In diesem vielstimmigen Buch greift Handke viele seiner Lebensthemen und
Motive neuerlich auf. Einmal mehr erweist er sich als Meister des genauen
Hinschauens und der poetischen Verdichtung. Dabei gelingen ihm Passagen
von überwältigender Schönheit. Überraschend ist aber
die Selbstironie, die so oft in dem Buch aufblitzt. Handke hat offenbar
Vergnügen daran, sich von außen zu betrachten, und es scheint,
als würde er manchmal über das, was er da sieht, lächeln.
Alfred Komarek: Doppelblick
: Roman / Alfred Komarek. - Innsbruck : Haymon, 2008.
- 191 S.
ISBN 978-3-85218-556-9 fest geb. : ca. € 17,90
Neuorientierung mit Hindernissen für Daniel Käfer - Ein Erfolgsautor fabuliert sich noch einmal subtil spöttelnd durch das Salzkammergut! (DR)
Der Tod seines Bruders, deutliche Warnsignale seines eigenen Körpers
- Daniel Käfer wird sich plötzlich bewusst, dass er den Rest
seines Lebens anders verbringen möchte. Eine berufliche Chance kommt
ihm da gerade recht, zumal er damit seiner Wahlheimat Aussee etwas Gutes
tun könnte. Vor allem aber will er seine langjährige Freundin
Sabine endgültig an sich binden. Deren Gefühlsleben fährt
Achterbahn, allerdings nicht wegen Daniel… Geradlinig läuft
in diesen Tagen gar nichts für Daniel: Die Ausseer scheinen sein
Engagement für die Gemeinde nicht eben zu schätzen, und seine
Wunschimmobilie für das geplante Seminarzentrum, das ehemalige Hotel
"Doppelblick", hat nicht nur morbiden Charme zu bieten, sondern
mit Lambert Monschübl einen reichlich verschrobenen Besitzer.
Doch einfach waren die Lebensabschnitte sowieso noch nie, durch die Erfinder
Komarek seinen Protagonisten in gewohnt lakonisch-flapsiger Manier führt.
Aber mit Hilfe gestandener und gewitzter Persönlichkeiten, dem Leser
zum Großteil bereits aus den vorhergehenden Bänden vertraut,
bringt der Autor den vierten und nach Verlagsangaben letzten Roman um
Daniel Käfer zu einem versöhnlichen Ende - wenn auch ohne vordergründiges
Happy End. Aber das wäre wohl zu platt für einen Schriftsteller
seines Formats. Pflichtlektüre für Komarek-Fans und alle, die
sich gern auf eine besondere Begegnung mit dem Flair des Salzkammerguts
einlassen möchten.
Catalin Dorian Florescu: Zaira
: Roman / Catalin Dorian Florescu. - München
: C. H. Beck, 2008. - 477 S.
ISBN 978-3-406-57029-2 fest geb. : ca. € 20,50
Das Leben einer starken Frau in einem Jahrhundert der Kriege und politischen Umbrüche prall und sinnlich erzählt. (DR)
Zaira, einst Rumäniens berühmteste Marionettenspielerin kehrt
nach 30 Jahren im Exil in ihre Heimat zurück. Noch einmal will sie
rumänischen Boden betreten, noch einmal Trajan, ihre große
Liebe, sehen. Noch wagt sich die stolze alte Dame nicht zu der Wohnung
des einst so leidenschaftlichen Puppenspielers, der den Marionetten mit
seinen sanften Händen Leben einhauchte und Zairas Lehrmeister wurde.
Wieder in der Heimat, wandern Zairas Gedanken zurück ins Jahr 1928,
wo alles seinen Anfang nahm. Zaira – es gab sie wirklich, der Roman
beruht auf wahren Begebenheiten – nimmt uns mit auf ihre schwindelerregende
Reise durch ein bewegtes Jahrhundert, erzählt - immer mit einem spitzbübischen
Augenzwinkern - vom Zauber ihrer Kindheit auf einem Gutshof im rumänischen
Strehaia und der engen Beziehung zum geliebten Cousin Zizi, der ihr zum
Mutterersatz wird und in ihr die Liebe zum Schauspiel weckt. Die Kriegswirren
und der Siegeszug der Kommunisten sorgen für eine dramatische Wende:
Demütigung, Enteignung, Hunger und Armut sind die Folge, die Angst
vor Verfolgung und Gefangennahme wird zum ständigen Begleiter. Zaira
gelingt zwar 1968 die gefährliche Flucht nach Amerika, der amerikanische
Traum vom Glück geht allerdings nicht in Erfüllung.
Eine ähnliche Erfahrung musste auch der Autor Catalin Dorian Florescu
machen, der in den 1970er Jahren mit seinem Vater nach Amerika floh, aber
bald ernüchtert von dort zurückkam. Heute ist die Schweiz zu
der Wahlheimat des gebürtigen Rumänen geworden, der sich selbst
als „Geschichtendieb“ bezeichnet. In „Zaira“ kommt
Florescus große Fabulierlust einmal mehr zur Geltung: Von dem fast
500 Seiten starken Roman geht ein Zauber aus, Florescu schafft eine besondere
Atmosphäre, er erzählt lebendig und voller Leichtigkeit und
dennoch liegt immer auch ein Hauch Melancholie über dieser Geschichte
einer unglücklichen Liebe, die zugleich rumänische Landesgeschichte
ist. Die starken, eigenwilligen Charaktere, die Florescu feinsinnig und
farbenprächtig zum Leben erweckt, tragen das Ihre zu einem stimmigen
Lektüreerlebnis bei. Allen Bibliotheken sehr zu empfehlen.
Rudolf Nagiller: No Sports!
: aus Liebe zur Bewegung ; mit dem 10.000 Schritte
Programm / Rudolf Nagiller. Mit Ill. von Klaus Pitter. - Wien : Orac,
2008. - 159 S. : Ill.
ISBN 978-3-7015-0506-7 kart. : ca. € 19,90
Warum Sport sich auch für jene eignet, die sich für zu dick, untalentiert, gestresst, alt oder gar für zu gescheit halten. (VS)
Dieser Titel führt aufs erste Hinsehen in die Irre, und er hört
sich fast so gut an wie "Schlank im Schlaf"! Doch um gleich
ein Missverständnis aus dem Weg zu räumen: Der Gesundheitspublizist
hält sehr viel von Bewegung. Es geht ihm nur nicht darum, dem inneren
Schweinehund mit Brachialgewalt zu begegnen. Er räumt mit Moden und
Irrtümern auf, die falsche Voraussetzungen für Sport erst schaffen
oder ohnehin zögerliche sportliche Ambitionen gleich im Keim ersticken.
Der Appell lautet, der eigenen Körperintelligenz zu vertrauen. Einfachen
Regeln, Alltagsbewegungen zu intensivieren (Treppe statt Rolltreppe etc.),
fügt Nagiller "softe" Sportarten hinzu, die den Bewegungsmuffel
nicht gleich abschrecken.
Theorien über Ernährung, Fitness und Körper sowie persönliche
Erfahrungswerte hat es schon in früheren Büchern gegeben. Aber
die humorige Art zu überzeugen oder den übersichtlich gegliederten
Text mit witzigen Zeichnungen zu versehen, machen die Ausführungen
des Autors sehr sympathisch. Sehr empfehlenswert.
Martin Leidenfrost: Die Welt hinter Wien
: [fünfzig Expeditionen] / Martin Leidenfrost.
- Wien : Picus, 2008. - 234 S.
ISBN 978-3-85452-629-2 fest geb. : ca. € 16,90
Nachrichten aus einem (ehemals) toten Winkel. Oder aus einer neuen europäischen Zentralregion. (EH)
Seit dem Jahr 2004 lebt der österreichische Autor und Journalist
Martin Leidenfrost im slowakischen Grenzort Devínska Nová
Ves, einem Vorort von Bratislava, nur tausend Meter von der österreichischen
Grenze entfernt, und nur einige Kilometer von Ungarn und Tschechien. Bratislava
ist nicht weiter von Wien entfernt als St.Pölten und nirgendwo in
Europa liegen zwei Hauptstädte so nahe beisammen. Bereits ausgerufen
zur "Twin-City", soll diese Region in absehbarer Zeit boomen.
Der Frage, ob ihre Bewohner emotional schon dazu in der Lage sind, ging
Leidenfrost in einer Textserie im "Spectrum" der Tageszeitung
"Die Presse" nach; das vorliegende Buch sammelt diese Serie
und es ergibt sich eine eigenwillige Mischung aus Innen- und Außensicht.
Von seinem neuen Wohnort aus erkundet der Autor die nähere und fernere
Umgebung; er erlebt einen "mental zersplitterten Raum" (S.226).
Und er entdeckt vieles im Aufbruch Befindliche, aber auch, dass alte Strukturen
immer noch nicht überwunden sind.
So hinterlässt das Buch einen leicht melancholischen Eindruck, wie
die gesamte Region, die - zumindest auf österreichischer Seite -
erst allmählich dabei ist, ihren Charakter des "toten Winkels"
abzulegen. Aber es wird - bei allen Schwierigkeiten - zumindest mittelfristig
gelingen; auch diesen Eindruck vermittelt mir Leidenfrosts Buch. Ich empfehle
es allen, die diese Region nicht nur touristisch-oberflächlich kennenlernen
wollen.
Manfred Lütz: Gott
: eine kleine Geschichte des Größten /
Manfred Lütz. - München : Pattloch, 2007. - 297 S.
ISBN 978-3-629-02158-8 fest geb. : ca. € 20,60
Klare Worte für GottessucherInnen im Alltag. (PR)
Wer den Autor als Redner kennt, kann diesem Feuerwerk mit riesigem Genuss
folgen. Wer Lütz noch nicht - u. a. bei den Goldegger Dialogen/Salzburg
- gehört hat, wird nach der Lektüre Bildungs-Programme nach
ihm durchforsten, denn einer, der so mutig Klartext schreibt, wie klar
muss erst dessen Sprechtext sein. Manfred Lütz ist Arzt, Psychotherapeut
und Theologe, der Titel seiner Einleitung "Wider schlampigen Atheismus
und frömmelnden Glauben" spricht für sich.
Bibliotheken regen mit diesem Buch vielleicht innere Monologe bei ihren
LeserInnen an, besonders bei denen, die sich angesichts der Flut an Spiritualitätsbüchlein
ein wenig unterfordert fühlen. Keine religiöse Wellness wird
hier verkündet, sondern die Aufforderung ist klar benannt: Mit Gott
funktioniert die Welt anders als ohne. Eine literarische, rhetorische
Wohltat für den Intellekt, ein sanfter Anstoß für die
Seele und insgesamt ein sehr empfehlenswertes Buch.