Buchtipps / 2008 / Februar
erstellt von der STUBE (Studien- und Beratungsstelle für Kinder und Jugendliteratur) und dem Österreichischen Bibliothekswerk
Zoran Drvenkar/Martin Baltscheit: Zarah
: du hast doch keine Angst, oder? / Drvenkar [Text]
& Baltscheit [Ill.]. - Berlin : Bloomsbury Kinderbücher und Jugendbücher,
2007. - [31] Bl. : zahlr. Ill. (farb.)
ISBN 978-3-8270-5249-0
fest geb. : ca. € 15,40
Wer andren eine Grube gräbt… Zarah geht mit ihren Freundinnen in den finsteren Wald. Wäre das nicht schon genug an Gruselangebot, tragen die Freundinnen auch noch kräftig auf, um Zarah zu erschrecken. Sie erzählen von Monstern und anderen unheimlichen Gestalten. Man könnte es mit der Angst zu tun bekommen – doch Zarah bleibt unbeeindruckt. Selbst als die scheinbar so toughen Freundinnen immer ängstlicher werden und auf und davon laufen, zeigt Zarah sich unbeeindruckt. Zoran Drvenkar erzählt Zarahs Geschichte mit ironischem Unterton, denn wieder einmal gilt: Nichts ist, wie es scheint. Und wer konnte ahnen, dass Zarah allen Grund hat, sich nicht vor den Monstern zu fürchten. Die Illustrationen setzen den ironischen Ton der Geschichte fort und bereichern die Erzählung, indem sie die Angst sichtbar machen und Realität und Fantasie verschränken. Die comichafte Überzeichnung gibt den Bildern einen besonderen Drall. Wunderbar gruselig! Zu empfehlen ab 7 Jahren.
Leuw von Katzenstein: Nicht die Haare waschen!
: mit der Band Coco und die Bussimonster / Leuw von
Katzenstein ; Coco von Wolmirsleben. Ill. von Thomas M. Müller. Sprecher:
Ilona Schulz. - Hamburg : HÖRCOMPANY, 2007. - Laufzeit ca. 70 Min.
-
ISBN 978-3-939375-31-9 ca. € 14,30
„Wenn ich mal nach Wasser dürste / Und aus der Toilettenbürste / Tropfen sauge, ja, dann schrein / Sofort wieder alle: Nein!“ Coco und die Bussimonster haben schon ab den ersten Takten nichts mit den traditionellen KinderliedermacherInnen am Hut. Also: Keine Lieder über Geburtstage, nervende Geschwister oder Haustiere mit Akustikgitarre und Kinderchor. Stattdessen bluesige, rockende, groovende Songs, ungewöhnliche, freche Arrangements und schräge Stimmen. Darunter absolute Highlights wie der „Haarwaschblues“, das zwischen Rap und Kirchenchoral wandelnde „Gut erzogen“ oder die Hymne an das Kinderessen schlechthin: „Spitz auf Pommes Frites“. Eine uneingeschränkte Empfehlung für die Stereoanlage im Kinderzimmer, aber Vorsicht: nie den Eltern ausleihen, man könnte die CD vielleicht nie wieder sehen. Zu empfehlen ab 4 Jahren.
Friedrich Ani: Hinter blinden Fenstern
: Roman / Friedrich Ani. - Wien : Zsolnay, 2007. -
316 S. -
ISBN 978-3-552-05404-2 fest geb. : ca. € 20,50
Sind wirklich die Fenster blind oder ist vielleicht der Blick der Menschen getrübt? (DR)
In einem heruntergekommenen Stadtviertel ist es für dubiose und
kriminelle Gestalten leicht, sich als unauffällige Bürger zu
tarnen. Ein gewisser Herr Soltersbusch hat mit Gleichgesinnten den Verein
AMM ("achtsame Mitmenschen") mit dem Ziel gegründet, die
Nachbarschaft zu bespitzeln. Trotz seiner Wachsamkeit merkt er aber nicht,
was mit seiner Frau los ist und dass er mit einem Mädchenentführer
am Stammtisch sitzt. Neben der Entführung einer Minderjährigen,
die acht Monate lang in einer Wohnung gefangen gehalten wird, gibt es
auch drei Todesopfer zu beklagen: einen "Unfall" im Bordell,
einen Mord auf der Theresienwiese und eine Leiche in der Mülltonne.
Polonius Fischer, ehemaliger Mönch und nun Hauptkommissar in München,
löst seine Fälle mit ruhiger Bedachtsamkeit. Dass er aufgrund
seiner klösterlichen Vergangenheit mit der Bibel, religiösen
Symbolen und mit der Frage nach Schuld und Vergeltung vertraut ist, ist
für seine Arbeit hilfreich.
Friedrich Ani kann große Erfolge als Krimiautor vorweisen (Tukan-Preis
der Stadt München, Übersetzungen seiner zahlreichen früheren
Romane in viele Sprachen, sogar ins Chinesische). Dass Ani auch an der
Münchner Filmhochschule studiert hat, schlug sich nicht nur in seinen
Drehbüchern für bekannte TV-Krimiserien nieder, sondern macht
sich auch an seinem kurzweiligen Schreibstil mit harten Schnitten und
drastischen Bildern bemerkbar. - Für Krimifreunde ein Genuss!
Franz Hohler: Es klopft
: Roman / Franz Hohler. - München : Luchterhand,
2007. - 174 S.-
ISBN 978-3-630-87266-7 fest geb. : ca. € 18,50
Die Vergangenheit verschafft sich Gehör. (DR)
Man sieht sie bald lebendig vor sich: Manuel und Julia mit ihren beiden
Kindern - eine wohlsituierte Schweizer Arztfamilie, Ehe- und Familienglück
scheinen ungetrübt. Da klopft es eines Tages. Aber nicht an der Tür,
im Ohr des HNO-Facharztes, der sich einmal besonders für die Behandlung
des Tinnitus interessierte, klopft es. Was da klopft und sich Gehör
verschafft, ist die Vergangenheit, eine Lebenslüge, die mehr als
20 Jahre zurückliegt. Eine Frau hat damals an die Fensterscheibe
des Zuges geklopft, hinter der er saß. Verbissen verteidigt Manuel
seine tadellose Biografie gegen den Einbruch des Irrationalen und lässt
seinen Tinnitus mit Kortison behandeln. Doch was damals passierte, beginnt
ihn einzuholen.
Überzeugend erzählt, mit virtuos aufgebautem Spannungsbogen
hält der Erzähler bis zum Schluss seine LeserInnen in Atem.
Ein ausgesprochenes Lesevergnügen!
In welcher Sprache träumen Sie?
: österreichische Lyrik des Exils und des Widerstands
- Wien : Theodor-Kramer-Gesellschaft, 2007. - 567 S. -
ISBN 978-3-901602-25-2
fest geb. : ca. € 30,00
Mit Bedacht zusammengestellte, aktuelle Anthologie zur österreichischen Lyrik des Exils, der Verfolgung und des Widerstands. (DL)
Über 50 Jahre nach der bislang einzigen Lyrikanthologie des österreichischen
Exils "Dein Herz ist deine Heimat" (herausgegeben vom Exilautor
Rudolf Felmayer 1955) ist nun ein beeindruckender neuer Sammelband im
Verlag der Theodor-Kramer-Gesellschaft erschienen. Als Herausgeber fungierten
der Schauspieler und Autor Miguel Herz-Kestranek, die Literaturwissenschafterin
Daniela Strigl sowie der Exilforscher, Schriftsteller und Geschäftsführer
der Theodor-Kramer-Gesellschaft Konstantin Kaiser. Ganz besonders die
österreichische Literatur des 20. Jahrhunderts ist geprägt durch
politische und rassistische Verfolgung, Vertreibung, Flucht und Exil sowie
durch den Widerstand dagegen. Rund die Hälfte der österreichischen
DichterInnen ist durch den Nationalsozialismus vertrieben, getötet
oder anders zum Schweigen gebracht worden. Die hier vorgestellten Gedichte
von 278 LyrikerInnen mit rund 500 Werkproben und Kurzbiografien erschüttern
und berühren. Das Gedicht nimmt bei diesen Verfolgten und Vertriebenen
eine wesentliche Rolle als Überlebenshilfe, als verzweifelte Botschaft
an andere oder als letztmögliches Ausdrucksmittel ein. Es sind Texte,
die in Arrestzellen und in Konzentrationslagern entstanden sind, auf der
Flucht, in der Einsamkeit des Exils oder nach der Heimkehr in ein fremd
gewordenes Land.
Die Auswahl der Gedichte erfolgte nach vier wesentlichen Gesichtspunkten:
hohe literarische Qualität und Vielfalt der lyrischen Formen, einschlägige
Thematik (die Gedichte sollten unbedingt die Bedingungen, unter denen
sie geschaffen wurden, widerspiegeln), Aufzeigen der unterschiedlichen
Erfahrungen von Emigration, Widerstand und Verfolgung und größtmögliches
Spektrum verschiedener AutorInnen, selbst wenn einzelne manchmal nur mit
einem Gedicht vertreten sind.
Neben vielen bekannten österreichischen DichterInnen wie Rose Ausländer,
Erich Fried, Hilde Spiel oder Stefan Zweig ist so mancher unbekannte Name
eine Entdeckung wert. Auch Theodor Kramer war ein Exildichter, den heute
fast niemand mehr kennt, und zwar einer der produktivsten. Weder 1945
noch 1955 war das Exil zu Ende: Seitdem sind viele AutorInnen neu hervorgetreten
oder mit ihren bereits vor 1955 entstandenen Werken erst bekannt geworden
wie beispielsweise Alfredo Bauer, Ruth Klüger, Trude Krakauer, Anna
Krommer, Felix Pollak, Stella Rotenberg oder Jaffa Zins.
Österreichische Literatur ist keineswegs nur deutschsprachige Literatur!
DichterInnen aus Galizien, der Bukowina, dem Banat, der Tschechoslowakei
sind hier ebenso vertreten wie die vor 1938 in Wien heimischen großen
jiddischen LiteratInnen. Obgleich einige erwähnenswerte ExilautorInnen
wie z. B. Felix Grünbaum fehlen, ist der Sammlung mit übersichtlichem
Autorenregister, Gedichtverzeichnis, genauen Quellennachweisen und Copyrightangaben
ein höchstmögliches Streben nach Vollständigkeit und Seriosität
zu attestieren. Jeder sollte sich mit der Literatur des Exils und des
Widerstands, die eine neue Sensibilität für das Fremde und Ferne
schafft, beschäftigen und dieses aktuelle Standardwerk zum Thema
lesen. - Unverzichtbar!
Christina Bylow: Generation Großmutter
: 18 Porträts eigenwilliger Frauen / Text: Christina
Bylow. Fotografie: Enver Hirsch. - München : Knesebeck, 2007. - 118
S. : Ill. -
ISBN 978-3-89660-420-0 fest geb. : ca. € 25,70
Starke Großmütter mit großen Herzen und scharfem Verstand. (BO)
Alle Beiträge sind besser und pointierter als das Vorwort, das die
Journalistin Christina Bylow doch tatsächlich mit einem Blick ins
Kasperltheater beginnt. Doch bereits auf der nächsten Seite ändert
sich der Stil, die Sammlerin der 18 Frauen-Ahninnen-Großmutter-Porträts
findet den Ton, der diesen wunderbaren Frauen gerecht wird. Die Fotos
von Enver Hirsch zeigen Szenen aus dem Leben im Alltagsumfeld der Frauen,
die Porträts verhöhnen jeden Werbespot für Antifalten-Creme:
So sieht gelebtes Leben aus, so schauen Frauen in ihre Zukunft, die ihre
Kinder und Enkelkinder lieben, in unterschiedlichen Bezügen, vor
unterschiedlichen Lebenshintergründen und -kulissen. Beim Blättern
und Lesen begeistert das Panorama, das Bylow hier offenbart. Da steht
die 1919 geborene Gertraud Well in Günzlhofen vor ihrem Holzvorrat:
Drei Söhne gründeten die Biermösl Blosn, drei Töchter
treten als "Die Wellküren" auf, sie hat 36 Enkelkinder,
noch immer wird zusammen musiziert. Da erzählt Erika Pluhar von ihrer
verstorbenen Tochter, ihrer Liebesfähigkeit und ihrer eigenen Rolle
als Ernährerin der kleinen Familie. Da präsentiert sich Gülüzar
Demirbüken stolz in ihrer Wohnung in Berlin mit den zahlreichen Familienfotos
im Hintergrund; 1969 ist sie am Flughafen Tempelhof gelandet, eine junge
Frau aus einer bäuerlichen Familie in der Westtürkei. Kurzgeschichten
und Kurzbiografien, die Mut machen, starke Frauen, die Vorbilder sind,
ein Hauch von Liebe liegt über den Seiten. Sehr zu empfehlen, für
jede Bibliothek und als Geschenk.
Karin Steinberger: Shiva und die falschen Babas
: indische Identitäten / Karin Steinberger. -
Wien : Picus, 2007. - 152 S. - (Picus Lesereisen) -
ISBN 978-3-85452-936-1
fest geb. : ca. € 14,90
Alltagsgeschichten über Indien: faszinierend, intensiv, spirituell, gauklerisch. (EL)
In 17 kurzen Alltagsgeschichten macht sich die Autorin auf den Weg, den
LeserInnen ein Land zu präsentieren, in dem nichts unmöglich
scheint und sich Gegensätze geradezu anziehen. So gab es im Jahr
2005 eine um 54% gestiegene Internet-Reichweite, die von der hohen Zahl
der Analphabeten im Land jedoch nicht genutzt werden kann. Rikschabesitzer
in Großstädten, die dem Wetter und den starken Abgasen ausgeliefert
sind, verdienen gerade 12 Cent in der Stunde - ein absolutes Verlustgeschäft.
Man könnte denken, auf dem Land lebe es sich besser, aber der viele
Regen, der asiatische Baumwollkapselwurm und die Vertreter der Saatgutkonzerne
ziehen die Schlinge um den Hals der Menschen immer enger. Kunstdünger
und Pestizide, auf denen Anweisungen stehen, die die Bauern nicht lesen
können, treiben diese in den totalen Ruin oder in den Suizid. Im
Gegensatz dazu findet man tiefgläubige Menschen, die selbstlos nach
einem Zyklon Leichen und Kadaver einsammeln und mit Kalk überschütten,
um sie dann zu verbrennen. Oder die vielen spirituellen Menschen, die
auf der Suche nach dem Glück und der Erleuchtung asketisch und enthaltsam
leben, um ihre Energie weiterzugeben, und die für den Frieden kämpfen.
Faszinierend geschriebene Reportagen, die tiefe Einblicke in traditionelle
Werte und eine moderne globalisierte und gegensätzliche Welt gewähren.
Für Bibliotheken ausgezeichnet geeignet.
Helmut Krätzl: Eine Kirche, die Zukunft hat
: 12 Essays zu scheinbar unlösbaren Kirchenproblemen
/ Helmut Krätzl. - Graz : Styria, 2007. - 200 S. -
ISBN 978-3-222-13224-7
fest geb. : ca. € 24,90
Das Vermächtnis eines aus dem Amt scheidenden Bischofs. (PR)
Heiße Eisen der Kirche anzusprechen, hat sich Bischof Krätzl
nie gescheut. In seinem neuesten Buch, das er anlässlich seines 30-jährigen
Bischofsjubiläums verfasst hat, greift er solche Kirchenprobleme
wieder auf: Priestermangel, Sakramentenpraxis, römischer Zentralismus,
Einfluss der Kirche auf die Politik, Ökumene, Fristenregelung und
anderes. Es sind Themen, zu denen die offizielle Kirche einen Standpunkt
vertritt, den ein Großteil des Kirchenvolkes nicht nachvollziehen
kann und um deren Dringlichkeit die Amtskirche genau weiß. Krätzl
redet nicht um den heißen Brei herum, sondern nennt sie beim Namen,
erörtert sie sachkundig unter verschiedenen Blickwinkeln und untersucht
sie auf ihre Wertigkeiten. Sein Standpunkt ist fundiert und ausgewogen
und er bemüht sich - ganz im Sinne des 2. Vatikanums - um den Dialog
mit den Menschen und der Welt von heute, indem er andere Meinungen und
Wege ernst nimmt, die Positionen, zu denen die Kirche im Verlauf dieses
Konzils gefunden hat, als Möglichkeiten anbietet und - wenn erforderlich
- weiterdenkt. Dabei wird deutlich, dass der Sprung der Kirche in die
Welt von heute, zu dem das Konzil angesetzt hat, "gehemmt" ausgefallen
ist (vgl. dazu das 1998 erschienene Buch des Autors "Im Sprung gehemmt",
Rezension s. bn 3/99, S. 351) und dadurch so manches bis heute ungelöste
Problem erst geschaffen wurde. So zielt das Buch in zwei Richtungen: Einmal
ist es ein Appell an die Kirchenverantwortlichen, den vom Konzil begonnenen
Weg einer Kirche, die nahe bei den Menschen ist, konsequent weiter zu
gehen und die Anliegen und Gedanken der Menschen ernst zu nehmen. Zudem
ist es eine Ermutigung des Kirchenvolkes, auf diesem Weg zu bestehen,
um im Miteinander neue Möglichkeiten zu finden. In diesem Sinne macht
Bischof Krätzl auf wenig spektakuläre, aber ermutigende Entwicklungen
in der Kirche aufmerksam, die er als Fingerzeige des Hl. Geistes verstehen
möchte, um der Kirche einen Weg zu weisen.
Nach den Bestimmungen des Kirchenrechtes wird Bischof Krätzl in absehbarer
Zeit emeritiert. Mit diesem Buch hält er noch einmal fest, was ihm
nach seiner jahrzehntelangen Erfahrung als Seelsorger und kirchlicher
Amtsträger unabdingbar ist für eine Kirche, die Zukunft hat:
einen Gott zu verkünden, der den Menschen nicht unmündig macht,
sondern ihm Verantwortung übertragen hat, der ihm nicht Lasten auferlegt,
sondern Talente gegeben hat, der ihn liebt und der jeden dazu braucht,
um seinen Willen zum Heil der Menschen zu verwirklichen (vgl. S. 194).
Bischof Helmut - vielen Dank!