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Buchtipps / 2006 / Dezember

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Sabine Neuffer : Das Papa-Projekt

/ Sabine Neuffer - Hamburg : Dressler, 2006. - 254 S. ISBN 3-7915-1410-5 ca. € 12,00

„Familie hat man, Freunde hingegen sucht man sich aus“, diese alte Weisheit stellt Nele auf den Kopf und beschließt die Familienplanung selbst in die Hand zu nehmen. Denn seit der Trennung ihrer Eltern ist viel Improvisationstalent im Zwei-Damen-Haushalt der Familie Bach gefragt, gilt es doch die Bedürfnisse einer frechen Elfjährigen mit jenen einer vollbeschäftigten Mutter unter einen Hut zu bringen. Mit Humor, flotten Sprüchen und einer gehörigen Portion Romantik wird fortan die Mission Papa in Angriff genommen – potentielles Angriffsziel dafür bieten der charmanten Ron Werferling samt Sohn. Und wer so intensiv mit der Zukunft beschäftigt ist, dem gelingt es auch, die Schatten der Vergangenheit zu vertreiben ... Neben kurzweiliger Unterhaltung und frechen Dialogen bleibt in diesem Kinderroman auch noch Platz für leise und kritische Zwischentöne, die familiäre Lebensmodelle ins Gespräch bringen. Zu empfehlen ab 9 Jahren.

Martina Rényi / STUBE

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Dietrich Steinwede: Martin Luther

: Leben und Wirken des Reformators / Dietrich Steinwede - Düsseldorf : Patmos, 2006. - 140 S. : Ill. (z. T. farb.) - ISBN 3-491-79753-5 fest geb. : ca. € 15,40

Die Lebenszeit Martin Luthers ist in diesem detailreichen Sachbuch in die historischen Koordinaten jener großen, alles in Frage stellenden Wende aus dem Mittelalter in die Neuzeit gestellt: Von der Entdeckung „Westindiens“ und der Einführung des Buchdrucks reichen die Veränderungen grundlegender Lebensbereiche bis zu den völlig neuen Perspektiven in Kunst und Architektur eines Leonardo da Vinci, Raffael und Michelangelo, eines Dürer und Cranach. Die neue Geldwirtschaft stärkt das Bürgertum, der Humanismus unterstützt individuelles Denken. Der aufkommenden Kritik an einer erstarrten „alten“ Kirche wird noch mit einer Hochblüte der Inquisition begegnet. Inmitten verschiedenster kirchlicher Reformationsbestrebungen werden die außergewöhnliche Person und Schaffenskraft Martin Luthers und seine Entwicklung zum revolutionären Neuerer nachgezeichnet – und auch anhand zahlreicher Abbildungen und Gemälde analysiert. Steinwede gelingt das umfassende Porträt einer weltgeschichtlich bedeutsamen Gestalt, das persönliche Anfechtungen und historisch-kritische Analyse nicht auszusparen braucht. Zu empfehlen ab 14 Jahren.

Inge Cevela / STUBE

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Julian Schutting: Übereinstimmungen

/ Julian Schutting. - St. Pölten : Residenz-Verl., 2006. - 172 S. - ISBN 3-7017-1458-4 / 9783701714582 fest geb. : ca. € 17,90

Inspirierte Alltagsbetrachtungen. (DR)

Unablässig nimmt das Bewusstsein Eindrücke auf und produziert Assoziationen, die dem individuellen Mikrokosmos entspringen. In diesem Fall verdichtet ein sehr sensibles Ich das Wahrgenommene und macht es zu Ausgangspunkten für Gespräche und Fragen, die an ein sehr geliebtes Du gerichtet werden. Ja es ist wohl so, dass manches, was dem Ich durch den Kopf geht, ohne diese Erfülltheit vom Du gar nicht so erlebt worden wäre. Was der Autor in diesem Band an Übereinstimmungen findet, ist weder "romantisch" noch "schwärmerisch". Es sind Alltagsbetrachtungen, gefiltert durch einen äußerst kritischen, gebildeten aber auch sehr wohlmeinenden und humorvollen Geist. Behutsam und liebenswert birgt Schutting Unscheinbares, Unbeholfenes oder auch Skurriles in seinen Aufzeichnungen. Da geht es zum Beispiel um Preisschilder in einem Modegeschäft der Wiener Vorstadt, um Gespräche von Passanten in öffentlichen Verkehrsmitteln, um gemeinsame Spaziergänge, um Kühe und Hunde, um Musik, um absurde Fragen auf Formularen - also durchaus Alltägliches. Es ist aber schon so, dass die Bezogenheit auf die Geliebte das Erlebte und Erzählte zum Leuchten bringt. Sehr berührend ist der Mut dieses doch sehr scheuen und diskreten Autors, hin und wieder den so genannten "hohen Ton" anzuschlagen und mit Emphase von seiner Liebe zu sprechen. Erwähnt sei hier nur eine Stelle, die von den Überlegungen der Liebenden, wer von ihnen wohl zuerst sterben würde, handelt: "Und wenn ich trotzdem vor dir - Bitte! in diesem undenkbaren Fall lege ich mich zu dir, wärme dir die Hände, es ist da ja Winter, bleibe drei Tage und drei Nächte bei dir liegen, raffe mich dann auf, dich in wärmende Decken zu hüllen und auf einen Schlitten zu setzen, na und dann ziehe ich mit dir nordwärts, dem Frühling davon, bis wir im ewigen Gletscher- und Nordlandeis eine Schlafstätte gefunden haben, aus der uns nichts mehr aufstört!" Wunderschön, sehr zart, sehr intensiv, eine intellektuell und emotional berührende Lektüre.

Ingrid Kainzner / biblio

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Dara Horn: Die kommende Welt

: Roman / Dara Horn. Aus dem Amerikan. von Christiane Buchner und Miriam Mandelkow. - Berlin : Berlin-Verl., 2006. - 383 S. - ISBN 3-8270-0629-5 / 9783827006295 fest geb. : ca. € 22,70

Der Diebstahl eines wertvollen Gemäldes als Ausgangspunkt einer jüdischen Familiengeschichte. (DR)

Benjamin Ziskind, ein etwas wunderlicher junger Mann, entdeckt am Rande einer Single-Party im Jüdischen Museum in New York ein Bild von Chagall, das er, nachdem er es als ehemaliges Familieneigentum erkannt hat, kurzerhand abhängt und mit nach Hause nimmt. Die junge Kuratorin Erica identifiziert Benjamin bald als Hauptverdächtigen. Sie beschwört Ben, das Bild zurückzugeben. Obwohl Ben die junge Dame sehr anziehend findet, lässt er sich nicht dazu überreden. Fest entschlossen das Bild zu behalten, beginnt er gemeinsam mit seiner Schwester Sara, Pläne zur Fälschung zu schmieden. Die Autorin entwirrt nach und nach das Labyrinth rund um die Geschichte des Gemäldes, die ins russische Malachowka des Jahres 1920 zurückreicht. Bens Großvater lernte unter tragischen Umständen den später gefeierten Maler Chagall kennen und kam in den Besitz des Bildes. Dara Horn präsentiert den LeserInnen ein bunt- irrwitziges und gleichzeitig zutiefst ernstes Geschichtenmosaik rund um die Familie Ziskind. Ein Roman auf mehreren Ebenen, der die LeserInnen in phantasievolle Welten entführt. Hier wird mit viel Liebe und geradezu unbekümmert fabuliert - das Erzähltalent Dara Horns vermag die LeserInnen auf vielfältige Weise zu erstaunen und verzaubert mit jiddischem Esprit.

Barbara Rieder / biblio

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Thomas Glavinic: Die Arbeit der Nacht

: Roman / Thomas Glavinic. - München : Hanser, 2006. - ISBN 3-446-20762-7 / 9783446207622 fest geb. : ca. € 22,10

Apokalyptisches Szenario, Lesegrauen inkludiert. (DR)

Die Rezensentin ist gefährdet, sich in Lobpreisungen zu verlieren, so angetan ist sie von diesem Buch. Was tut ein junger Mann, Jonas, ohne nennenswerte Eigenschaften, wenn seine gewohnte Umgebung ein riesiges Defizit aufweist - es gibt keine Menschen mehr. Über Nacht. Aus dem Radio tönt Rauschen, der Fernsehschirm bleibt dunkel, die Zeitung liegt nicht vor der Tür. Das gewohnte Leben bricht ab, aber warum? Ist eine nukleare Katastrophe passiert? Hat man evakuiert und auf Jonas vergessen? Jonas, eigentlich ein Anti-Robinson, streift durch Wien, bricht in Gasthäuser und Supermärkte ein, versucht dem Rätsel auf die Spur zu kommen, indem er Botschaften verteilt und Videokameras installiert, um vor allem die Nacht, die zerstörerische Kraft der Nacht zu kontrollieren. Was er auf den Bändern hört und sieht ist beunruhigend, erzeugt Furcht, wie auch seine Träume immer bedrohlicher werden. Jonas flüchtet in anarchische Aktionen der sinnlosen Zerstörung, die schleichende Verzweiflung lässt sich jedoch nicht aufhalten. Der Verlust Maries, seiner großen Liebe, zeigt ihm sein ganzes Unglück auf. Jonas und die Videokameras schauen zu - es wird nichts erklärt, nichts gedeutet. Die LeserInnen werden in die Paranoia hineingezogen, können nicht mehr aufhören zu lesen, bis die Geschichte zu Ende ist - und lassen die Nachttischlampe eingeschaltet. Thomas Glavinic hat Marlen Haushofers "Die Wand" nicht gelesen, ist auch nicht wichtig, er hat in seinem Roman eine heutige, männliche Gegenfigur meisterhaft geschaffen.

Liselotte Leikermoser / biblio

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Willy Puchner: Illustriertes Fernweh

: vom Reisen und nach Hause Kommen / Willy Puchner. - München : Frederking & Thaler, 2006. - 143 S. : überw. Ill. (farb.) ; 28,5 cm - ISBN 3-89405-389-5 / 9783894053895 fest geb. : ca. € 30,80

Das Flüchtige von Reiseeindrücken sucht von jeher nach Formen des Festhaltens und Mitteilens. Maria Merian hat gemalt, Alexander von Humboldt dokumentiert, Bruce Chatwin beschrieben, Goethe Tagebuch geführt und Inge Morath fotografiert. Willy Puchner macht all das auch. Nicht nebeneinander und nicht hintereinander, sondern übereinander und ineinander wird gestaltet und geformt, beschrieben und belegt, entworfen und geträumt. Das Ergebnis sind Text- und Bildseiten mit einem dichten Verweissystem aus Erlebtem und Erspürtem. Hat man in sich die Ruhe, den Fäden dieses Netzes nachzugehen, so wird man unwillkürlich hineingezogen in ein verändertes Zeit- und Raumgefühl, das gleichermaßen irritiert wie fasziniert. Sieben Zielpunkte des Fernwehs sind es, die uns Willy Puchner aus einem künstlerischen Blickwinkel heraus vorstellt. Neben Portugal, Venedig, Jordanien, Indien, New York und Wien findet sich unter dem Titel „Flaschenpost“ auch eine große Liebeserklärung an das Meer. Ein Buch, das so ganz aus der Hochglanzwelt vertrauter Reisebildbände herausfällt. Ein wenig zeitverloren, richtungslos flanierend und dabei sehr persönlich und unverwechselbar. Ein Buch, das BibliothekarInnen Kopfzerbrechen beim Systematisieren bereiten will. Aber egal, ob sie es unter Reisen, Kunst oder Tagebücher freisetzen - von aufmerksamen LeserInnen wird es gefunden und als das wahrgenommen werden, was es ist: Eine kleine anachronistisch-moderne Rarität, die den Raum für veränderte Wahrnehmungen öffnet.

Reinhard Ehgartner / biblio

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Elisabeth Welzig: Leben und überleben

: Frauen erzählen vom 20. Jahrhundert / Elisabeth Welzig. Mit Fot. von Wolfgang Zajc. - Wien : Böhlau, 2006. - 288 S. : Ill. - ISBN 3-205-77336-5 / 9783205773368 fest geb. : ca. € 24,90

Bewegende biografische Kostbarkeiten von 26 österreichischen Frauen im 20. Jahrhundert. (GE)

Das Cover ist violett, Frauenkraft in den 26 Fotos (einfühlsame Fotografien von Wolfgang Zajc auch im Buch). Die Ahnung auf ein fröhliches oder eher nachdenkliches Naturell nimmt durch die lineare Darstellung der Lebensgeschichten Gestalt an. Vor dem geschichtlichen Hintergrund - der Krieg hat die Kindheit gestohlen und das Hungern gelehrt -, mit den unterschiedlichsten familiären Wurzeln werden im Heranwachsen Fähigkeiten entdeckt, die, zum Tragen gebracht, in die Politik, in die Wissenschaft, in die Landwirtschaft oder in die Literatur führen. Lebenswirklichkeiten treffen immer wieder auf soziales Engagement, teilweise verbunden mit großer Gefahr. Geschichte wird in den kleinen Entscheidungen des Menschen transparent gemacht. Religiöse Grundhaltungen und auch Wandlungen, familiäre Zerwürfnisse und Zusammenhalt, finanzieller Druck, berufliche Auseinandersetzungen und Erfolge spiegeln intensive Strömungen des Lebens, Erinnerungen, die Gefühle, Gerüche und Farben anschwellen lassen. Elisabeth Welzig ist eine geübte, behutsame Biografin, die es versteht, Lebensgefühle und Authentizität ihrer Persönlichkeiten in die Faszination Mensch münden zu lassen, sei es mit bekannten oder weniger bekannten Namen. Zitate der Interviewpartnerinnen fließen in den Text ein, jeweils eines fungiert als weisender Titel: "Ich weiß, das Leben ist ein ewiger Lernprozess." (Josefa Prelog). Einiges wird Spuren im Denken und Fühlen des Lesers hinterlassen. Leben findet statt!

Claudia Hufnagel-Zenz / biblio

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Udo Körner: Oasen der Ruhe

: 20 Bildmeditationen zu Advent und Weihnachten / Udo Körner. - Regensburg : Pustet, 2006. - 112 S. : Ill. ISBN 3-7917-2025-2 / 9783791720258 kart. : ca. € 13,30

Eine Einladung zur Betrachtung weihnachtlicher Bildmotive. (PR)

In einer außergewöhnlichen Tiefe erschließen die hier zusammengestellten acht Betrachtungen zum Advent und zwölf Betrachtungen zur Weihnachtszeit den Inhalt dieser Tage. Der Autor lässt sich dabei zumeist von Darstellungen der Romanik und der frühen Gotik inspirieren, die kaum bekannt und daher noch nicht - wie viele andere - "abmeditiert" sind. Durch ihre oft unerwartete Darstellungsweise und Symbolsprache kommen diese zudem den biblischen Quellen näher als so manches historisierende und ausufernde Bild späterer Zeit. Dem Verfasser gelingt es, in seinen Texten sowohl den Bibeltext und seinen Bezug zum Bild zu erläutern, als auch diesen in einen größeren biblischen Zusammenhang zu stellen und ihn für heute fruchtbar zu machen. Als besonders schöne Beiträge seien hierzu erwähnt jene über Johannes d. T. (S. 30ff), über den hl. Josef (S. 55ff) und jenen zu Ernst Barlachs Darstellung "Ruhe auf der Flucht" (S. 70ff), deren Thematik, wie bei manchen anderen auch, nicht nur auf die Weihnachtszeit beschränkt bleibt. Jede Betrachtung schließt mit einem Gebet ab. Ein schön gestaltetes Buch, das sich vor allem zur persönlichen Betrachtung eignet und das es auch wert ist, im Gottesdienst oder bei Advent- und Weihnachtsfeiern eingesetzt zu werden.

Hanns Sauter / biblio

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