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Buchtipps / 2006 / Oktober

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Karlsson/Erséus: Von Pippi, Michel, Karlsson & Co

: Astrid Lindgrens Filmwelt / Petter Karlsson ; Johan Erséus. Aus dem Schwed. von Dagmar Brunow. Hamburg : Oetinger, 2006. - 222 S. : zahlr. Ill. (Farbabbild.) - ISBN 3-7891-3405-8 / 9783789134050 fest geb. : ca. € 28,80

Einige von Astrid Lindgrens literarischen Werken über so einprägsame Figuren wie Ronja Räubertochter, Karlsson vom Dach und allen voran natürlich Pippi Langstrumpf wurden auch verfilmt – der vorliegende Band zeichnet die Entstehungsgeschichte dieser Verfilmungen nach. Dabei finden sich neben Informationen über die Einbeziehung der Autorin in die jeweiligen Filmprojekte und jede Menge ansprechendem Bildmaterial auch nette Anekdoten: So etwa die Tatsache, dass die Rumpelwichte in „Ronja Räubertochter“ nur mittels übergroßer Requisiten so klein erscheinen oder für „Madita“ nur jeweils kurze Einstellungen gedreht wurden, um den schauspielenden Kindern, die in fast jeder Szene dabei waren, das Text lernen zu ersparen. Kein Kinderbuch im engeren Sinn, aber ein schön gestaltetes Buch zum Schmökern für Filmfans verschiedener Altersstufen.

Kathrin Wexberg / STUBE

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Rodman Philbrick: Im Herzen des Sturms

/ Rodman Philbrick. Aus dem Amerikan. von Uwe-Michael Gutzschhahn- Ravensburg : Ravensburger Buchverl., 2006. - 188 S. - ISBN 3-473-35263-2 ca. € 13,40

In der Bibel, dann bei Hemingway und jetzt eben auch bei Rodman Philbrick: Das Motiv vom Riesenfisch, der unversehens aus der Tiefe empor kommt und das Schicksal eines einzelnen Menschen grundlegend verändert. Die Meeresriesen zu jagen und zu fangen, war für Skiffs Vater lange Zeit Arbeitsalltag, war er doch beim Thunfischfang einer der Treffsichersten mit der Harpune. Aber alles ändert sich grundlegend, als Skiffs Mutter krank wird und stirbt. Als wäre sein Antrieb damit verloren, gibt sich der Vater dem Suff und völliger Apathie hin. Für den 12-jährigen Skiff eine nicht bloß vorübergehende Katastrophe. Er muss mit seiner eigenen Trauer fertig werden und auch noch für den Vater Verantwortung übernehmen. Noch ist nicht seine ganze Liebe zu ihm aufgebraucht, noch hat Skiff Hoffnung auf die Veränderbarkeit der Dinge, noch findet er Zugang zu Menschen, die ihm helfen wollen. Wie zum Beispiel der alte Bootsbauer Mr. Woodwell – einer der wundervoll gezeichneten raubeinigen und fast wortlosen Charaktere dieses Buches. Wo Skiff seiner Überforderung – puncto Fähigkeiten und Reife – gerade noch Herr wird, zerbricht er beinahe am Verrat dessen, der ihm aus bloßer Fadesse und Überheblichkeit seine Reusen und damit seinen Verdienst zerstört. Um dennoch genügend Geld für die Reparatur ihres untergegangenen Fischkutters aufzubringen, entscheidet sich Skiff in seiner aussichtslosen Situation für das volle Risiko: In seinem lächerlich kleinen Boot bricht er heimlich zum Thunfischfang auf – für einen Bluefin-Thunfisch werden Rekordpreise erzielt. Die Einsamkeit auf dem Boot, die Lebensgefahr, der er sich ausgesetzt hat, und schließlich der Überlebenskampf gegen die Kräfte der Natur und des Fisches sind psychologisch feinfühlig, überzeugend und spannend erzählt. Die Erinnerungen an die Tatkraft der Mutter und an ihre Worte lassen ihn nicht aufgeben, ermöglichen die entscheidende Wende auch im Wachrütteln des Vaters. Es ist dem erzählerischen Können des Autors von „Freak“ zu danken, dass hier trotz teilweise aufkommendem Pathos keine Heldengeschichte vorgeführt wird, sondern eine Geschichte der Bewährung, die trotz vieler Rückschläge – die einem andere, aber man sich auch selbst versetzt – möglich wird. Sehr zu empfehlen ab 12 Jahren.

Inge Cevela / STUBE

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Abdulrazak Gurnah: Die Abtrünnigen

: Roman / Abdulrazak Gurnah. Aus dem Engl. von Stefanie Schaffer-de Vries. - Berlin : Berlin-Verl., 2006. - 349 S. ISBN 3-8270-0578-7 fest geb. : ca. € 23,60

Ein großer Familienroman zwischen Sansibar und London. (DR)

Der Versuch, individuelles Glück zu leben, und damit gegen jegliche Konventionen zu verstoßen, stürzt die Protagonisten in Gurnahs neuem Roman ins Verderben. Jamila verstößt, wie ihre Großmutter Rehana Jahrzehnte zuvor, gegen die Bräuche eines streng reglementierten Lebens und wird damit zum Opfer gesellschaftlicher Verachtung. Amin, der in Jamila die Liebe seines Lebens gefunden hat, wird gezwungen, ihr zu entsagen und zerbricht an diesem Verzicht. Die Sehnsucht der Liebenden liegt wie ein schwermütiger Schatten über dem gesamten Roman. Mit großem Einfühlungsvermögen entwickelt Gurnah die Geschichte seiner Helden vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Lebenssituation: dem kolonialen und postkolonialen Sansibar ebenso wie dem fremden England, in das Amins Bruder Rashid zum Studium emigriert. Er wird es auch sein, der viel später der unglücklichen Liebesgeschichte seines Bruders auf den Grund geht. Gurnah gelingt es in diesem Roman, allen Personen eine authentische Stimme zu geben, ihr Handeln verständlich zu machen, er wertet nicht und bezieht doch Stellung. Wie in seinen früheren Romanen nimmt der Autor auch hier Bezug auf seine ehemalige Heimat, macht die Kolonialherrschaft der Engländer auf Sansibar zum Thema und zeigt die schmerzvolle Ernüchterung, welche auf die Unabhängigkeit folgte. Gleichzeitig bringt er feinfühlig und ohne Anklage die Situation von afrikanischen MigrantInnen in England zur Sprache. Der Roman ist überaus lesenswert, erzählt er doch sensibel und gekonnt aus dem Blickwinkel des dort Geborenen von einem viel zu wenig bekannten Afrika, seiner Geschichte und den Menschen, die dort ebenso wie im Ausland ihr Glück versuchen.

Adelheid Schreilechner / biblio

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T. Coraghessan Boyle: Talk Talk

: Roman / T. Coraghessan Boyle. Aus dem Amerikan. von Dirk van Gunsteren. - München : Hanser, 2006. - 394 S. ISBN 3-446-20758-9 / 9783446207585 fest geb. : ca. € 19,90

Eine gehörlose junge Frau im Kampf gegen einen Betrüger. (DR)

Dana Halter fällt aus allen Wolken, als sie wegen einer einfachen Geschwindigkeitsüberschreitung in Handschellen abgeführt wird. Dass Dana taub ist, erschwert zusätzlich die Kommunikation mit den amtshandelnden Beamten. Doch schließlich wird ihr klar, dass man ihr weit schwerere Vergehen zur Last legt, die von Autodiebstahl über Drogenmissbrauch bis hin zum Angriff mit einer tödlichen Waffe reichen. Es dauert, bis auch den ermittelnden Beamten klar wird, dass jemand nicht nur Danas Kreditkarten, sondern gleich ihre gesamte Identität gestohlen hat. Und allmählich wird der tauben jungen Frau klar, dass die Polizei Verbrechen dieser Art für zu gering erachtet, als dass sie die Ermittlungen aufnehmen würden. Doch Dana ist eine Kämpferin. Als sie auf Grund der Vorfälle auch noch ihren Arbeitsplatz verliert, macht sie sich auf eigene Faust auf die Suche nach dem Betrüger. Der einzige, der ihr dabei hilft, loyal, wenn auch nicht immer sehr effizient, ist der Computer- und Filmfreak Bridger. T. C. Boyle zeichnet ein sehr vielschichtiges und stimmiges Bild einer zornigen jungen Frau, die ihr Leben lang gegen Vorurteile und Vorbehalte zu kämpfen hatte. Ihre Behinderung hat sie aber auch selber manchmal hart und ungerecht gegenüber anderen werden lassen. So fordert sie mehr als einmal von Bridger dessen bedingungslose Loyalität als Liebesbeweis, auch wenn das den Verlust seines Jobs und Schlimmeres zur Folge hat. Das spannende Katz- und Mausspiel zwischen Dana und dem jähzornigen Betrüger, der eine Vorliebe für Gourmet-Küche hat, besticht vor allem durch die genaue Charakterstudie der Protagonisten und hebt den Roman über einen einfachen Thriller hinaus. Allen Bibliotheken zu empfehlen.

Anita Ruckerbauer / biblio

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Evelyn Schlag: Architektur einer Liebe

: Roman / Evelyn Schlag. - Wien : Zsolnay, 2006. - 363 S. - ISBN 3-552-05388-3 / 9783552053885 fest geb. : ca. € 22,10

Blaupausen der Lebensgestaltung, der Grammatik unterschiedlicher Einsamkeiten. (DR)

Barbara Frischmuth hat mit ihrem Roman "Kai oder die Liebe zu den Modellen" einst Lebensmodelle vorgeführt und dabei die Frage nach Liebe, Einsamkeit und Verantwortung in alten und neuen Rollen gestellt. Evelyn Schlag scheint hier weiter zu erzählen, sie stellt eine starke, scheinbar autonome Frau in den Mittelpunkt ihres Romans: Vittoria Monti - Italienerin, Vorbild junger Studentinnen und von der Familie liebevoll Toria genannt - verliebt sich bedingungslos und stellt damit ihren Lebensplan in Frage. Welche Sprache verbindet die beiden Liebenden, wie darf die Ex-Frau über ihre Ex-Schwiegermutter witzeln, welche Ansprüche haben Kinder, wie viel Verantwortung tragen Väter für ihre Kinder? Evelyn Schlag zeigt ein offenes Haus, zeigt Menschen auf ihren Wegen zwischen den Grenzen des Gewohnten und des Gewünschten, Erträumten. Dazwischen drappiert die Autorin die simple Realität, die Anrufe der Mutter zwischen Argwohn, Demenz und Wohlwollen, ein Geheimnis, das sich langsam aus seiner Verkleidung schält. Ja, eine neue Liebe zu neu-alten Modellen, wieder ein wichtiges Buch für alle Öffentlichen Bibliotheken und Literaturkreise, das in seiner Radikalität überzeugt: "Es ist mir egal, wer uns gezeugt hat. Ich verantworte mich schon selbst."

Christina Gastager-Repolust / biblio

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Frank McCourt: Tag und Nacht und auch im Sommer

: Erinnerungen / Frank McCourt. Dt. von Rudolf Hermstein. - München : Luchterhand, 2006. - 331 S. ISBN 3-630-87239-5 / 9783630872391 fest geb. : ca. € 20,60

Autobiografisches eines ungewöhnlichen Lehrers. (BO)

Bevor Frank McCourt als Autor von "Die Asche meiner Mutter" weltweit bekannt wurde, unterrichtete er dreißig Jahre an verschiedenen New Yorker Schulen. An die 12.000 SchülerInnen kamen in den Genuss seiner außergewöhnlichen Didaktik. McCourt, selbst ein Einwanderer (wenngleich auch in New York geboren und wieder nach Irland zurückversetzt), der unbedarfte Junge aus Limerick, negativ geprägt von seiner katholisch-irischen Vergangenheit in Armut und Schande, wird nach seiner Zeit bei der amerikanischen Army Lehrer und unterrichtet wiederum hauptsächlich Kinder von Einwanderern der ersten oder zweiten Generation. Gegen so manche pädagogische Ratschläge und Erkenntnisse vermittelt er jedoch nicht nur Stoff, sondern vor allem Geschichten aus seiner Biografie: von der irischen Kindheit über die Zeit bei der Army bis zu seinen Arbeitserfahrungen als Hafenarbeiter. Mit diesen Geschichten fesselt er nicht nur seine SchülerInnen, er macht das Klassenzimmer damit auch zu einem Ort höchster Dramatik und auch der Ermutigung - gerade als er später kreatives Schreiben unterrichtet, bei dem er ihnen zu ihrer Stimme und zum Bewusstsein ihrer eigenen Bedeutung verhilft. - Anschaulich, plastisch und vergnüglich. Mit interessanten Einblicken in die multikulturelle amerikanische Gesellschaft. Besonders LehrerInnen empfohlen - gegen Bildungsstandardsfetischismus. Mit herrlichen Anregungen zum Unterrichten und zum Schreiben.

Fritz Popp / biblio

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Roland Girtler: Ein Lesebuch

: das Beste vom vagabundierenden Kulturwissenschafter / Roland Girtler. Textauswahl von Traude und Wolfgang Fath. - Wien : Böhlau, 2006. - 307 S. - ISBN 3-205-77492-2 / 9783205774921 fest geb. : ca. € 19,90

Festschrift zum 60. Geburtstag von Roland Girtler. (GS)

Es handelt sich hierbei um eine Auswahl von Texten aus dem umfangreichen Werk des Wiener Universitätsprofessors Roland Girtler, die einlädt, mit dem untrüglichen Blick des vagabundierenden Kulturwissenschaftlers auf eine Reise in die Zeitgeschichte und in die Gesellschaft zu gehen. In sechs großen Abschnitten erfährt man lesend von der "Enge und Strenge" des alten Schulsystems in Österreich, erlebt man "Not und Leidenschaft" im Spannungsfeld zwischen den Wilderern und den Jägern oder lernt man im "Schatten des Pfarrhofes" dessen bedeutsame Funktion für die Gemeinschaft kennen. Man begleitet den Professor auf seinen kulturgeschichtlichen Forschungen als passionierten Herrenreiter auf dem Drahtesel, wenn er "mit dem Fahrrad zum heiligen Franziskus" unterwegs ist, oder wird im Abschnitt "Zwischen Gut und Böse" zur Auseinandersetzung mit einfachen Wahrheiten eingeladen. Das Schlusskapitel erzählt "vom einfachen Leben auf dem Lande" und seinen Wandlungen bis in die Gegenwart. Wahrlich ein Lesebuch der besonderen Art, prall gefüllt mit nostalgisch anmutenden Geschichten, die jedoch ein Teil österreichischer Alltagskultur bis weit ins 20. Jahrhundert gewesen und wert sind, aufmerksam gelesen zu werden.

Jutta Kleedorfer / biblio

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Thomas Dienberg: Einlassen

: die christliche Kunst des Betens / Thomas Dienberg. - Stuttgart : Kath. Bibelwerk, 2006. - 152 S. ISBN 3-460-32110-5 / 9783460321106 kart. : ca. € 13,30

Mit der Kunst des Betens Gott in das eigene Leben "einlassen". (PR)

Der Autor dieses sehr lebensbezogenen und praktischen Büchleins über die christliche Kunst des Betens ist Rektor an der vom Kapuzinerorden getragenen Philosophisch-Theologischen Hochschule Münster (PTH). Dienberg hat bereits zahlreiche Bücher verfasst, seinen auf das Leben des Einzelnen und die Gesellschaft gerichteten, engagierten Blick über den theologischen Tellerrand hinaus zeigte er bereits in dem Band "Loslassen. Die christliche Lebenskunst". In "Einlassen" beschreibt er, ohne das Band mit den überkommenen Traditionen zu durchtrennen, Wege für den modernen Menschen, unter Zuhilfenahme der Kunst des Betens Gott in das Leben "einzulassen". Nachdem sich der Autor erst eingehend mit den vielen Gebetsfragen, die sich immer wieder denselben existentiellen Fragen und Nöten widmen, beschäftigt hat, beschreibt er die Grundlagen des christlichen Gebetes: Bibel und das Beten Jesu. Daran schließt eine äußerst spannend zu lesende Entwicklungsgeschichte des Betens von der Zeit des Neuen Testaments bis hin zur Gegenwart an. Dienberg konkretisiert Formen und Haltungen des Betenden an der Haltung des Heiligen Franziskus: Franziskus ist der Beter, dessen Leben zum Gebet geworden ist. Ist mein Leben Gebet? Viele Kapitel dieses Büchleins, das zum Nachdenken über das Gebet einlädt, schließen mit Fragen ab, die den Leser dazu anhalten wollen, innezuhalten, um sich noch einmal mit dem Gelesenen zu konfrontieren und auf das eigene Leben zu schauen. Dienberg hat ein Buch voll Spiritualität über die Entwicklung der Kunst des christlichen Betens geschrieben. Durch Inhalt, Sprache und didaktischen Aufbau eignet es sich ausgezeichnet für den Einsatz in der Gemeinde und in Schulen (katholisch und evangelisch) sowie zur persönlichen Vertiefung.

Günter Brandorff / biblio

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