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Buchtipps / 2005 / November

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Katherine Hannigan : Ida B. und ihre Pläne, so viel Spaß wie möglich zu haben, Unheil zu vermeiden und (eventuell) die Welt zu retten

/ Katherine Hannigan. - München : cbj Verlag, 2005. - 185 S. Aus dem Amerikan. von Uwe-Michael Gutzschhahn. - ISBN 3-570-12972-1 fest geb. : ca. € 13,30

Ida B.s kleine Welt ist ihr Paradies: Sie verbringt unbeschwert die Zeit auf der Farm ihrer Eltern und schmiedet zusammen mit der Speichelfabrik Rufus die großartigsten Pläne für die Zukunft. Ihre besonderen Freunde – Bäume mit klingenden Namen wie Bernice, Jaques Cousteau, Punker Pauli und Heinrich IV – werden dabei immer zu MitwisserInnen. Wenn aber guter Rat teuer ist, vertraut sie lieber auf die Stimme des Baches. In die Schule ist Ida B. nicht einmal drei Wochen lang gegangen. Ein furchtbarer Platz, findet sie, an dem nie richtig Zeit bleibt für das, worauf man gerade Lust hat. Ida B.s einzig wahre Sorge bleibt also lange Zeit die Frage, wie Limabohnen und Rosenkohl als Mittagsmahl verhindert werden können … Doch selbst als Ida B.s Welt ernsthaft aus den Fugen gerät, weil ihre Mutter erkrankt, ein Teil der Farm verkauft und Ida B. zur Schule gehen soll, lässt Ida B. sich in ihrer humorvoll erzählten Geschichte nicht unterkriegen und schmiedet den perfekten Plan, um Unheil zu vertreiben. Zu empfehlen ab 9 Jahren.

Ines Wagner / STUBE

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Isabel Abedi : Whisper

/ Isabel Abedi. Würzburg : Arena, 2005. - 275 S. - ISBN 3-401-05369-8 fest geb. : ca. € 13,90

Spätestens seit dem Kult-Geisterfilm „The Sixth Sense“ wissen wir, dass es tote Menschen um uns herum gibt und die meisten von ihnen noch was zu erledigen haben. Doch dafür werden Lebende gebraucht und so wartet auf Noa der Geist von Eliza, die vor 30 Jahren ermordet wurde. Die bis dato ungeklärte Tat geschah nämlich am Dachboden des uralten Hauses, in dem Noa mit ihrer Mutter, einer berühmten Schauspielerin, die Ferien verbringt. Schon beim ersten Betreten des Hauses liegt etwas Unheimliches in der Luft - die Ich-Erzählerin ist irritiert: „Ja, es duftet… nach Parfüm, […], als wäre jemand gerade an Noa vorbeigegangen.“ Beim Gläserrücken mit dem süßen Jungen aus dem Dorf meldet sich dann der Geist von Eliza, deren Tagebucheintragungen darüber hinaus am Anfang jedes Kapitels notiert sind. (Das Tagebuch selbst findet Noa erst viel später.) Die LeserInnen erfahren so schon etwas mehr über die möglichen Täter und die mögliche Tat – ohne deswegen mehr zu wissen. Im Dorf stoßen die beiden Jugendlichen bei ihren Nachforschungen auf Schweigen, Ablehnung, Ausflüchte und so manchen Abgrund in der ländlichen (Schein-)Idylle. Ohne große Schockmomente bemühen zu müssen, hält der Roman durchgehend die Spannung und schafft eine Atmosphäre, der man sich nur schwer entziehen kann. Miterzählt werden dabei eine schwierige Mutter-Tochter-Beziehung und natürlich die erste große Liebe. Zu empfehlen ab 13 Jahren.

Tina Reiter / STUBE

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Andrea Grill: Der gelbe Onkel

: ein Familienalbum / Andrea Grill. - Salzburg : O. Müller, 2005. - 132 S. - ISBN 3-7013-1105-6 fest geb. : ca. € 15,00

Ein Streifzug durch ein loses Beziehungspanoptikum. (DR)

Die junge österreichische Schriftstellerin Andrea Grill wagt es, einen "unfertigen" Text zu liefern. Wie der Untertitel verrät, führt die Autorin durch ein Familienalbum, sie schlägt es auf und erzählt zu den Fotos Lebens- und Beziehungsgeschichten, die ganz unterschiedlich geprägt sind. Wahrscheinlich hat das Album am Ende noch leere Seiten, die beliebig gefüllt werden könnten, das schmale Büchlein hört so abrupt auf, wie das Alben eben zu tun pflegen. Was ist das Besondere an diesen "short cuts"? Sie sind aus der Perspektive einer Ich-Erzählerin geschildert, sind daher auch immer mit ihr verbunden. Sie ist ein Beziehungsmensch, was sie erzählt, ist nicht eine lineare Lebensgeschichte, sondern ist das, was sie mit dem jeweiligen Menschen - von den beiden Großmüttern über einen unechten Großvater hin zu Kusins und Tanten sowie Nachbarn und Kollegen - verbindet bzw. verbunden hat. Sie verliert sich dabei nicht, macht aber das Spezifische im Leben der dargestellten Person immer deutlich. Menschenliebe ist spürbar, der Wunsch nach Verstehen, vielleicht auch nach mehr Nähe als die, die es gegeben hat. Behutsam werden Wunden im Erinnern gepflegt, der Krieg, der das Leben einer der Großmütter geprägt hat, oder die Liebe des alternden Onkels zu einem jungen Mann. Reflexionen über Gott, Religionen und den Sinn des Lebens sowie über das, was Familie ausmacht, ziehen sich durch alle Lebensbilder. Der Text einer Beobachterin mit einer feinfühlig differenzierten Sprache.

Martina Lainer / biblio

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Catherine Texier : Victorine

: Roman / Catherine Texier. - München : Luchterhand Literaturverl., 2005. - 431 S. - Aus dem Amerikan. von Irene Rumler ISBN 3-630-87180-1 fest geb. : ca. € 23,60

In Frankreich und Indochina angesiedelter, atmosphärisch dichter Liebesroman über ein unkonventionelles Frauenleben im 19. Jhdt. (DR)

Inspiriert von der Biografie ihrer eigenen Urgroßmutter, die gegen Ende des 19. Jhdts. für eineinhalb Jahre verschwand, erzählt die heute in Amerika ansässige Autorin Catherine Texier mittels raffinierter Retrospektiven die zartbittere Liebes- und Lebensgeschichte einer selbstbewussten, kompromisslosen Frau, die sich des strengen gesellschaftlichen Korsetts der damaligen Zeit zu entledigen versucht. Ein alter Überseekoffer weckt in der mittlerweile betagten Victorine Erinnerungen an ihr früheres Leben. Gegen Ende des 19. Jhdts. begegnet die in einem kleinen französischen Dorf in der Vendée verheiratete junge Lehrerin ihrer großen Jugendliebe Antoine wieder. Ohne Abschied verlässt sie Ehemann und Kinder, um sich mit ihrem Geliebten in den fernen französischen Kolonien Indochinas eine neue Existenz jenseits aller Konventionen aufzubauen. Doch Antoine fällt es schwer, beruflich Fuß zu fassen, immer häufiger ist er Gast in Saigons Opiumhöhlen. Liebe, Leidenschaft und Freiheit fordern auch von Victorine ihren Preis: Schuldgefühle und Heimweh lassen sie nicht los. Die leuchtkräftige Bildersprache, die reizvolle Mischung der Schauplätze - einerseits die beschauliche Landschaft an Frankreichs Atlantikküste, andererseits das exotische Flair Indochinas - sowie der subtil herausgearbeitete Gewissenskonflikt einer zwischen zwei Welten hin- und hergerissenen Frau machen den besonderen Charme dieses gut übersetzten Romans aus. Catherine Texier stellt ihre Protagonistin und die LeserInnen immer wieder vor die Frage, ob das eigene Schicksal wählbar ist oder der Mensch sich ihm fügen muss. Die Lektüre enthält eine klare Botschaft: "Wir haben nur ein Leben. Hier und Jetzt, alles andere ist unwirklich." Vermutlich wird "Victorine" aufgrund der Thematik und der gefühlsbetonten, aber keineswegs kitschigen Schreibweise vorwiegend die weibliche Leserschaft begeistern und ist dieser als durchwegs niveauvolles Lesefutter mit Esprit sehr zu empfehlen!

Elisabeth Zehetmayer / biblio

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Edward P. Jones: Die bekannte Welt

: Roman / Edward P. Jones. - Hamburg : Hoffmann und Campe, 2005. - 448 S. - Aus dem Amerikan. von Hans-Christian Oeser ISBN 3-455-03696-1 fest geb. : ca. € 22,70

Fesselndes Porträt von Auf- und Niedergang eines SklavInnenbesitzers. (DR)

SklavInnen konnten sich im Virginia des 19. Jhdts. von ihrem Elend frei kaufen - mit Glück und Gespartem, das viele nie haben sollten. Augustus Townsend verdankt es seiner handwerklichen Geschicklichkeit, dass er nach und nach sich, seine Frau Minerva und nach langen Jahren ihrer beider Sohn, Henry, die Freiheit erkaufen kann. Und Henry? Er wird als junger Mann selber Plantagen- und SklavInnenbesitzer - zur maßlosen Enttäuschung seiner Eltern. Edward P. Jones Erzählen kreist um die Townsend-Plantage und die mit ihr verknüpften Schicksale geschundener und geschobener Menschen, die im Wirrwarr menschenverachtender Rasseregeln irgendwie zu leben versuchen. Der meisterhafte, mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Roman verstört, bewegt und weitet den Blick für die satte Vielfalt sprachlicher Virtuosität. Unbedingt eine Anschaffung wert.

Daniela Galehr / biblio

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Arita Baaijens: Wüstennomaden

: als Frau mit Kamelen durch den Sudan / Arita Baaijens. - München : Malik, 2005. - 250 S. : Ill. (farb.), Ktn. - Aus dem Niederländ. von Verena Kiefer. - ISBN 3-89029-293-3 fest geb. : ca. € 20,50

Die Abenteuerreisen einer Frau durch den Nordwesten des Sudan. (ER)

Mit Kamelen durch die Wüsten Afrikas zu ziehen, diesen Lebenstraum erfüllte sich die Niederländerin Arita Baaijens. Sie berichtet, wie sie, die alljährlich mit Kamelen durch Ägypten zog, mit Hilfe von angeheuerten Begleitern, gewappnet mit Kompass und historischen Karten, unter großen Entbehrungen die heute sehr gefährliche, Jahrtausende alte Karawanenroute "Darb el Arbain" bewältigte. Trotz bürokratischer Hindernisse, kultureller Unterschiede und manch Unstimmigkeiten mit dem Begleitpersonal schafft sie den 1.200 Kilometer langen "Weg der Vierzig Tage" vom Norden des Sudan bis ins ägyptische Niltal. Im letzten Abschnitt des Bandes beschreibt sie eine zweite, extrem strapaziöse Tour, wo sie wiederum von El Fasher aus eine Karawane mit Schlachtkamelen gegen Bezahlung bis Ägypten begleitet und sich den Respekt der Nomaden erwirbt. Beide Berichte, die mit einem gebündelten Fototeil bestückt sind, liefern anschauliche Informationen über die Geschichte des Landes, die heutigen Zustände im Krisen geschüttelten Sudan, die Lebensverhältnisse und Überlebensstrategien der Wüstenbewohner. Die Autorin hebt lobend die ökonomischen Netzwerke der Stämme in den Dürregebieten hervor und übt Kritik an den Aktionen der Hilfsbranche, deren Hilfsgüter nur zu einem Bruchteil bei den Ärmsten der Armen landen. Der Band, der deutlich macht, wie schwierig es ist, abendländische und orientalische Mentalitäten in Einklang zu bringen, wird in jeder Bibliothek die "Reiseecke" bereichern.

Christine Stöglehner / biblio

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Diedier Méhu: Gratia Dei

: das Leben im Mittelalter / Diedier Méhu. - Freiburg i. Br. : Herder, 2005. - 220 S. : zahlr. Ill. - Aus dem Franz. von Nikola von Nerveldt in Zusammenarbeit mit Annet Schütt. - ISBN 3-451-28423-5 fest geb. : ca. € 41,10

Wunderschöne Darstellungen zum Leben im Mittelalter. (GE)

In diesem Band wird der Leserschaft vielfältig Einblick in das Leben und die Kultur des Mittelalters geboten. Wie sehr man sich - quer durch alle Schichten - in allen Lebenslagen als von der Gnade Gottes (gratia Dei) abhängig wusste, wird in den eindrücklichen Schilderungen und anhand prächtiger zeitgenössischer Abbildungen vor Augen geführt. So erfährt man hier, was das mittelalterliche Denken von der Wiege bis zur Bahre geprägt hat. In anschaulicher Weise erhält man einen Überblick von der Besiedelung bis zur Organisation des Lebens am Land. Die auf allgemeine Verständlichkeit ausgerichteten Texte machen auch Normalverbraucher etwa mit Untertänigkeit und vielen alltäglichen Selbstverständlichkeiten der Vergangenheit vertraut. Mit Neugier folgt man den Ausführungen zum Leben der Händler und Kaufleute im städtischen Treiben, die schon damals internationale Kontakte pflegten. Kirchliches Leben und Denken wird im Kapitel über Autoritäten klar und verständlich dargestellt. Auch Könige und Adlige erhalten hier breiten Raum, wie es ihrem Einfluss auf Land und Leute entsprach. Das inhaltliche Spektrum umfasst faktisch alle Lebensbereiche und stellt u. a. auch die damalige Bildung, Entstehung des Buchdruckes, Musik und Architektur näher vor. Ein wunderschönes Sachbuch zum Leben im Mittelalter, welches uns an das Fundament zum Heute führt.

Norbert Allmer / biblio

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Gianfranco Ravasi: Hiob

: der Mensch im Leid / Gianfranco Ravasi. - 127 S. - München : Neue Stadt, 2005. - (Spiritualität). - Aus dem Ital. von Stefan Liesenfeld ISBN 3-87996-647-8 fest geb. : ca. € 15,40

Eine griffige Einführung und Deutung des Buches Hiob. (PR)

Die Fragen nach dem Leid, nach dem Zusammenhang von Leid und Schuld, nach dem Leid Unschuldiger und der Rolle Gottes bewegen die Menschheit seit Jahrtausenden. Im Buch Hiob werden sie diskutiert und ausgelotet. Der durch Veröffentlichungen zu zahlreichen anderen biblischen Themen bekannt gewordene italienische Exeget gibt hier einen Überblick über den Aufbau, die Hauptthemen und -motive des Buches Hiob und bezieht auch immer wieder Hiobliteratur anderer Zeiten und Autoren ein. Dabei stellt sich heraus, dass das biblische Buch aktueller und zeitnaher, sowohl in seinen Fragestellungen als auch in seinen Antwortversuchen, ist, als wir oft vorschnell annehmen ("der Dulder Hiob"). Es ist ein Buch für "Querdenker" und alle, die sich mit billigen Antworten nicht zufrieden geben. Eine spannende, dennoch leicht und mit großem Gewinn zu lesende Lektüre.

Hanns Sauter / biblio

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