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Buchtipps / 2005 / April

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Suzanne Collins: Gregor und die graue Prophezeiung

Aus dem Amerikan. von Sylke Hachmeister. Hamburg: Oetinger 2005, 302 S., € 13,90 ISBN 3-7891-3210-1

Altbekannte Kulissen in neues Licht zu rücken und neu zu arrangieren, darin besteht die Kunst der phantastischen Erzählung: Suzanne Collins hat das Kaninchenloch zu einem Lüftungsschacht umfunktioniert. Der Effekt – nach dem Sturz in einem fremden Land mit massiv veränderten Größenverhältnissen anzukommen – ist gleich geblieben; und aus Alice ist der elfjährige Gregor geworden, der seiner kleinen Baby-Schwester der Schwerkraft gehorchend ins Unterland nach stürzt. Dass er dort zu guter Letzt neben gigantischen Kakerlaken, Spinnentieren und flugtauglichen Fledermäusen auch seinen seit über zwei Jahren vermissten Vater in der Gefangenschaft von riesigen Ratten findet, vervollständigt die klassisch phantastischen Motive - zusätzlich zu den Gefährten, die sich gemäß einer schwierig zu verstehenden Prophezeiung (sic!) aus den verschiedenen Wesen zusammenfinden müssen - noch um die große Suche. Sensibel und unpathetisch entwirft Collins einen reichen unterirdischen Kosmos und erzählt, „wie sich’s gehört“: Spannend, dynamisch, unterhaltsam. Und zeigt mit der zweijährigen Boots eine entzückende und alle Herzen im Sturm erobernde Variante eines „Erlöserkindes“ vor, deren Charme bestenfalls Gregor widersteht. Nicht nur für ältere Brüder besonders geeignet ab 10 Jahren!

Inge Cevela / STUBE

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Marjaleena Lembcke: Die Fremde im Garten

Nagel&Kimche, 2005. 141 S., € 12,90 ISBN 3-312-00954-5

Der Garten als verwunschener Ort und Ort des Geheimnisses hat literarische Tradition – auch in der Kinder- und Jugendliteratur. Man denke nur an das klassische Beispiel von Frances Hodgson Burnett („Der geheime Garten“). Und auch in diesem Fall ist der Garten ein malerisch verfallener Ort, der an die Vergangenheit gemahnt und dessen Wiedereroberung einen Schritt in eine unbestimmte, aber neue Zukunft bedeutet. Kokkola in Finnland: Der Krieg ist fast 15 Jahre vorbei und doch geistern noch dessen Gespenster durch das grüne Haus, das Ich-Erzählerin Hillevi nur von außen kennt und dessen Geschichte(n) ihr vorenthalten werden. Der Garten hingegen ist ihr ein vertrauter Ort, an den sie sich zurückzieht, um alleine zu sein und sich in liebesromanartig ausgestaltete Welten zu träumen. Eines Tages jedoch kehrt die Besitzerin von Haus und Garten zurück: Viola. Die ältere Frau, die schwer an einem Leben trägt, über das im Kramerladen von Hillevis Eltern eigenwillige Gerüchte kursieren, und das 12jährige Mädchen, das im wörtlichen wie übertragenen Sinn an der Schwelle zum Frau-Sein steht, bleiben vorerst auf Distanz, freunden sich im Verlauf der ruhigen Erzählung aber zögernd an. Zur Grundlage ihres Zusammenseins wird das Malen, das schrittweise (künstlerische) Erfassen der Welt, der Realität und ihrer Erscheinungsformen und Deutungsmöglichkeiten. In leichtem, selbstironischen Ton lässt Marjaleena Lembcke ihre Protagonistin davon erzählen und gestaltet damit einen kleinen Ausschnitt einer Lebens- wie auch Zeitgeschichte aus. Zu empfehlen ab 13 Jahren. PS: Am 21. April wird Marjaleena Lembcke den Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis erhalten. Am Tag darauf wird Sie in der STUBE zu Gast sein und aus „Die Fremde im Garten“ lesen.

Heidi Lexe / STUBE

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Joyce Carol Oates: MIt offenen Augen

: die Geschichte von Freaky Green Eyes / Joyce Carol Oates. - München : Hanser, 2005. - 233 S. Aus dem Amerikan. von Birgitt Kollmann ISBN 3-446-20605-1 fest geb. : ca. € 16,40

Der Teenager Franky wächst in der Glimmerwelt der Film- und Fernsehschaffenden heran: Ein futuristisches Haus, eine schöne Mutter, eine kleinere Schwester und ein Hund gehören dazu. Der Vater, ein anerkannter und beliebter Sportjournalist, wird von seiner Tochter Franky verehrt und bewundert. Alles scheint perfekt, bis die Mutter eigene Wege gehen möchte. Das Bild von der wundervollen Vorzeigefamilie bekommt einen Riss, das Mädchen gibt der Mutter die Schuld daran. Die Ich-Erzählerin Franky versucht anfangs, durch ein Verdrängen und Zurechtbiegen der Tatsachen dem drohenden Absturz entgegen zu wirken, bis die Mutter vermisst wird und das Mädchen deren Tagebuch findet. Ein Teenager wird erwachsen, aber so, wie man es keinem jungen Menschen wünscht. Gewalt in der Familie, ein Leben nach den Vorgaben einer verlogenen Gesellschaft, Kinder, die das Vertrauen zu ihren Eltern verlieren - all dies versucht die Autorin mit einer behutsamen Härte zu offenbaren. Ein Marathonlauf der Gefühlsebenen: Nicht mehr Kind, noch nicht erwachsen und dazwischen ein tiefes Loch der Betroffenheit und Trauer. Franky hat aber einen starken Partner, ihr zweites Ich, Freaky Green Eyes, das ihr hilft, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, und ihr Schutz und Halt gibt. Ein Buch, das man atemlos liest und bei dessen Lektüre man gemeinsam mit dem Mädchen noch einmal so manche Höhen und Tiefen der jugendlichen Empfindungen durchlebt. Ein spannungsgeladenes und ergreifendes Jugendbuch, auch für Erwachsene oder gerade für sie!?

Ilse Hübner / biblio

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Andrea Camilleri: Das kalte Lächeln des Meeres

: Commissario Montalbano verliert die Geduld / Andrea Camilleri. - Bergisch Gladbach : Lübbe, 2004. - 283 S. Aus dem Ital. von Christiane v. Bechtolsheim ISBN 3-7857-1549-8 fest geb. : ca. € 18,50

Commissario Montalbano hat die Nase voll. Endgültig. Mit der korrupten Regierung hat er sich zähneknirschend abgefunden, aber dass nun auch seine Polizistenkollegen immer stärker in diesen Sumpf geraten, das hält er nicht aus. Mit diesem Verein will er nichts mehr zu tun haben und ist fest entschlossen zu kündigen. Da trifft er beim Schwimmen auf eine Wasserleiche und wenig später hat er ein seltsames Erlebnis mit einem schwarzen Flüchtlingskind. Für das Kündigungsansuchen beim Questore bleibt da beim besten Willen keine Zeit ... Getrieben von Schuldbewusstsein und Weltverachtung setzt Montalbano alles daran, die losen Fäden eines verzwickten Falls zu einem grausam-logischen Puzzle zusammenzuführen. Genauso mies wie die Hintergründe ist auch die Laune des Ermittlers und der Genuss von Köstlichkeiten aus der "cucina siciliana" kann da nur ein schwacher Trost sein. Zumal Montalbanos Lieblingslokal schließt und er gezwungen ist, sich nach einem neuen kulinarischen Zuhause umzusehen. Einmal mehr gelingt es Camilleri mit diesem Krimi, Unterhaltung ersten Ranges mit einer ordentlichen Portion Gesellschaftskritik zu verbinden - bei diesem Roman vielleicht besonders deutlich. - Höchst vergnüglich zu lesen, auch wenn das Lachen ob der traurigen Realität im Hals stecken bleibt. Ein Muss für jede Bibliothek und in jedem Fall ein Leckerbissen für alle Camilleri-Fans!

Sabine Krutter / biblio

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Gudrun Seidenauer: Der Kunstmann

: Roman / Gudrun Seidenauer. - Salzburg : Residenz Verl., 2005. - 223 S. ISBN 3-7017-1402-9 fest geb. : ca. € 19,90

Ein ehemaliger Nazi tritt 1945 in ein neues Leben ein. Er ändert seinen Namen und seine Identität. Er wird zu einem angesehenen Literaturwissenschafter, der unter dem Deckmantel seiner neuen Persönlichkeit die eigene, beschämende Vergangenheit abschütteln will. Doch der Betrug fliegt auf. Sein Assistent sucht nach Antworten, von denen er nicht weiß, ob er sie finden möchte. Misstrauen und Unsicherheit sind verständliche Reaktionen auf die Entdeckung einer solchen "Zweitbiografie" - doch wie soll man sich verhalten? Letztendlich muss sich jeder der Beteiligten auf seine Art mit der Vergangenheit auseinander setzen - und sich der Zukunft stellen. Die Geschichte zeigt, wie nahe Vergangenheitsbewältigung und eigene Identitätssuche beieinander liegen können. Der Debütroman von Gudrun Seidenauer besticht durch eine außergewöhnlich virtuose Sprache. Fesselnd und zugleich tröstlich wirken die Worte, sie tragen den Leser trotz der Schwere des Themas leicht durch die Geschichte.

Sabine Eidenberger / biblio

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Klaus Brinkbäumer: Die letzte Reise

: der Fall Christoph Columbus / Klaus Brinkbäumer ; Clemens Höges. - 2. Aufl. - München : Deutsche Verlags-Anstalt, 2004. - 477 S. ISBN 3-421-05823-7 fest geb. : ca. € 20,50

Ein auffallend altes Wrack vor der Küste Panamas zieht das Interesse vieler auf sich. Gehörte diese Karavelle zu den ersten Handelsschiffen oder ist es gar die "Vizcaína", das aufgegebene vierte Schiff des Christoph Columbus, das dort gesunken sein soll? Das vorzustellende spannende Buch bietet eine Annäherung an die Columbus-Theorie und die Biografie des Seefahrers, wobei alles Auffindbare aus Archiven und Augenzeugenberichten zusammengetragen und aufschlussreich dargestellt wird. Gerade auf seiner vierten Reise überstand Columbus nicht nur Kämpfe gegen Indianer, sondern auch eine Meuterei an Bord, ertrug alle Unbill der Wetter und strandete auf Jamaika, wo er erst nach einem Jahr gerettet wurde. In Spanien starb er 1506 einsam und vergessen. Die Autoren verleihen dem berühmten Entdecker ein Gesicht, das Egoismus, Geldgier und Zielstrebigkeit widerspiegelt, dem aber trotz aller Leistungen die persönliche Tragödie nicht erspart geblieben ist. Die Schilderungen anhand der Aufzeichnungen des Christoph Columbus, seines Sohnes Fernando und vieler Archivalien gehen gut zusammen mit den Ermittlungen, wie sie um das erst kürzlich aufgefundene Wrack passierten. Beim Lesen fühlt man sich als Teil des Forscherteams und ärgert sich mit Columbus über den Schiffsbohrwurm, der ihm die Bretter unter den Füßen wegfraß. Spannend und interessant wie ein Krimi.

Norbert Allmer / biblio

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Robert Bouchal: Mystisches Wien

: verborgene Schätze, versunkene Welten, Orte der Nacht / Robert Bouchal [Fot.]. Johannes Sachslehner. - Wien : Pichler, 2004. - 173 S. : zahlr. Ill. (farb.) ISBN 3-85431-334-9 fest geb. : ca. € 24,90

"Da Tod, des muaß a Weana sein...". Die wienerische Neigung zum Morbiden und Makabren ist sprichwörtlich und hat auch im volkstümlichen Liedgut ihre Spuren hinterlassen. Die Kapuzinergruft ist sogar eine Touristenattraktion ersten Ranges. Weniger bekannt ist, dass die Habsburger bis ins 16. Jahrhundert ihre letzte Ruhestätte in den weitläufigen Katakomben unter dem Stephansdom fanden. Als der Schriftsteller Adalbert Stifter in die unterirdischen Gewölbe hinabstieg, war er vom "seltsamen, gespenstischen Anblick" der dort liegenden "Leichen und Mumien" zutiefst erschüttert. Die Herzen der Herrscher wurden seit dem Barock in der Lorettokapelle in der Augustinerkirche beigesetzt. Im "Herzgrüfterl" sind die blitzblank polierten Urnen aufgereiht wie Sportpokale in einem Vereinslokal. Mit archäologischer Gründlichkeit und detektivischem Spürsinn sind der Fotograf R. Bouchal und der Autor J. Sachslehner auf Entdeckungsreise gegangen. Ihr Blick für Abseitiges hat dabei so manche Kuriosität zutage gefördert. Der sehr kenntnisreiche und zugleich unterhaltsame Text ergänzt die sorgsam ausgewählten Bilddokumente auf treffliche Weise. Entstanden ist ein Wienführer der etwas anderen Art, ein fotografisch-literarisches Schatzkästlein, gewiss nicht nur für LeserInnen mit Hang zum Gruseligen. Schließlich lagern in Wiens Kellern nicht nur Särge, sondern auch Weinfässer.

Renate Langer / biblio

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Peter Pfarl: Die schönsten Wallfahrtsorte Österreichs

/ Peter Pfarl. - Graz : Styria, 2004. - 191 S. : zahlr. Ill. (farb.) ISBN 3-222-13160-0 fest geb. : ca. € 29,90

In Österreich gibt es viele Wallfahrtsorte, die durch ihre besondere Aura heute wieder viele Menschen ansprechen. Der Faszination, die solche "heiligen Orte" seit Jahrtausenden ausüben, geht dieses Buch nach und fasziniert dabei auf seine Weise. Kenntnisreich setzt sich der Verfasser mit der Geschichte von 62 Wallfahrtsorten Österreichs auseinander, spürt er ihren Ursprüngen nach, die sich oft in die Zeit zurückverfolgen lassen, bevor das Christentum hier Einzug gehalten hat; spannend erzählt er von uralten Traditionen sowie von Bräuchen, die bis in unsere Tage lebendig sind. Wichtig ist ihm, die Bedeutung für den Glauben und die Hingabe der Menschen an Gott, die in den Wallfahrten deutlich wird, herauszuarbeiten. Infragestellungen und Kritik, die immer wieder im Text durchklingen, sind begründet in der Suche des Autors nach dem Ursprünglichen und Bleibenden, zu der er die Leser seines Buches "auf Wallfahrt" mitnehmen möchte. Die ausgezeichneten Fotos animieren dazu nach Kräften. Ein Buch, so beeindruckend wie die Orte, die in ihm beschrieben sind, daher ein Muss für jede kirchliche Bücherei. (Mit kurzen Beschreibungen der Anfahrtswege, Adressen und Telefonnummern.)

Hanns Sauter / biblio

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