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Buchtipps / 2005 / März

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Hilary McKay: Das muss unser Glückstag sein

Hamburg: Oetinger 2005, 224 S., € 10,20. Aus dem Englischen von Irmela Brender. ISBN 3-7891-4248-4

Die englische Autorin ist bekannt für ihre reichlich ungewöhnlichen Kinderbuchfamilien: Da waren die Conroys, auch bekannt als vier verrückte Schwestern; da waren die Robinsons und deren transzendenter Freund Sun Dance – und da waren die Cassons, deren Kinder allesamt die Namen von Farben getragen haben: Magenta, genannt Maggy, Indigo und Rosa. Und natürlich Safran, eine Cousine, die als Kind ihre Eltern verloren hat und von den Cassons adoptiert wurde. (Ihre diesbezügliche Erkenntnis stand im Mittelpunkt des ersten Bandes „Engel verzweifelt gesucht“, im Original „Saffy’s Angel“.) Safran ist mittlerweile vierzehn und unschlagbar in jeder Hinsicht: Gemeinsam mit ihrer im Rollstuhl sitzenden Freundin Sarah, lehrt sie jenen das Fürchten, die ihrer Familie zu nahe kommen. Auf subtile Art, wenn es darum geht, einen von Maggies zahllosen Versuchs-Freunden zu vergraulen; und auf weniger subtile Art, wenn sie die Schläger-Bande aus Indigos Klasse in ihre Schranken verweist. Der ein wenig aus der Zeit gefallene Indigo ist es, der diesmal im Mittelpunkt turbulenter Ereignisse der Kreativ-Familie steht (Originaltitel des Bandes „Indigo’s Star“). Mit bewundernswerter Gelassenheit begleitet Indigo nicht nur das Leben seiner exaltierten Schwestern, sondern auch jenes seines neuen Mitschülers Tom. Für ein Semester nach England „strafversetzt“ bleibt dem aufmüpfig an seiner eigenen Familiengeschichte Leidenden gar keine andere Wahl, als dem Charme der Cassons zu verfallen. Und so geht es auch den LeserInnen, denn wie immer arrangiert McKay die verschrobenen Handlungsstränge anrührend und pointenreich. Sehr zu empfehlen ab 11 Jahren.

Heidi Lexe / STUBE

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Antonie Schneider / Ulrike Möltgen: Jako

Ill. von Ulrike Möltgen. Zürich: Bajazzo 2005, 64 S., € 13,10 ISBN 3-907588-58-4

Sehnsucht ist im Rahmen vieler religiöser und religiös relevanter Veranstaltungen und Fortbildungsangebote ein zentrales Thema – umfasst sie doch das Unbestimmte in Bezug auf Gott ebenso wie in Bezug auf sich selbst. Wie schlicht man sich diesem Thema zu nähern vermag, zeigt dieses ganz einfach, und nur in wenigen Grundfarben gestaltete Bilderbuch, das die Sehnsucht nach dem Du auf ganz profane Weise, dabei sehr philosophisch, vorführt. Aus orangem Papier wird ein Mädchen geschnitten und auf schmucklosen Untergrund collagiert. Sie wird eingeführt als erzählendes Ich, das im weitgehend leeren Raum ihre Sehnsucht zu formulieren sucht: „Ich will einen Hund, der immer für mich da ist!“ Einen Sommer und einen Winter verbringt sie wartend – und im Bewusstsein, dass ein Hund ein lebendiges Wesen ist, das der Fürsorge bedarf. „Eines morgens war er da.“ Gemeint ist ein bulliger Köter, aus gelbem Papier geschnitten und rasch des Mädchens bester Freund. Und doch darf er auch als Symbolfigur gelesen werden für den Wunsch, beschützt und begleitet zu werden von jemandem, der immer da ist und seine Zuneigung nie unter Beweis oder gar in Frage stellen muss. Eine Symbolfigur der menschlichen Sehnsucht eben. Vielleicht nach Gott. Vielleicht aber auch viel weniger hochgegriffen nach elterlicher Fürsorge oder Freundschaft. Ein bemerkenswertes Bilderbuch, als naive Kindergeschichte ebenso zu lesen wie als modernes Gleichnis. Sehr zu empfehlen ab 4 Jahren.

Heidi Lexe / STUBE

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Franca Permezza: Prosciutto di Parma

Commissario Trattonis tiefster Fall ; ein Kriminalroman / Franca Permezza. - Wien : Europa Verl., 2005. - 319 S. Aus dem Veneziano von Wolfgang Körner ISBN 3-203-81007-7 fest geb. : ca. € 20,50

Schon wieder ein Venedig-Krimi, fragt sich der Leser/die Leserin etwas genervt, doch schon nach wenigen Seiten wird klar, dass die Autorin mit dem vorliegenden Roman weniger die ausgetretenen Pfade ihrer schreibenden Kollegenschaft nachzuwandern plant, sondern diese vielmehr mit spitzer Feder persifliert. Schon mit dem Untertitel ihres Romans, in dem Permezza Kommisar Trattonis "tiefsten Fall" ankündigt, bezieht Permezza (wer immer sich auch hinter diesem Namen verbirgt) Posititon und im Folgenden spart sie nicht mit spöttischen Verweisen und Zitaten, die sich mehr oder weniger eindeutig auf arrivierte Kriminalromane beziehen. "Wir sind hier nicht in einem Kriminalroman von Patricia Highsmith", schimpft der kauzige und vergessliche Kommisar Trattoni, wenn ihm sein Sergente haarsträubende Mordtheorien auftischt, und dass bei einem Unwetter asugerechnet eine amerkanische Schriftstellerin von einem herabstürzenden Ziegel verletzt wird, ist natürlich reiner Zufall. Der Kriminalfall, den Kommissar Trattoni zu lösen hat, steht zwar im Mittelpunkt dieses Buches, ist jedoch letztlich nur der Aufhänger, den die Autorin braucht, um mit Venedig-Klischees nur so um sich zu werfen. Sei es, dass der ständig genervte Commissario mit dem Vaporetto durch die Kanäle saust, dass sich gaffende Touristen bei "aqua alta" sensationslüstern auf den über dem Wasserspiegel aufgebauten Podesten drängen, oder dass Trattoni wieder einmal beim völlig unfähigen Vize-Questore zum Rapport antreten muss. Mit viel feinsinnigem Humor zieht dieser Krimi den Leser/die Leserin in seinen Bann und bietet nicht nur einen zum Serienhelden tauglichen Kommissar mit Ecken und Kanten, sondern auch Spannung und Witz. Dass die Autorin ihr Publikum fast bis zuletzt im Dunklen tappen lässt und erst auf den letzten Seiten einen Überraschungstäter aus dem Hut zaubert, mag Krimifans nicht wirklich zufrieden stellen, zeigt jedoch neuerlich wie ernst Permezza das Genre nimmt.

Michaela Grames / biblio

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Christine Pitzke: Versuche, den Morgen zu beschreiben

: Roman / Christine Pitzke. - Salzburg : Jung und Jung, 2004. - 140 S. ISBN 3-902144-78-5 fest geb. : ca. € 17,90

Kraftvoller Roman um das Weiterleben nach einer traumatischen Kriegserfahrung.

"Die Wunden heilen von den Rändern". Wie sie mit körperlichen Wunden fertig wird, weiß die ich-erzählende Ärztin, wie sie aber mit den Wundrändern der seelischen Verletzungen umgehen soll, ist eine Herausforderung, die sie voll und ganz in Anspruch nimmt und über ihre Belastungsgrenzen hinaus fordert. Krol, der Architekt, der sich bewusst ist, dass er nie ein Held war, sucht, aus einem Kriegsgebiet heimkehrend, Zuflucht bei ihr. Er igelt sich ein, er wird Opfer der quälenden Bilder, unfähig, diese hinter sich zu lassen und in der Gegenwart Fuß zu fassen. Immer tiefer wird die Ich-Erzählerin in den Sog seiner Anders-Welt, seines Ausnahmezustandes hineingezogen, in lichten Momenten sind Ansätze einer Kommunikation möglich und ab und zu ein geglückter Versuch, einen Morgen zu erkennen. Eindringliche psychologische Beobachtungen gepaart mit persönlicher Betroffenheit im Wechselspiel von Fremd- und Selbstwahrnehmung in teils nüchtern-klaren Beschreibungen und teils poetisch-zarten Traumbildern führen den LeserInnen anrührend deutlich vor Augen, wie in schmerzhaften Geburtswehen eine neue Realität kreiert werden muss, da die alte nicht mehr trägt, da die Norm des Alltags ihre Gültigkeit verloren hat. Ob es gelingt?

Christiana Ulz / biblio

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Leo Perutz: Zwischen neun und neun

: Roman / Leo Perutz. M. e. Nachw. u. hrsg. von Hans-Harald Müller. - München : dtv, 2004. - 219 S. ISBN 3-423-13229-9 kart. : ca. € 8,50

Fintenreicher Hindernislauf eines jähzornigen Studenten durch das Wien der k. u. k. Zeit.

Wer Josef Roth gerne liest, ist mit diesem Roman bestens bedient. Noch zu Lebzeiten von Perutz ein großer Erfolg, lässt dieses im Ersten Weltkrieg entstandene Buch das Bild einer mittlerweile versunkenen Gesellschaft entstehen: Kindermädchen, Kontoristen, Konservatoristen, Gauner und Greißler. Mit ihrem spezifischen Idiom treten sie vor den Lesenden und verhalten sich, wie es Ansehen, Beruf und Stolz gebieten. Mit feiner ironischer Spitze gezeichnet, bilden diese Figuren das Tableau, vor dem sich die Geschichte des Stanislaus Demba entfaltet, eines mäßig sympathischen, tollpatschigen Studenten, der sich aus einer Zwangslage befreien und das Mädchen seiner Wahl erobern will. Die Geschichte funktioniert wie jene Hollywood-Streifen, in denen dem Protagonisten eine bestimmte Spanne Zeit bleibt, seine Mission zu erfüllen. Die Spannung steigt von Kapitel zu Kapitel, von Station zu Station, angeheizt durch überraschende Wendungen und eine der Situation geschuldete Komik, die das Buch über weite Strecken grundiert. "Zwischen neun und neun" ist ein atemberaubend gebauter und bravourös erzählter Roman für jedermann, auch für geübte jugendliche LeserInnen. Das kurze Nachwort von Hans-Harald Müller sollte, dem Wortsinn entsprechend, der Lektüre des Perutz-Textes nachfolgen, es legt die für die Qualität des Textes mitverantwortlichen Strategien offen.

Kristina Werndl / biblio

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Niels F. Dahl: Auf dem Weg zu einem Freund

: Roman / Niels Fredrik Dahl. - Köln : Kiepenheuer & Witsch, 2004. - 223 S. Aus dem Norweg. von Ina Kronenberger ISBN 3-462-03409-X fest geb. : ca. € 18,40

Die bezaubernde und traurige Geschichte eines Jungen im Oslo der 1960er Jahre.

Der Elfjährige Vilgot geht zu einem Freund. Das sagt er zumindest zu seinen Eltern. Bei diesem Freund kommt er allerdings nie an. Szenenwechsel: Oslo am 15. Juli 2001. Die Nachrichten zeigen Bilder von einem Elefanten, der erschöpft auf der Hauptstraße Richtung Westen niedergebrochen ist. In einer vielschichtigen Erzählkonstruktion mit wechselnder Erzählperspektive werden diese zwei Ereignisse zu einer berührenden, teil sehr traurigen Lebensgeschichte zusammen gewoben. Der Junge Vilgot bleibt immer Mittelpunkt der Handlung, alle anderen Charaktere werden nur in Bezug auf ihn geschildert. Jedes scheinbar unwichtige Detail gewinnt im Laufe des Romans an Bedeutung. Durch diese Methode entsteht eine zum Teil sehr bedrückende Stimmung. Der Leser spürt von Anfang an, dass etwas mit Vilgot geschehen wird. Ein spannender und sehr berührender Roman, der zwar von unendlicher Traurigkeit bestimmt ist, aber nicht von ihr erdrückt wird. Sehr empfehlenswert.

Uschi Pirker / biblio

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Roman Mensing: Martin von Tours

- Düsseldorf : Patmos, 2004. - 95 S. : zahlr. Ill. (farb.) ISBN 3-491-70380-8 fest geb. : ca. € 18,50

Das Leben eines Volksheiligen und seine Wirksamkeit bis heute.

Martin von Tours (geb. 336) zählt zu den bekanntesten christlichen Heiligen. Martinszug, Martinsgans und Laternenfest gehören zu den festen Bestandteilen des herbstlichen Brauchtums. Wer war dieser Mann, um den sich so viele Geschichten ranken, wirklich? Dieses Buch beantwortet diese Frage hervorragend. Es enthält grundlegende historische Informationen über den Soldaten, der Christ, Mönch und Bischof geworden ist, und stellt dabei die vielen Legenden und auch die Vita, die Sulpicius Severus über Martin verfasst hat, in ihren historischen Zusammenhang. So begegnen wir einer faszinierenden, zuweilen auch fremdartigen Gestalt, deren Bemühen um eine Jesusnachfolge beispielhaft und deren Volkstümlichkeit daher zu Recht ungebrochen ist. Die reiche Bebilderung des Buches umfasst geschichtliche Zeugnisse aus Ungarn und Frankreich sowie weitere bedeutsame Kunstwerke aus allen Jahrhunderten, die von der Bedeutung Martins bis in unsere Tage sprechen. Ein Buch von besonderem Wert, vor allem auch angesichts der Tatsache, dass sich die Laternenfeste in den Kindergärten zwar steigender Beliebtheit erfreuen, das Wissen um den Heiligen aber mehr und mehr schwindet und damit auch das Martinsbrauchtum, das letztlich seinen Sitz im Leben im christlichen Gottesdienst hat, sinnentleert wird. Ein bedeutsames Buch für alle Bibliotheken.

Hanns Sauter / biblio

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Monika Rößiger: Mythos Meer

: Geschichten - Legenden - Tatsachen / Monika Rößiger ; Claus-Peter Lieckfeld. - München : BLV-Verl., 2004. - 223 S. : durchg. Ill. (farb.) ISBN 3-405-16610-1 fest geb. : ca. € 20,60

Kulturgeschichte im Tanz der Wellen.

"Mythos Meer" ist ein neuer Titel aus der blv-Buchreihe, die schon dem Mythos von Vogel, Pferd und Baum nachgegangen ist. Monika Rößiger und Claus-Peter Lieckfeld schildern in vier großen Abschnitten die Entstehungs- und Eroberungsgeschichte der Meere, stellen einige ihre Bewohner vom kleinsten Seepferdchen bis zum größten Wal vor, führen den Lesern anschließend die Schätze der Ozeane vor und spinnen quasi als Nachtisch allerlei Seemannsgarn. Sie weisen aber auch immer wieder auf die vielfältige Bedrohung der Meere durch den Menschen hin. Ein besonderer Reiz des Buches liegt in der zwanglosen Mischung von wissenschaftlichen Beiträgen und Zitaten aus Epik und Lyrik. So ist "Mythos Meer", voll von neuem und altem Material, eine Fundgrube für alle, die mit dem Meer mehr als eine Beigabe zu Sonne und Strand assoziieren wollen und dank der reichen Bebilderung auch ein Augenschmaus. Ein ausführliches Register hilft bei der fiktiven Reise durch die Weltmeere. Eine wahrlich gelungene Synthese aus "Fact und Fiction".

Simone Klein / biblio

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