Pädagogikpille in G’schichterlpapier

oder ganz einfach Literatur?

: eine Zusammenfassung der Debatte über politische Korrektheit in der Kinderliteratur

von Maria Fellinger-Hauer

Die kleine Hexenjagd. So übertitelte die Wochenzeitung „Die Zeit“ einen ausführlichen Beitrag über die kürzlich heftig aufgeflammte Diskussion, ob nun Wörter wie „Negerkönig“ oder „Chinesenmädchen“ in  Kinderbuch-Klassikern rassistisch und der politischen Korrektheit zu opfern seien.

“Wir werden alle unsere Klassiker durchforsten”, kündigte Klaus Willberg vom Stuttgarter Thienemann Verlag an. Es sei notwendig, Bücher an den sprachlichen und politischen Wandel anzupassen, begründet Willberg den Schritt: “Nur so bleiben sie zeitlos.” Der 89-jährige Otfried Preußler, um dessen Kinderbuchklassiker „Die Kleine Hexe“ es u. a. geht, konnte – nach längerem Zureden – für Veränderungen gewonnen werden werden, heißt es.

Angestoßen wurde die Thematik auch durch ein Interview mit der deutschen Familienministerin Kristina Schröder, die bekannte, sie würde gewisse Wörter simultan übersetzen, wenn sie ihrem Kind vorlese. Im gleichen Interview meinte sie auch, man könne ebenso „das“ statt „der“ liebe Gott sagen und die großteils extrem sexistischen Grimm’schen Märchen müsse man halt vorsichtig dosieren. In dieser Aussage drückt sich genau genommen schon das Problem aus. Wo fängt man an und gibt es eine Grenze?

Inzwischen gibt es Umfragen unter der Bevölkerung, denen zu Folge unter den höher Gebildeten ein größerer Prozentsatz für die Beibehaltung, bestenfalls für das Anbringen von erklärenden Fußnoten ist, während Pflichtschulabsolventen mehrheitlich auf der Seite der sprachlichen Anpassung stehen.

In Leserbriefen meldeten sich viele Menschen zu Wort, die sich durch Wörter wie “Neger” in einem Kinderbuch beleidigt fühlen. Das macht eine sachliche Diskussion schwierig, denn dass Sprache verletzen kann, ist eine allgemein gültige Erfahrung.

Das Verletzungspotential aber hat in erster Linie etwas mit der Intention des Sprechers zu tun, als mit dem inkriminierten Wort selbst,

schreibt der Literaturkritiker Iloma Mangold. Wer allerdings 2013 das Wort “Neger” gebrauche, tue das im Bewusstsein seiner Geschichte, also im Bewusstsein, dass dieses Wort heute eine ganz andere Verletzungsintention habe, als vor 70 Jahren, als Astrid Lindgren es verwendete.

Ist es also doch eine entscheidende Frage, ob nicht das, was für Literatur allgemein gilt, nämlich sie in ihrem historischen und kulturellen Kontext zu betrachten, auch auf die Kinderliteratur anzuwenden wäre?

Viele Wortmeldungen gehen in diese Richtung. So meint etwa Christine Nöstlinger:

In Erwachsenenliteratur würde man nie so reinpfuschen. Das zeigt, dass Kinderliteratur für viele nicht mehr ist als eine Pädagogikpille, eingewickelt in G’schichterlpapier.

Ihr würde es genügen, dass man eine Anmerkung macht und erklärt, dass manches, was heute nicht mehr sagbar ist, vor 50 Jahren ein ganz normales Wort war. Vierjährige können das bereits verstehen.

Die Diskussion ist im Übrigen nicht neu. In Amerika  diskutiert man darüber seit den 1990er Jahren und hat prompt bei einer Neuauflage von „Tom Sawyer“ aus dem „Niggerjim“ einen Sklaven namens “Jim” gemacht. In einer neuen Übersetzung ins Deutsche von 2010 blieb der “Nigger” wieder, weil dem Übersetzter die Authentizität wichtiger war.

In den 70er Jahren wurde heftig über die Grausamkeit von Märchen gestritten und was sie alles anrichten könnten in den Kinderseelen. Heute  ist auch die Psychologie wieder der Auffassung, dass geglättete Geschichten Phantasie und Kreativität behindern, dass Kinder nach Fremdem und Unbekannten lechzen und Angst nicht schlimm ist, sofern man die Kinder damit nicht allein lässt.

Der Autor Gerhard Ruiss, Vorsitzender der österreichischen Interessensgemeinschaft der AutorInnen, hält es für „das Blödeste“, einen wie Otfried Preußler umschreiben zu wollen. Wenn ein Text nicht rassistisch ist, „möge man es ihm nicht unterstellen“, meint er.

Drängt sich die Frage auf, ob es bei der ganzen Aufregung nicht doch auch wieder ein ganz klein wenig um das Geschäft geht, das Verlage sich von Neuauflagen erhoffen.

| erschienen in OPAC 1/2013

| Bild auf der Startseite: Ausschnitt aus dem Originalcover “Die kleine Hexe” von Otfried Preußler.
| Einträge zu O. Preußlers “Die kleine Hexe” auf Rezensionen.online.open

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