Ganz Ohr! VorlesepatInnen auf dem Vormarsch

Im Oktober 2013 haben das Österreichische Bibliothekswerk, die Caritas Vorarlberg und die MARKE Elternbildung damit begonnen, ein gemeinsames Ausbildungskonzept für VorlesepatInnen zu entwickeln. Das Interesse hat alle Erwartungen übertroffen – allein in den Jahren 2015 und 2016 wurden in 24 Kursen 386 VorlesepatInnen ausgebildet.

2016 wurde das Projekt durch das Institut für Soziologie der Universität Wien evaluiert und dabei überaus positiv bewertet, was dazu führt, dass das Projekt am 4. April 2017 im Rahmen einer Tagung “LLLLplus” in der Uriania in Wien durch das Sozialministerium als Good Practice ausgezeichnet wird.


Faszination Vorlesen

Die Idee des Vorlesens ist so alt wie die Geschichte des Lesens. In allen Schriftkulturen haben sich im Lauf der Zeit unterschiedliche Formen und Konzepte des privaten und öffentlichen Vorlesens entwickelt. Vorgelesen wurde in Klöstern wie in Tabakfabriken, an Fürstenhöfen wie in Bürgerstuben, in Schulen wie im Freundeskreis. Das Interesse am Vorlesen ist bis heute lebendig geblieben – denn Vorlesen schafft Begegnung und fasziniert.

Während man ursprünglich davon ausgehen musste, dass die technologischen und gesellschaftlichen Umwälzungen der letzten Jahrzehnte die alte Tradition des Vorlesens weiter zurückdrängen würden, waren es drei Entwicklungen, die zur Überraschung vieler einen Gegentrend eingeleitet haben:

  • Der Erfolgszug der Hörbücher hat zur Entwicklung einer neuen Lese- und Hörkultur beigetragen.
  • Im Lauf der PISA-Debatte über unzureichende Lesekompetenzen von Kindern wurde die Bedeutung des Vorlesens erkannt.
  • In einer Phase fortschreitender Individualisierung und Vereinzelung wurde auch der soziale Aspekt des Vorlesens neu entdeckt.

Hinter der aktuellen Vorlesebewegung stehen damit sehr unterschiedliche Befürworter und Verbündete.
Um den erfreulichen Trend des öffentlichen Vorlesens zu stärken und die Kompetenzen auf diesem Gebiet zu erhöhen, hat das Österreichische Bibliothekswerk in Kooperation mit Partnereinrichtungen im Jahr 2013 damit begonnen, eine VorlesepatInnen-Ausbildung zu konzipieren, Materialien zu erstellen und ein österreichweites Netzwerk aufzubauen.

Kooperationen bereichern

Grundlage waren hierbei die Konzepte, die die Caritas und Bibliotheksfachstelle der Diözese Feldkirch in Vorarlberg gemeinsam entwickelt und umgesetzt haben. In vielen Bereichen gilt das Vorarlberger Konzept als Vorbild und bleibender Orientierungspunkt, auch der Projekttitel „Ganz Ohr!“ stammt von daher.

2014 wurde ein gemeinsames Ausbildungscurriculum erarbeitet und ein erstes Pilotprojekt in Angriff genommen. Die Reaktionen auf das neue Angebot haben alle Erwartungen weit übertroffen: In den folgenden beiden Jahren haben in über 30 Kursen mehr als 500 TeilnehmerInnen eine Ausbildung absolviert, wobei sich hinsichtlich der Altersverteilung der TeilnehmerInnen folgendes Bild ergibt:

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Es zeigt sich erfreulicherweise eine große Bandbreite, die meisten TeilnehmerInnen kommen aus der Altersgruppe der 50- bis 60-Jährigen, gefolgt von den 60- bis 70-Jährigen. Der bislang jüngste Teilnehmer war 15 Jahre alt.

Waren zu Beginn der Kurse noch sehr wenige VorlesepatInnen unter 40 Jahren, so hat sich das im Lauf der Zeit verändert: Die Altersdurchmischung wird zusehends bunter und im Bereich des Vorlesens für SeniorInnen melden sich vermehrt Männer.

Die Broschüre „Faszination Vorlesen“

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Zur Unterstützung der Ausbildungskurse und als Einstieg in das Thema für alle Interessierten erschien im Jahr 2015 unsere Broschüre „Faszination Vorlesen : Geschichten und Sprache gemeinsam erleben“, die auf 116 Seiten das Thema Vorlesen aus unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet. Von der Geschichte des Vorlesens über Strategien und Modelle bis hin zu rechtlichen Fragen wird hier verschiedensten Aspekte nachgegangen. Impulse zum gelingenden Vorlesen mit Kindern stehen im Mittelpunkt der Darstellung.

Im Rahmen der „Ganz Ohr!“-Ausbildungskurse kommt diese Broschüre als unterstützendes Begleitmaterial zum Einsatz. Dass diese Publikation mit einer Auflage von 5.000 Exemplaren innerhalb eines Jahres vergriffen war, zeigt das große Interesse an diesem Thema.
Weiterführende Informationen finden sich unter www.biblio.at/blog/?p=2209.

Evaluiert und ausgezeichnet

Das europaweit aktive Netzwerk ELINET (European Literacy Policy Network) entwickelte Kriterien für gut funktionierende und empfehlenswerte Leseinitiativen und hat im Zeitraum 2014 bis 2016 Hunderte von Projekten nach einem differenzierten Begutachtungssystem gesichtet und bewertet. Das Lesezentrum Steiermark hat sein „Ganz Ohr!“-Ausbildungskonzept bei ELINET eingereicht, worauf sich drei unabhängige GutachterInnen mit den Ansätzen auseinandergesetzt haben und schließlich zur Entscheidung gelangt sind, das Projekt als „Good Practice“ auszuzeichnen und damit europaweit zur Nachahmung zu empfehlen.

In einem weiteren Verfahren wurde das VorlesepatInnen-Projekt 2016 durch das Institut für Soziologie der Universität Wien evaluiert und aufgrund der Ergebnisse im April 2017 durch das BM für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz als „Good Practice“ ausgezeichnet. In der Begründung werden die intergenerationellen Zugänge hervorgehoben, weiters wird ausgeführt:

“Zudem überzeugt das Projekt in einer ersten Betrachtung aufgrund des professionellen und informativen Internetauftritts, der Betonung von intergenerationellen Bildungstätigkeiten und der Entwicklung umfassender Materialien zur Gestaltung der Lese-Einheiten in Bibliotheken.”                    (Studie „Good Practice“ 2016, S. 51)

Besuch mit Buch – Vorlesen in SeniorInnen-Einrichtungen

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Die neue Broschüre “Besuch mit Buch” setzt diese Bemühungen fort, denn Vorlesen in SeniorInnen-Einrichtungen erfolgt in einem ganz speziellen Rahmen und erfordert Überlegungen und Achtsamkeiten ganz besonderer Art.

Für die vielfältige Unterstützung bei der Erstellung dieser Broschüre sind wir dankbar. Sie bildet keineswegs den Abschluss unserer Arbeit, sondern vielmehr den Auftakt für vertiefende Auseinandersetzung und Weiterentwicklung und auf diverse Rückmeldungen und Verbesserungsvorschläge freuen wir uns.

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