Warum uns Gelsen heuer glücklich machen …

Oder: Wir sind Deutscher Jugendliteraturpreis

von Katrin Feiner, Verlagsanstalt Tyrolia

 

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„Boarding completed“ – der Flieger von Frankfurt nach Wien ist angenehm leer und ruhig, das Gemurmel der anderen Fluggäste dringt nur leise zu mir, untermalt von typisch österreichischer Walzermusik aus dem Lautsprecher. Es sind seit vier Tagen die ersten ruhigen Minuten ohne Aufregung, ohne Gedanken an die nächsten Termine, Gespräche, Besprechungen, ohne Überlegungen, welche Unterlagen wofür benötigt werden, welche Informationen für das nächste Treffen wichtig sind, welche persönlichen Kontakte noch geschlossen werden müssen.

Erst jetzt kommt die Müdigkeit, die anstrengenden Messetage fordern ihren Tribut, die Füße schmerzen, irgendwo im Hinterkopf pocht es. Die Nächte waren kurz, die Tage umso intensiver. Erst jetzt ist Zeit zum Durchatmen, Runterkommen, Geschwindigkeit drosseln. Eigentlich Zeit, um die Augen zu schließen, die knappe Stunde Flugzeit zum Schlafen zu nützen, das Hirn zu leeren.

Doch dann dringt ein Wort in meine Gedanken.
Ein einziges Wort.
Ein Name.
„Gerda“.

Unweigerlich breitet sich ein Lächeln in meinem Gesicht aus, rieselt eine sanfte Gänsehaut über meine Unterarme und schon sitze ich wieder in jenem großen Saal der Frankfurter Buchmesse, in dem das passiert ist, wovon wir jahrelang geträumt haben, wovon wir uns jahrelang ausgemalt haben, wie das denn wohl sei. Jetzt wissen wir es: Unglaublich und wunderschön.

Freitagabend auf der Frankfurter Buchmesse

Abschluss der Fachbesuchertage, bevor am Wochenende die weltweit größte und bedeutendste Messe der Buchbranche auch für das allgemeine Publikum geöffnet wird. Für alle Kinderbuchinteressierte immer schon ein wichtiger Termin. Werden an diesem Abend doch im Rahmen einer großen Veranstaltung die Siegertitel des Deutschen Jugendliteraturpreises bekannt gegeben. Des renommiertesten Preises der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur. Quasi Oscarverleihung.

Seit einem halben Jahr ist die Shortlist bekannt, in jeder der vier Kritikersparten sechs Titel (Bilderbuch, Kinderbuch, Jugendbuch und Sachbuch) und weitere sechs Bücher, die von der Jugendjury nominiert wurden. Allein die Nominierung, die stets auf der Leipziger Buchmesse im Frühjahr verkündet wird, war schon unfassbar und eine Premiere. Unser Bilderbuch „Gerda Gelse. Allgemeine Weisheiten über Stechmücken“ darf mit fünf anderen Büchern um den Deutschen Jugendliteraturpreis in der Sparte Sachbuch kämpfen: Große Freude, Begeisterung, Jubel im Verlagsbüro.

Das halbe Jahr zwischen Leipzig und Frankfurt verfliegt rasch. Nun sitzen wir hier im Congress Center der Buchmesse und haben schwitzige Hände. Langsam füllt sich der Saal, 1.500 Personen soll er laut Pressemeldung umfassen. Ich bin schlecht im Schätzen, aber es sind wirklich viele. Diesmal haben wir Sitzplätze weit vorn – Privileg der Nominierten. Freunde und Bekannte kommen noch kurz vorbei, strecken uns ihre gedrückten Daumen entgegen. Wir winken lächelnd ab. Das wäre dann doch zu unwahrscheinlich. Die Konkurrenz ist stark, sehr stark.

Die Verleihung beginnt

Es ist die bekannt große Bühne, die bekannt großen drei Leinwände. Allein die Moderatorin ist heuer eine andere. Es kommen die obligatorischen Reden, vor allem von Bundesministerin Manuela Schleswig. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist schließlich Stifter des Deutschen Jugendliteraturpreises, und der ist schließlich der einzige deutsche Staatspreis für Literatur. Auch Jürgen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse kommt zu Wort. Wir mögen seine lockere Art, sein unverkrampftes Auftreten. Mochten wir immer schon. An diesem Abend vielleicht um eine Spur mehr.

Dann kommt das, worauf alle hier warten – die Bekanntgabe der prämierten Titel. Dreimal springen an verschiedenen Orten im Saal Menschen auf, jubeln, umarmen sich, dreimal werden strahlende Preisträgerinnen und Preisträger auf die Bühne geholt, interviewt, mit der „Momo“, der Siegerstatue beglückt, Pressefotos gemacht. Wir müssen warten. „Sachbuch“ ist die letzte Kategorie der Kritikerjury. Noch einmal erscheint das Cover unseres Bilderbuchs groß auf der Leinwand. Die nominierten Titel werden vorgestellt. Die Spannung steigt. Ein Mädchen der stets helfenden drei Kinder bei dieser Verleihung kommt auf die Bühne, bringt den Umschlag, überreicht ihn der Ministerin. Sie öffnet ihn, holt einen Zettel heraus. Bei uns krallen sich Hände in Oberschenkel.

„Mit dem deutschen Jugendliteraturpreis 2014 wird das Sachbuch …
Wir wagen kaum zu atmen.
„Gerda …“

Mehr hören wir nicht mehr. Unser Jubel kann mit dem des Fischer-Verlags (Sieg in der Sparte Jugendbuch), bei dem immerhin zwei komplette Reihen aufgesprungen sind, locker mithalten. Während Autorin Heidi Trpak und Illustratorin Laura Momo Aufderhaar Richtung Bühne eilen, um nun ihre „Momos“ entgegenzunehmen, versuchen unsere Hirne auf Hochtouren zu verarbeiten, was hier gerade passiert. Vor lauter Umarmungen bekommen wir fast nicht mit, was unsere beiden Künstlerinnen auf der Bühne sprechen. Und von der restlichen Preisverleihung bekommen wir schließlich wirklich nichts mehr mit. Mit zittrigen Händen müssen KollegInnen, FreundInnen und Familie zu Hause informiert werden, die Handys glühen. Wir bemühen uns fieberhaft, niemanden zu vergessen. So viele Menschen haben an der Entstehung dieses Buches mitgewirkt, so vieles wurde von so vielen beigetragen. Und alle sollen es erfahren.

Beim ersten Glas Wein können wir ein bisschen durchatmen. Realisiert haben wir es noch immer nicht – obwohl wir die Momo angreifen, in Händen halten dürfen. Obwohl es in der frisch aufgelegten Pressemappe und in den Foldern steht. Obwohl viele zum Gratulieren vorbeikommen. „Gerda Gelse“ ist nach 34 Jahren das erste Buch aus einem österreichischen Verlag, das den Deutschen Jugendliteraturpreis gewonnen hat. „Gerda Gelse“ ist ein Erstlingswerk, das im Rahmen eines tollen Projekts entstanden ist, das sich gezielt der Nachwuchsförderung widmet. Und es hat auf Anhieb überzeugt. An diesem Abend wird gefeiert – und zwar ordentlich. Und lange.

Der Flieger ist mittlerweile gelandet, die S-Bahn ins Stadtzentrum gefahren, ich stehe vor meiner Wohnungstür. Eine stille Wohnung erwartet mich. Der Koffer wird nicht mehr ausgeräumt. Vor dem Schlafengehen suche ich mir noch einmal schnell das Youtube-Video von der Verleihung raus. Stimmt es wirklich? Ist das alles wirklich passiert?

Es stimmt.
Tatsächlich.
Ich muss gähnen.
Laptop runterfahren, Licht ausschalten, Augen zumachen, schlafen …

Ich lächle noch immer.


 

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